"Im Banne der Burenwurst. Der Würstelstand als Wille und Vorstellung"
Herausgegeben von Elisabeth Hölzl


Momentaufnahmen innerhalb der Nahrungskette - am Würstelstand sind alle gleich!?

Die Wiener Würstelstände: Für die Einen oasengleiche Haltestellen im Netzwerk kulinarischer Nahversorgung, Orte, an denen die Ladenschlusszeit beinahe keine Rolle spielt und die soziale Stellung der Kunden nicht einmal auf den zweiten Blick von Bedeutung ist, wo Bürger, Bauer, Bettelmann ungeniert, mitunter geradezu hemmungslos, Seite an Seite archaischen Essgelüsten frönen können.
Für die Anderen Schandflecke im gepflegten Stadtbild, Aufenthaltswahrscheinlichkeitsorbitale zwielichtiger Existenzen, Unsicherheitsfaktor hinsichtlich hygienischer Gegebenheiten und Hort von Nahrungsmitteln zweifelhafter Zusammensetzung. Für Vegetarier Inbegriffe des Verabscheuungswürdigen schlechthin.

Kaum Einer, der dazu nichts zu sagen hätte. Und so enthält das vorliegende Buch nebst Texten über Erlebnisse, Sehnsüchte, Schmierenkomödien und kleinere Tragödien im Spannungs- bzw. Schlachtfeld der Dunstkreise der Wurstsiedekessel und Bratfettwolken milieugerechte Bilder aus der Welt der Bierdosen, Gurkengläser, Papierteller und einlagigen Servietten, wo die Alkoholfahnen (nicht nur auf Halbmast) wehen, wo umgangssprachliche Bezeichnungen für Wurstvarianten fröhliche Urständ' feiern und schwerwiegende Entscheidungen (Semmel oder Brot, Senf - scharf oder süß oder Ketchup) getroffen werden.

Der Autor Daniel Glattauer, (1960 in Wien geboren, seit 1985 Journalist und Autor, u. a. für die "Presse" und seit 1989 für den "Standard". Bisherige Buchveröffentlichungen: "Theo und der Rest der Welt", "Bekennen Sie sich schuldig · Geschichten aus dem Grauen Haus" und "Der Weihnachtshund") und der Fotograf Friedrich Anzböck, (1926 in Wien geboren, Tischlermeister und Fotograf, beschäftigt sich seit 45 Jahren mit der künstlerischen und dokumentarischen Fotografie) stellten mit vereinten Kräften ein handliches Mitbringsel für Liebhaber unkomplizierter Ernährung und Kommunikation, denen sich beim Gedanken daran, im Stehen mit senf- bzw. ketchupverschmierten Fingern fettige Wurstwaren einzuverleiben, nicht gleich der Magen umdreht, zusammen:

Den Anfang macht Glattauer selbst mit "Es war einmal in Favoriten", wo obskure Initiationsriten (Verzehr scharfer und milder Pfefferoni) aus einem zaghaften Jüngling einen harten Burschen machen, danach folgen: ein Exzerpt aus Wolf Haas' "Komm süßer Tod", im Anschluss daran erlebt man die Wiener Wurschtigkeit aus der Sicht des deutschen Journalisten Willi Winkler, eine, von Friedrich Anzböck verfasste (leider sehr kurz geratene) Geschichte der Wiener Würstelstände und Aufnahmen diverser solcher, "Zorro" und "Wos an Weana olas en's Gmiad ged" (zwei Texte aus der Feder des am 4.12.2000 verstorbenen H. C. Artmann).
Den Abschluss bildet ein der Zeitschrift "Augustin" entnommenes einseitiges "Insider ABC", das geeignet sein kann, den Grad der Verständigung vor Ort zu verändern, sodass der geneigte Leser selbst in der Lage ist, stilecht "a Haße mit Kitt" oder "a Eitrige mit Mottenkugeln" zu bestellen. Mahlzeit!

Dass die im Handel erhältliche Ausgabe des Buches "Im Banne der Burenwurst" anders aussieht, als in den Ankündigungen, was den Wiedererkennungseffekt ausschließt, wurde seitens einer Verlagssprecherin am 21.6.2001 wie folgt begründet: "Das Cover wurde relativ spät noch verändert, weil uns das ursprüngliche zu 'brav' erschien; die Würstel erschienen uns auffälliger; das Format hat sich geändert, weil das Buch letztendlich in unserer Reihe POPular art erschien und wir das Format der Reihe nicht ändern konnten."

Dass auf den 80 Seiten dieses leichtgewichtigen Buches keineswegs alles (Zwischen-)Menschliche zum Thema Würstelstand serviert wird, versteht sich von selbst.
Daher mag eine Szene aus Ernst Moldens Roman "Austreiben" weitere Aspekte (insbesondere des Würstelstandes als "Wille und Vorstellung") illustrieren.

(Felix 06/2001)


"Im Banne der Burenwurst. Der Würstelstand als Wille und Vorstellung"
Herausgegeben von Elisabeth Hölzl

Mit Texten von H. C. Artmann, Daniel Glattauer, Wolf Haas und Willi Winkler.
Mit Fotografien von Friedrich Anzböck, Leonhard Hilzensauer, Peter Kasperak,
Franz Killmeyer und Horst Stein.
POPular Art im Verlag Christian Brandstätter, 2001. 80 Seiten.
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