Raimond Gaita: "Der Hund des Philosophen"
"Subjektive Bedeutung" als ethische Richtschnur zum Andersartigen?
In
der abendländischen Philosophie ist der Stellenwert von Tieren
lange Zeit marginalisiert worden. Die Wertehierarchie des Aristoteles
(384-322 v. Chr.) stellt den Menschen von Natur aus über alle
anderen Lebewesen (wobei Freie mehr wert sind als Unfreie,
Männer mehr als Frauen und Griechen mehr als Barbaren). "Unterlegene
Lebewesen" finden ihre "Erfüllung"
nur im Dienen. Die Essenz dieser aristotelischen Lehre fand Eingang ins
frühe Christentum. Laut Kirchenvater Augustinus
(354-430) wären Tiere zu keinen höheren Empfindungen
fähig, ergo dem Menschen untertan. Thomas von Aquin, der
Aristoteles wie Augustinus hochschätzte, versucht in seiner "Summa
Theologica" (1273) ebenfalls zu
begründen, warum das Tier dazu geboren wird, beherrscht zu
werden: Es hat keine Fähigkeit zur Rationalität, noch
besitzt es eine Seele, so Aquin.
An dieser Philosophie der anthropozentrischen Herrenrasse
änderte sich auch zur Zeit der Aufklärung nichts.
René Descartes (1596-1650) ersetzte das religiöse
Überlegenheitsdogma einfach durch ein biologistisches. Tiere
seien nichts als "biologische Automaten"
wähnte er sich richtig. Und Immanuel
Kant (1724-1804) äußerte sich in der "Kritik
der praktischen Vernunft" dahingehend, dass der Mensch
Tieren gegenüber "keine Pflichten"
hätte, da Tiere nicht "Vernunftwesen",
sondern "Sachen" wären. Erst mit Arthur Schopenhauer
(1788-1860) kam es langsam zur gedanklichen Wende. Er sprach von der "empörenden
Rohheit und Barbarei des Occidents" Tieren
gegenüber. Sein Zeitgenosse, der englische Denker und Jurist
Jeremy Bentham (1748-1832) formulierte einen bis dahin
revolutionären Ansatz. Es wäre demnach nicht
entscheidend, ob Tiere eine Ratio besäßen: "Die
Frage ist nicht, ob sie denken oder ob sie sprechen können.
Einzig und allein geht es darum, ob sie leiden können!"
Mittlerweile lehrt eine Reihe von Professoren wie Tom Regan (North
Carolina State University), Gary Francione (Rutgers University Law
School)oder Andrew Linzey (Oxford) die Philosophie der Tierrechte.
Raimond Gaita (geb. 1946) ist als Moralphilosoph mit diesem langen
ethisch-intellektuellen Diskurs bestens vertraut. Am Londoner King's
College und an der Australian Catholic University in Melbourne lehrt
er, wie Fragen der Moral gestellt und beantwortet werden
können. Gaita kritisiert, dass die Philosophie im Allgemeinen
zu einem hoch komplizierten, abstrakten Gedankenspiel zu verkommen
droht, wo man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. So auch
bei der Mensch-Tier-Beziehung. Mit seinem Buch "Der Hund des
Philosophen" will er aufzeigen, dass lebenspraktische
Erfahrungen moralphilosophischen Untersuchungen nicht nur Gewicht,
sondern auch Verständlichkeit verleihen. Es ist ein sehr
persönliches Buch, das großteils vom Autor selbst
erlebte Beispiele aus dem Alltag mit Tieren zu Papier bringt. Nicht
abstrakten Verstand, sondern praktische Problembewältigung
stellt er in den Vordergrund. Einleitend zitiert er die
Philosophenkollegin Cora Diamond: "Den Unterschied zwischen
Mensch und Tier wird man nicht finden, indem man Delfine beobachtet und
versucht, sich mit Schimpansen zu verständigen, (...) er ist
eher ein Objekt der nachdenklichen Betrachtung als der
wissenschaftlichen Beobachtung". Für den
Moralphilosophen Raimond Gaita wird der Unterschied Mensch-Tier erst
durch die Konzepte menschlicher Vorstellung zum Unterschied.
