Sabine Appel: "Arthur Schopenhauer"

Leben und Philosophie


Arthur Schopenhauer: genial und garstig

Dr. Sabine Appel legt nun nach ihrer im Februar 2006 erschienenen Biografie der Madame de Staël die zweite Vita einer herausragenden Person dieser Epoche vor: Arthur Schopenhauer. Durch seine Herkunft, seinen Werdegang und seine Rezeption bietet das Verständnis seiner Person und seines Werkes einen Schlüssel zu einer Epoche des Übergangs, von Bürgertum über Revolution zur Konterrevolution, von der Klassik über die Romantik zum Realismus, und hinsichtlich seines Werks und der Rezeption von der Aufklärung bis hin zur Moderne. Das erzeugt Neugierde.

Vita
Als das Leben Arthur Schopenhauers sich 1860 zweiundsiebzigjährig seinem Ende näherte, war er auch seinem Lebensziel sehr nahe gekommen, einem Ziel, für das er so lange gefochten und gestritten hatte: Anerkennung als Philosoph. Als sich der Erfolg endlich einstellte, wurde Schopenhauer sogar umgänglicher, manchmal richtig "freundlich", wie berichtet wird. Und das war beileibe nicht immer so, eher kann man das Gegenteil behaupten.

Es fällt schwer charakterisierende Worte zu finden, ohne sich nicht prima vista dem Verdacht der üblen Nachrede auszusetzen. Und das erschwert die Lektüre dieses Buches teilweise, denn die Sympathien für den solchermaßen Biografierten sinken streckenweise von Seite zu Seite, obwohl die Lektüre seiner Aphorismen zur Lebensweisheit beispielsweise aus der Distanz einen durchaus angenehmen Eindruck hinterließen. Was war passiert?

Nachdem 1818 Schopenhauers Opus Magnum "Die Welt als Wille und Vorstellung" erschienen war, bewarb er sich mit großem Selbstbewusstsein als Professor für Philosophie in Berlin, wo Hegel als Dekan der philosophischen Fakultät wirkte. Er erhielt seine Lehrberechtigung und positionierte seine Vorlesungen zeitgleich als direkte Gegenveranstaltungen zu denen Hegels, der damalig unangefochtenen Nummer 1 der deutschen Philosophie. Der wissenschaftlichen Anonymität entstiegen griff Schopenhauer sofort nach den Sternen, nur es verirrte sich nahezu niemand in seine Veranstaltungen. Bereits nach einem Semester stellte er die Vorlesungen ein. Von nun an war sein Verhältnis zu Hegel und dem kompletten Rest der Schulphilosophie gestört, oder besser zerstört. Er betonte, dass echte Philosophie nur unabhängig von Politik und Mode entstehen könne. Die Ausbildung zukünftiger Ministerialen in philosophischen Vorlesungen sei pure Sophisterei, habe mit echter Philosophie soviel zu tun wie Prostitution mit echter Liebe. Daraus folgte notwendig, dass ein echter Philosoph niemals im Sold einer Regierung stehen dürfe - und wen hatte er da wohl als echten Philosophen im Sinn? Aber Schopenhauer desavouierte damit letztlich auch Kant, eines seiner Vorbilder.

Dabei begann es für Arthur Schopenhauer eigentlich recht gut. Er wurde 1788 in eine erfolgreiche Danziger Kaufmannsfamilie hinein geboren, die jedoch nach der Annektion Polens durch Preußen nach Hamburg umzog. Sein Vater hatte natürlich Nachfolgepläne und hätte es gerne gesehen, wenn Sohnemann in seine Fußstapfen getreten wäre. Doch dieser zeigte eine größere Neigung zu einer Universitätsausbildung. Angesichts einer geplanten längeren Reise der Familie durch Europa stellt ihn der Vater jedoch vor die Wahl, entweder mitzureisen und später eine Kaufmannslehre zu absolvieren oder zuhause zu bleiben und Abitur zu machen. Die Verlockung der Grande Tour wog schwerer als die Neigung zum Studium, und so bereiste man Europa mit längeren Aufenthalten in London, Paris, Brüssel und Danzig. Bald nach der Rückkehr nach Hamburg im Jahre 1805 starb der gelegentlich schwermütige Vater - vermutlich durch Selbstmord.

