Volker Reiche
Der Zeichner und Autor der regelmäßig in der F.A.Z. erscheinenden "Strizz"-Comicstrips war gerne bereit, ein Mail-Interview zu machen. Als Fragensteller fungierte Jürgen Heimlich. Im April 2004.
Lieber Herr Reiche; ich muss gestehen, ich bin ziemlich begeistert von "Strizz". Als Österreicher hatte ich nichts von dem Comic-Strip, der fünfmal die Woche in der F.A.Z. erscheint, gehört, bis ich die Sendung "Lesen" von Frau Heidenreich sah! Gibt´s auch Fans aus Österreich, die Ihnen schriftlich oder per Mail positive Rückmeldungen zukommen lassen?
Ab und zu bekomme ich aufmunternde Mails auch aus Österrreich. Am literarischen Preisrätsel - das zweimal stattgefunden hat zur Zeit der Frankfurter Buchmesse - haben etliche Österreicher teilgenommen, eine Wiener Dame hat sogar einen Preis gewonnen!
"Strizz" thematisiert ja intensiv (wenn ich mal vom ersten Band ausgehe) oft sehr aktuelle politische Themen. Insbesondere die Innenpolitik Deutschlands. Da ich ja die "Strizz"-Zeit von Anfang 2003 bis dato nicht kenne, wäre es interessant, zu erfahren, ob im einen oder anderen Comic-Strip die politische Landschaft Österreichs bzw. ein anderes Thema mit Österreich-Bezug angeschnitten wurde?
Nein, ist bisher nicht vorgekommen. Das hat damit zu tun, das meine Figuren vor deutschen Fernsehgeräten sitzen, und da kommt Österreich zwar immer mal wieder vor, aber über eigene Skandale kann man sich einfach besser aufregen!
Die Figur "Strizz" ist ziemlich widersprüchlich in der Charakterzeichnung. Einerseits liebenswürdig, zuvorkommend, verspielt, kinderlieb, andererseits arbeitsunwillig, übertrieben kritisch, selbstverliebt bis zum Narzissmus, unzuverlässig (das ist natürlich nur ein Ausschnitt aus der vielfältigen Persönlichkeit der Hauptfigur). Gibt´s für diesen Charakter ein Vorbild?
Nach meinem Eindruck verhalten sich viele Leute ganz und gar unterschiedlich im Beruf und zu Hause. Natürlich nicht die Freiberufler, die selbständig zu Hause arbeiten, aber diejenigen, die am Morgen mit gemischten Gefühlen zu ihrer Arbeitsstelle aufbrechen. Die Verhaltensweisen des Herrn Strizz, die Sie sehr schön beschrieben haben, haben aber auch sehr viel damit zu tun, mit wem er gerade redet: ein Chef ist ein Chef, ein kleiner Neffe ist ein kleiner Neffe! Da liegen Welten dazwischen. Und Vorbild? Nein, ich habe niemanden direkt im Auge oder Sinn, wenn ich Strizz agieren lasse, aber - seufz! - damals, als ich jünger war, hätte mancher mich für Strizz halten mögen. Und heute eher für Herrn Leo. Vor kurzem habe ich eine Stunde im Rundfunk geplaudert. Als ich es mir nachher anhörte, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß ich mehrfach harsch - gleich Herrn Leo - beschied: "Das ist Unfug!"
Es erscheint ja, wie gesagt, fünf Mal die Woche der "Strizz"-Comicstrip. Zeichnen und texten Sie die Comic-Strips jeweils am Tag, bevor er in der F.A.Z. erscheint, oder kann es auch mal vorkommen, dass Sie sozusagen "vorzeichnen"?
Ich hätte gern etliche Folgen in der Schublade, habe das einfach noch nicht geschafft. Die FAZler sind nicht gerade erbaut davon, daß ich noch nicht einmal einen NOTFALL-STRIZZ ( für Computerabstürze oder dergleichen ) bei Ihnen gelagert habe. Für die tagesaktuellen Folgen ist es natürlich nett, daß ich eine Folge erst eine Stunde vor dem Drucktermin abgebe.
Für einen Comic-Strip hat "Strizz" eine erfrischende literarische Note. Schrieben bzw. schreiben Sie auch immer wieder prosaische Texte bzw. könnte es sein, dass Sie mal einen Roman oder Erzählband verwirklichen werden?
Da ich immer und ohne Ausnahme die Comics, die ich gezeichnet habe, auch selbst geschrieben habe, hatte ich schon mit dem Comicschreiben in den letzten dreißig Jahren viel zu tun. Aber wie viele fanatische Bücherleser habe auch ich einen angefangenen Roman im Schubfach liegen - I can tell you - just great!