"Der Hund des Philosophen" beginnt mit Geschichten
aus dem australischen Outback, wo der in Deutschland geborene
rumänischstämmige Philosoph seine Kindheit verbracht
hat. Seite für Seite schließt man Bekanntschaft mit
dem klugen Kakadu "Jack" oder dem Windhundmischling "Orloff", dem nach
seinem Ableben ein - wenngleich unsentimentales - Begräbnis
zuteil wurde. "Jack" war Raimond Gaitas Freund, eine Vorstellung, der
Aristoteles, für den Freundschaft nicht mal zwischen Mann und
Frau, sondern nur unter "Gleichrangigen" möglich war,
eindringlich widersprochen hätte. Gaita legt weitere
Überlegungen dar, als "Gypsy", die
Schäferhündin seiner Frau, einen Unfall hatte.
Demnach hätte er es weder gekonnt noch gewollt, die
Hündin einschläfern zu lassen, weil sie "nur" ein
Tier ist. Vielmehr wollte er ihr helfen, weil es eine
persönliche Verbindung gab. Diese ganz persönliche
"Parteilichkeit" in der Ethik ist für Gaita
handlungsbestimmend. Sein Unverständnis gilt jenen Menschen,
die a priori eine Hilfeleistung für ein verletztes Tier
einfordern und von "Arten-Diskriminierung" sprechen: "Wir
werden wohl kaum jemals aufrichtiges Mitgefühl für
eine Kreatur empfinden alleine aufgrund der Annahme, es sei angemessen,
das zu tun."
Gaita führt ein weiteres Beispiel an, jenes des Alpinisten
Walter Bonatti, der in seinem Buch "Berge - meine Berge"
über einen Schmetterling schreibt, der sich vor ihm in den
Schnee setzt als Dunkelheit und Kälte am Gletscher
hereinbrechen. "Armes Lebewesen, das durch einen
unglücklichen Zufall in eine grausige Welt geriet, (...), und
dort nun den Tod erleidet. Armes Tierchen, mein
Unglücksbruder,(...). wie fühle ich mich dir
verbunden." Raimond Gaita folgert, dass Bonattis
Mitgefühl mit dem Schmetterling nicht nur Bergsteigerpathos,
sondern durchaus echt ist. Aber warum? Ist es davon abhängig, "dass
Bonatti dem Schmetterling Bewusstseinszustände zuschreibt"?
Ist es davon abhängig, dass er glaubt, der Schmetterling
könne Angst, Schmerz oder Kälte verspüren?
Und als Metafrage: "Ist es notwendig, dass er das glaubt?"
Gaita liefert seine Antwort gleich mit. Es ist nicht notwendig, wichtig
ist das Wort "Unglücksbruder", also die Vorstellung des
Bergsteigers, mit dem Schmetterling dasselbe Schicksal zu teilen.
Zudem hält Gaita den wissenschaftlichen Versuch, in Erfahrung
zu bringen, wie Tieren die Dinge wirklich erscheinen, zum Scheitern
verurteilt, da "uns das nicht zugänglich ist".
Und selbst wenn die Naturwissenschaft Hypothesen vorlegen
würde, "gäbe es für die
Gültigkeit unserer Gewissheit keinen Beweis."
Menschen werden eben niemals die Wahrnehmungswelt von Hunden, Affen
oder Delfinen
betreten können. Müssen sie aber nach Gaita gar
nicht. Wichtig ist es, Tieren eine persönliche "Bedeutung" als
"Individuum" zuzuweisen. "Das Reich der Bedeutung ist vom
Menschen hervorgebracht. Es ist ein Geschenk der Kultur."
Aber reicht diese subjektive Wertzuweisung zum Andersartigen als
ethische Richtschnur aus?