Mutter Johanna zog nach dem Tod des Ehemanns mit Schwester Adele nach Weimar, wo sie einen Salon führte, in dem selbst Goethe regelmäßig verkehrte. Der junge Schopenhauer machte sein Abitur, studierte in Göttingen Medizin, dann Philosophie und wurde 1913 an der Universität Jena promoviert. In Berlin hörte er dann kurz Fichte und Schleiermacher, wobei des Ersten Nationalismus und des Zweiten Religiosität ihn recht schnell verjagten.

In Weimar verkrachte er sich mit seiner Mutter - gründlich wie dauerhaft - und verfasste "Die Welt als Wille und Vorstellung". Nach dem bereits erwähnten Misserfolg in Berlin unternahm er eine längere Italienreise und wurde Privatgelehrter, nachdem er sich erfolglos an anderen Universitäten beworben hatte. Die Choleraepidemie, der Hegel zum Opfer viel, trieb ihn 1831 nach Frankfurt, wo er nahezu dreißig Jahre lang blieb. Es folgten zwei Akademieschriften sowie sein Alterswerk "Aphorismus zur Lebensweisheit", die 1851 in der größeren Publikation "Parerga und Paralipomena" erschienen.

Die Welt als Wille und Vorstellung
Neben gründlichen Kenntnissen der Schriften Kants, Platons und der altindischen Sanskrit-Literatur könne man dieses 1818 abgeschlossene Werk nicht angemessen verstehen, schrieb Schopenhauer. Im Übrigen müsse man das Buch zweimal lesen, da das Ende in den Anfang übergreife.

"Die Welt ist meine Vorstellung" heißt es da. Dahinter steht die Erkenntnis, dass wir nur mittelbares Wissen über die Welt besitzen können. Unser Gehirn verknüpft die Signale der Sinne zu einer Vorstellung der Welt, und nur in dieser Vorstellung existiere diese; die Idee eines "Dings an sich" lehnt Schopenhauer ab. Die Welt als ständig Werdendes und nie nur Seiendes. Die Bewegkraft alles Werdenden nennt er den Willen, und auch in den Kräften der Natur sieht er einen Willen. Dieser Wille gestaltet sich übrigens nicht so frei, wie man ihn von heutigen Sprachgebrauch vermuten würde, denn Schopenhauer formulierte auch: "Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will." Die Welt ist an sich Wille. Die Welt ist für mich Vorstellung. Beides bedingt einander. Die Welt ist die Selbsterkenntnis des Willens. Appel: "Das Wesen der Welt ist ein blinder, unersättlicher Drang, reine Triebenergie, ein Streben ohne Zweck und Ziel."

Der Wille selbst ist blind und kann bestenfalls durch Erkenntnis ergänzt, korrigiert werden, aber nie die Grundrichtung des Willens verändern. Schopenhauerscher Pessimismus pur. So sieht er auch Werden und Vergehen als Perpetuum Mobile des Willens. Beim Menschen ist der Charakter ursächlich für das Wollen, wobei zwischen dem empirischen und dem intelligiblen Charakter unterschieden wird. Nur der intelligible Charakter ist frei, dem empirischen sind wir mehr oder weniger ausgeliefert.

Fazit
Man fragt sich gelegentlich während der Lektüre der pausenlosen Misanthropie des Arthur Schopenhauer, ob man das wirklich alles wissen will, wissen muss. Doch spätestens wenn die Autorin gegen Ende des Buches noch einmal Schwung nimmt, um Aufstieg und Ende des Arthur Schopenhauer zu beschreiben, zeichnet sich das große Bild ab. Voltaire und Rousseau erschließen sich auch nicht, wenn man deren Garstig- und Absonderlichkeiten ausklammert. Schopenhauer war unstrittig ein großer Geist, (neben den klassischen Sprachen sprach er auf hohem Niveau englisch, französisch, italienisch und spanisch), und vermutlich den meisten gelehrten Zeitgenossen weit überlegen. Das wird er auch gewusst, zumindest geahnt haben. Dass nun nicht alle Welt vor Ehrfurcht auf die Knie fiel, ließ ihn verbittern und auch ungerecht werden. Inwieweit die teils skurrilen Vorstellungen zu zwischenmenschlichen Themen nur seiner Verbitterung geschuldet sind, muss wohl offen bleiben. Den alten Miesepeter ständig mit dem vertrauten Arthur anzusprechen, findet der Rezensent jedenfalls eine Spur zu vertraut, das hätte dieser sich sicherlich verbeten.