"Strizz" hat bezüglich der Fußballweltmeisterschaft 2002 äußerst patriotische Gefühle. Da tritt ein klar zur Schau gestellter "Nationalstolz" hervor. "Strizz" neigt aber ebenso zu kritischer Reflexion innenpolitischer Geschehnisse. Entspricht das möglicherweise dem "typischen" deutschen "Passivsportler", der Erfolge deutscher Sportler zu huldigen versteht (ich denke da an den absurden Hannawald-Hype) - ansonsten aber nicht unkritisch ist - und lassen Sie möglicherweise so manchen Landsmann damit in den eigenen Spiegel schauen?
Nationalstolz für deutsche Sportler - wenn sie erfolgreich sind - : ich kenne in meiner näheren und ferneren Umgebung niemanden, der frei davon ist ( he, ich rede nicht von den Damen, da gibt's viele, die da nicht mitziehen! ). Ebenso klar ist, daß mäßig erfolgreiche Sportler blitzartig als Komiker, Nervensägen und Gurkentruppe beschimpft werden und der Nationalstolz verzischt wie eine Silvesterrakete.
Genial ist das "Literaturpreisrätsel", wo ja Originale Ihrer Comic-Strips gewonnen werden konnten. So manche Lösung wäre mir schwer gefallen bzw. hätte ich sicher lange rätseln müssen. Gingen bezüglich des Gewinnspiels sehr viele richtige Lösungen ein, oder gab´s eine hohe Anzahl an falschen Antworten? Und was noch wichtiger ist: Wieviele Menschen hatten das Glück, in den Besitz eines der Originale zu kommen?
Es gibt einen sehr hohen Prozentsatz an richtigen Lösungen, ungefähr 95 %. Das liegt schlicht und ergreifend an den Segnungen des Internets. Wer einigermaßen in der Lage ist, Suchbegriffe in Suchmaschinen einzugeben, hat jedes Rätsel in Nullkommanichts gelöst. Läßt sich schwer etwas dagegen machen. Beim ersten Rätsel gab es zwanzig kleine originale Zeichnungen zu gewinnen, beim zweiten ein großes originales STRIZZ-Gemälde.
Die Arbeitslosigkeit wird in "Strizz" ziemlich oft thematisiert. Ein Thema, das leider heutzutage immer mehr Gewicht bekommt. Wie stehen Sie zur diesbezüglichen Entwicklung, und glauben Sie, dass in naher Zukunft durch ein Umdenken in Bezug auf den Wert von Arbeit eine klare Besserung der Situation eintreten könnte bzw. dass so ein Umdenken überhaupt stattfinden wird?
Arbeit ist in der Regel wirklich wichtig für das Selbstgefühl. Begnadete und zufriedene Faulenzer sind selten. Ich glaube nicht, dass sich das in naher Zukunft ändern wird oder auch nur ändern sollte. Eine ganz andere Frage ist, ob es sich immer um bezahlte Arbeit handeln muss. Aber ich muß hier sehr vorsichtig sein, nicht von mir auf andere zu schließen: es ist einfach ein himmelweiter Unterschied, fröhlich am Zeichentisch zu sitzen oder einen ungeliebten Job zu machen.
Ist voraussehbar, wie lange Sie noch an "Strizz" arbeiten werden? Können Sie sich vorstellen, diese Serie in ein, zwei Jahren zu beenden und ein neues Comic-Strip-Projekt anzugehen?
Eigentlich habe ich vor abzuwarten, wann mich die FAZ rausschmeißt. Ich bewundere die Jungs in Amerika, die ihre Comicfiguren tapfer und oft mit Glanz durch die Jahrzehnte geschickt haben. Das wird bei mir ohnehin nicht geschehen, aber einige Jährchen sollen es schon noch werden. Mon dieu, ich habe doch gerade erst angefangen, ein bisschen von Herrn Strizz zu erzählen!
Abschließend noch eine sportliche Frage an Sie: Sie werden ja sicher heuer die Fußballeuropameisterschaft thematisieren. Was ist ihr Tipp für den neuen Europameister, und wie wird Ihrer Meinung nach Deutschland abschneiden? Und glauben Sie, dass Österreich mal in der Lage sein wird, aus eigener Kraft die Qualifikation zur Europameisterschaft zu schaffen?
Tut mir leid, ich folge den Übertragungen der Spiele mit Vergnügen, aber es kommt mir einfach nicht in den Sinn, mir einen möglichen Turniersieger vorzustellen. Ich halte es für möglich, dass unsere reichlich minimalistische Truppe weit kommt, gewinnen wird sie nicht. Selbstverständlich wird Österreich die nächste Qualifikation schaffen! ( Allerdings, wenn ich dann in einem weitläufigen halbdunklen Wiener Café sitze, draußen reges Touristengetrappel, drinnen zeitlose Ruhe, dann denke ich: " Die Österreicher? Aber woher denn?!"
Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und grüße Sie im Namen aller österreichischen "Strizz"-Fans!
Ich bitt' Sie, das ist doch selbstverständlich!