Uwe Tellkamp: "Der Eisvogel"
(K)ein Knaller: Raffiniert gewürzter Eintopf oder zusammengefallenes Soufflee?
Zwei Schüsse, flach
und scharf, sehr
schnell hintereinander schmetternde Detonationen, Echos, in
einen
einzigen Knall gejagt in der Lautstärke von
Hammerschlägen, die mit aller Kraft gegen ein frei
hängendes Blech donnern, dann widerspricht die Erinnerung,
schneidet ein Stück Zeit heraus und dehnt es quälend:
Mauritz senkte den Kopf, als die erste Kugel ihn in die Brust
traf, die
Wunde war ein pfenniggroßer Punkt neben dem Brustbein, der
sich langsam ausbreitete, langsam, wie Mauritz den Kopf hob,
um mich
anzustarren, überrascht, grenzenlos überrascht, mit
einem sonderbar freimütigen, fast erleichterten Ausdruck im
Gesicht, als ich zum zweiten Mal abdrückte, der zweite
Schuß traf ihn unter dem Auge und zerriß sein
Gesicht, ich hatte nicht dorthin gezielt, ich erinnere mich an
die
Kälte des brünierten Metalls in meiner Hand, das
kalte helle Klirren der ausgeworfenen Patronenhülsen auf dem
Betonboden der Lagerhalle in der stillgelegten Fabrik für
Eierteigwaren, sehe die Pistolenmündung in die Mitte von
Mauritz’ dunklem Mantel gerichtet, ich wunderte mich, Herr
Verteidiger, daß ich sowenig Gewalt über die Waffe
hatte, wunderte mich im selben Moment schon über diesen
Gedanken, pervers, an so etwas zu denken, jetzt, du hast einen
Menschen
erschossen und wunderst dich darüber, wieso die Pistole in
deiner Hand macht, was sie will und nicht das, was du willst,
vielleicht war das eine Reaktion, um alles in den Traum, den
Albtraum
zurückzuholen, in den es gehörte, gehören
mußte; absurd, eine Szene aus einem Film in der Wirklichkeit
zu erleben und sie wieder in einen Film verwandelt zu
erinnern, (...) |
Uwe Tellkamps Roman
war im Jahr
2005 unter den für den Preis der Leipziger Buchmesse
nominierten Titeln in der
Kategorie "Belletristik", ebenso wie auch "In seiner frühen
Kindheit ein Garten" von Christoph
Hein, "Vienna!" von Eva Menasse,
"Alle Tage" von Terézia Mora und "Endlich Stille" von
Karl-Heinz
Ott. Über den Preis durfte sich
schließlich Terézia
Mora, die
Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 1999, freuen. |
Dass
Soufflees bei Abkühlung gnadenlos in sich
zusammenfallen, ist kein Geheimnis. Dass es sich hinsichtlich des
Vermarktungsrummels um Träger des Bachmann-Preises nicht
selten ähnlich
verhält, ebensowenig. Allzu oft erweist sich die Auszeichnung
als Strohfeuer,
und manche Preisträger bleiben Eintagsfliegen im
Literaturbetrieb. Nur wenige
Vorlesesieger konnten sich dauerhaft etablieren. Erinnern Sie sich noch
an die
Gewinner der letzten Jahre? (1997: Norbert Niemann, 1998: Sibylle
Lewitscharoff,
1999: Terézia Mora, 2000: Georg Klein, 2001: Michael Lentz,
2002: Peter Glaser,
2003: Inka Parei.)
"Der Eisvogel", Tellkamps mit Spannung erwarteter Roman, im
Frühling
2005 bei Rowohlt erschienen, will den professionellen
Literaturvorkostern nicht
so recht schmecken; gierig geschluckte Vorschusslorbeeren haben ihnen
anscheinend den Appetit verdorben.
Der Verlag über das Buch: "Wiggo Ritter, ein junger Mann mit
denkbar besten Voraussetzungen für eine Traumkarriere, ist ins
Abseits geraten.
Dem Vater, einem erfolgreichen Bankier, wollte er nicht nacheifern, und
seine
akademische Laufbahn als Philosoph ist gescheitert, weil er keine
Kompromisse
eingehen kann. Einsam, arbeitslos, doch mit ungebrochenem Stolz fristet
er
zwischen skurrilen Jobs und so seltenen wie flüchtigen
Liebschaften ein
Schattendasein. Unverhofft fällt Licht in dieses Dunkel, als
Wiggo den
charismatischen Geschwistern Mauritz und Manuela begegnet: zwei perfekt
getarnten Terroristen, Mitgliedern einer konservativen Organisation,
die eine
neue Elite inthronisieren will. Ihnen scheint Wiggo, der nichts mehr zu
verlieren hat, der ideale Verbündete zu sein. Doch dann
verliebt sich dieser Außenseiter
ausgerechnet in Manuela - und gefährdet damit nicht allein die
gesamte
Organisation, sondern vor allem sich selbst.
Uwe Tellkamps kraftvoller, poetischer Roman birgt einen dramatischen
Vater-Sohn-Konflikt, eine schonungslose Gesellschaftsanalyse, eine
verhängnisvolle
Liebesgeschichte
- und raffiniert eingesetzte Elemente eines literarischen
Thrillers."
Einzelne Literaturkritiker gestehen Tellkamp immerhin handwerkliche
Fähigkeiten
zu, beschwören sein Potenzial, andere beanstanden des
Schriftstellers plakative
bis pathetische Phrasendrescherei. Einmütig wird der Thematik
an sich (Terror
einer rechten Elite) sowie dem temporeichen Stil grundsätzlich
Anerkennung
gezollt. Dennoch wird die Handlung als trivial eingestuft, und der
enttäuscht
klingende Grundtenor der Rezensenten lautet, "Der Eisvogel" sei eine
banale, klischeehafte Konstruktion, langweilig obendrein und wirke
insgesamt
überangestrengt. Kurzum kein Knaller.
Mediales Echo wurde Uwe Tellkamp also auch diesmal zuteil, wenngleich
gewiss nicht erwarteten Klanges.
(Felix Grabuschnig; 03/2005)
Uwe
Tellkamp: "Der Eisvogel"
Rowohlt, 2005. 320 Seiten.
ISBN 3-87134-522-9.
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