Es klang bereits an, verdient aber gesonderte Erwähnung: Schopenhauer war der Wegbereiter des Buddhismus in Deutschland.

Auch wenn sein Werk und die geistigen Strömungen der Zeit in dem vorliegenden Buch zumindest grundlegend dargestellt sind, liegt der Fokus eindeutig auf dem Leben Schopenhauers. Insofern empfiehlt sich das Buch als Ergänzung zu Rüdiger Safranskis bereits 1988 erschienenem Buch "Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie" (siehe "Buchtipp"). Sich zu den bedeutenderen Personen zweier Biografien zu bedienen, ist ohnehin eine gute Idee, findet der Rezensent ...

(Klaus Prinz; 08/2007)


Sabine Appel: "Arthur Schopenhauer. Leben und Philosophie"
Artemis & Winkler, 2007. 310 Seiten.
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Die Germanistin und Sachbuchautorin Sabine Appel wurde 1967 geboren.

Zwei weitere Buchtipps:

Rüdiger Safranski: "Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie"

"Dieses Buch blickt zurück auf eine versunkene Welt, als die Philosophie noch einmal, zum letzten Mal vielleicht, in prächtiger Blüte stand. Die 'wilden Jahre der Philosophie': Kant, Fichte, Schelling, die Philosophie der Romantik, Hegel, Feuerbach, der junge Marx. So erregend und erregt war eigentlich noch nie gedacht worden. Schopenhauer kommt aus den 'wilden Jahren der Philosophie' und ist doch aufs Erbittertste mit ihnen verfeindet. Er steht quer zu seiner Zeit. Nicht die Kunst des Machens beseelt ihn, sondern die Kunst des Nachlassens: eine ergreifende Philosophie der Handlungshemmung entwirft dieser 'rationalste Philosoph des Irrationalen' (Thomas Mann)." Rüdiger Safranski
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Angela Steidele: "Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens"
Adele Schopenhauer - Schriftstellerin, Künstlerin, die Schwester des Philosophen Arthur Schopenhauer - und die "Rheingräfin" Sibylle Mertens-Schaaffhausen verband eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit den dazugehörigen Höhen und Tiefen. Seit 1828 waren sie ein Paar: "am besten vergleichst Du uns ein paar Leuten, die sich spät finden und dann einander heiraten. Stürbe sie - so spräng ich jetzt in den Rhein, denn ich könnte nicht ohne sie bestehen", schrieb Adele ihrer Freundin Ottilie von Goethe.
Sibylle Mertens war eine der gebildetsten Frauen ihrer Zeit, Musikerin, Komponistin, Archäologin, Antikensammlerin und Mäzenin. Ihre Salons in Bonn und Rom waren berühmt. Vom Vater an einen ungeliebten Mann verheiratet, pflegte sie Zeit ihres Lebens intensive Beziehungen zu Frauen. Adeles Leben mit Sibylle Mertens wurde so nicht nur von deren Ehemann und ihren sechs Kindern beeinträchtigt, die ihre Beziehung als "Unrecht, Wahnwitz, Tollheit" torpedierten. Auch Sibylles Hang zu neuen Eroberungen ebenso wie ihre enge Freundschaft zu Annette von Droste-Hülshoff lasteten schwer auf Adele. Aber selbst nach einer mehrjährigen Trennung fanden sie wieder zusammen.
Anhand vieler bisher unveröffentlichter Quellen erzählt Angela Steidele die Geschichte zweier ungewöhnlicher Frauen: Pionierinnen, die in Wissenschaft und Kultur, Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt in ihrem Privatleben Grenzen einrissen - zu einer Zeit, als es Liebe zwischen Frauen offiziell gar nicht geben durfte. (Insel)
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