"Der Hund des Philosophen" ist sicherlich ein
interessantes Werk, zumal es weder in kritischen Skeptizismus
verfällt und Tieren vorab jegliche philosophische Betrachtung
abspricht, noch aus rein evolutionär-zoologischen Argumenten
heraus ableitet. Was es aber nicht ist, ist maßgeblich im
Sinne einer neuen Ethik. Man nimmt dem Autor zwar ab, dass er ein
belesener und tierlieber Mensch ist, aber der Anthropozentrismus bleibt
Maß aller Dinge. Jegliche "Individualität" oder
Rechtsstellung eines Tieres wird durch Bedeutungszuweisung einzelner
Personen konstruiert. Emotionen bestimmen also über Sein oder
Nichtsein. Würde Raimond Gaita auch bei Mitmenschen derart
argumentieren? Ich möchte meinen, nein! Der Moralphilosoph
Gaita bleibt fest in einem speziesistischen Weltbild verhaftet, in dem
der Mensch das Vorrecht hat, den Wert anderer Lebewesen aus
Willkür heraus festzulegen. Kaum überraschend
lässt er wenig Verständnis für Vegetarier,
geschweige denn Veganer
erkennen. Selbst Albert Schweitzer, der den Satz prägte: "Ich
bin Leben inmitten von Leben, das leben möchte",
ist für ihn bei aller Hochachtung "nicht
nachvollziehbar". Raimond Gaita verharrt in seinem
Bewertungsschema, wonach die Wertbestimmung eines Lebewesens im
subjektiven Empfinden des Homo sapiens bleiben soll.
In früheren Zeiten glaubte die Menschheit, die Erde stehe im
Zentrum des Alls, alles rotiere um sie. Mittlerweile ist es Faktum,
dass der blaue Planet in all seiner Schönheit ein
unbedeutender Winzling in einem gigantischen Ganzen ist. Was
für den Makrokosmos Weltall gilt, gilt auch für den
Mikrokosmos Erde - vor allem für die Interaktion aller darauf
befindlicher Lebewesen. Jedes hat an sich seinen
Eigenwert, unabhängig davon, ob die dominierende "vernunftbegabte" Spezies Homo
sapiens dies anders betrachtet oder nicht. So
interessant "Der Hund des Philosophen" zu lesen
ist, so unerträglich wird es immer dann, wenn der Mensch als
Maß aller Bedeutung zum Vorschein kommt ...
(lostlobo; 07/2004)
Raimond Gaita: "Der Hund des Philosophen"
Aus dem Englischen
von Christian Weller.
Rogner & Bernhard, 2003. 272 Seiten.
ISBN 3-8077-0141-9.
ca. EUR 15,-. Buch bei amazon.de bestellen
Ergänzende
Buchempfehlung:
"Romulus, mein Vater"
Raimond Gaita wanderte im Alter von vier Jahren mit seinen
Eltern nach Australien
aus. 1996 starb sein Vater, dessen Respekt und Wertschätzung
vor allem Menschlichen ihn tief geprägt hatten. Gaita
entschloss sich, die Geschichte seines Vaters Romulus aufzuschreiben,
aus Dankbarkeit. Erzählt wird einfühlsam und zugleich
schonungslos die turbulente, konfliktreiche Geschichte einer
Einwandererfamilie in Australien. Die Sprache ist schlicht und
unprätentiös, die spärlichen Kommentare
luzid und trotz der Härte des erzählten Schicksals
nie verbittert. Gaita versteht es, in der Geschichte seines Vaters, die
auch seine eigene ist, erschütternde Begebnisse und
herzzerreißende Episoden, tiefstes Elend und höchste
Lebenslust zu verbinden. "Romulus, mein Vater" war bei Erscheinen 1998
ein Verkaufsschlager in Australien und erhielt den Nettie Palmer Prize
for Non-Fiction sowie den Victorian Premier's Literary Award. (Residenz)
Buch
bestellen