An die Nachtigall
Geuß nicht so laut der liebentflammten
Lieder
Tonreichen Schall
Vom Blütenast des Apfelbaums hernieder,
O
Nachtigall!
Du tönest mir mit deiner süßen Kehle
Die Liebe
wach;
Denn schon durchbebt die Tiefen meiner Seele
Dein schmelzend "Ach".
Dann flieht der Schlaf von neuem dieses Lager,
Ich starre dann
Mit
naßem Blick und totenbleich und hager
Den Himmel an.
Fleuch, Nachtigall,
in grüne Finsternisse,
Ins Haingesträuch,
Und spend im Nest der treuen
Gattin Küsse,
Entfleuch, Entfleuch!
Sie ist dahin, die Maienlieder tönte,
Die Sängerin,
Die durch ihr Lied den ganzen Hain
verschönte.
Sie ist dahin!
Sie, deren Ton mir in die Seele hallte,
Wenn
ich am Bach,
Der durchs Gebüsch im Abendgolde wallte,
Auf Blumen lag!
Sie gurgelte, tief aus der vollen Kehle,
Den Silberschlag:
Der
Widerhall in seiner Felsenhöhle
Schlug leis´ ihn nach.
Die ländlichen
Gesäng´ und Feldschlameien
Erklangen drein;
Es tanzeten die Jungfrau´n
ihre Reihen
Im Abendschein.
Sie horchten dir, bis dumpf die Abendglocke
Des Dorfes klang.
Und Hesperus, gleich einer goldnen Flocke,
Aus Wolken drang;
Und gingen dann im Wehn der Maienkühle
Der Hütte zu,
Mit einer Brust voll zärtlicher Gefühle,
Voll süßer Ruh.
(Ludwig Heinrich Christoph Hölty; 21.12.1748 - 1.9.1776 )