Mira Lobe: "Die schönsten Tiergeschichten"
Die große Schriftstellerin Mira Lobe
hätte im September 2003 ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass
wurde eine Neuauflage der schönsten Bilderbücher von Mira Lobe gestartet. Ich
war richtig aufgeregt, dieses Buch aus meiner Kindheit wieder in Händen zu
halten um es meinem Sohn vorzulesen. Wie wird es sein, die Geschichte
vorzulesen? Welches Tier wird ihm am besten gefallen? Was wird er zu dem
Hochwasser sagen? Was zu den Zeichnungen? Ich bin von Anfang an sofort wieder
eingetaucht in die Bilder und die Geschichte. Jetzt, als Erwachsene, bin ich
ganz verblüfft von der Geradlinigkeit der Sprache, ihrem Zug und ihrer Kraft -
und auch der plötzlichen Sanftheit.
Es regnete.
Es
rieselte und rauschte. Es planschte und plätscherte.
Die Katze saß oben
im Baum.
Ringsum war Wasser.
"Jetzt ist es genug!", sagte die
Katze.
"Jetzt soll es aufhören!"
Spätestens hier fiebert
man bereits mit (und das war erst die erste Seite). Der Baum der Katze kippt um
- und ich fand mich in der Situation, meinem kleinen Sohn Umweltkatastrophen,
Überschwemmungen und ähnliches zu erklären - aber die Katze kann dieser
tragischen Seite des Lebens doch etwas Positives abgewinnen.
"Jetzt
mache ich eine Reise", sagte die Katze.
"Und das ganze Schiff gehört
mir!"
Aber nicht nur die Katze treibt auf den Wellen herum - Seite
für Seite gesellt sich ein weiteres Tier hinzu. Zu jedem Tier spricht die Katze
ihre berühmten Worte: "Komm!", sagt die Katze.
Mira Lobe lässt
einen Prosatext wie ein Kindergedicht wirken. Uralte tradierte Formen, die der
Wiederholung von Satzstrukturen und des Kettenreimes (hier in einem Prosatext
will ich es "Wortwiederverwendung" nennen), lassen die Geschichte sich tief in
den kleinen Zuhörer-Leser eingraben.
So finden Schwein, Hund, Hahn
und Henne, Schaf und Maus, Kaninchen, Eichhörnchen und Igel und Maulwurf, und -
Moment zu diesem Gesellen kommen wir noch - Zuflucht auf dem schwimmenden
Baumstamm der Katze. Jedes dieser liebevoll ausgewählten Tiere hat seinen
eigenen Charakter. Die Katze ist als Baumbesitzerin diejenige, die das Machtwort
sprechen kann. Sie gibt ein gutes Beispiel, wenn sie der Maus versichert, dass
sie ihr nichts tun wird und beschließt die Dinge, die zu tun sind. Das Schwein,
es ist der zweite Passagier, hat immer was zu grunzen. Vielleicht, weil es am
zweitlängsten auf dem Baumstamm mitreist, oder einfach weil es ein lustiger
Geselle ist. Rund um den Hund ist immer alles recht dramatisch. Mit letzter Not
rettet er sich auf den Baumstamm, und er wittert schon von weitem das Kaninchen
- das übrigens erst nach der Landung sein erstes Wort spricht. Die Maus ist
klein aber selbstbewusst. Sie ist die erste, die Jagdfreiheit auf dem Baumstamm
verhandelt und treibt die Landungsverhandlungen voran. Eine Piepsstimme, die
immer gehört wird. Der Hahn ist immer gleich laut am Krähen und Meinungsmachen.
Die Sorgen der Henne drehen sich wohl am meisten um sich selbst und ihr Ei, das
gelegt werden möchte.
Und dann ist da noch ER. Gerade als man glaubt
"Jetzt kommt keiner mehr!" "kam einer mit einem roten Fell und einer spitzen
Schnauze. "Der nicht!" - sind sich alle einig. Aufplustern und breitmachen ist
die Devise.
"Doch! Der auch!", sagte die Katze und half dem Fuchs
aus dem Wasser.
Sind Sie an dieser Stelle auf alle Warumfragen
Ihres Kindes vorbereitet? Können Sie Alltagsprobleme dieser Art für ein
Kleinkind begreiflich machen? Das ist nicht notwendig, finden Sie? Nun, dieses
Buch wird Ihnen so einiges abverlangen in diese Richtung. Seit diese Geschichten
geschrieben wurden, hat sich ja soooo viel geändert, Sie haben ganz
recht.
Aber noch einmal weg von diesen anstrengenden Themen. Die
vorletzte Seite der Geschichte ist meine Lieblingsseite. Ich will Ihnen nur das
Bild davon geben: ein Baumstamm auf dem Wasser schwimmend, mit der Krone schon
am Ufer, untergehende Sonne, die Popos sämtlicher sich auf diesem Gefährt
befindlicher Tiere sind dem Betrachter zugewandt, Schwänze in der Höhe, zum
Trocknen.
Ich habe gar nicht gewusst, dass man auf eine
Lieblingsseite aus einem Kinderbuch 30 Jahre (in meinem Fall) warten kann. Das
Lieblingstier meines Sohnes? Das Schwein. Er behauptet steif und fest, das
Schwein hätte die gute Idee, wie man wieder an Land kommt. Glauben Sie ihm
nicht, sondern lesen Sie selbst!
Dieser Sammelband beinhaltet noch
weitere Titel außer "Komm, sagte die Katze": "Komm, sagte der Esel", "Dann rufen
alle Hoppelpopp", "Die Yayas in der Wüste", "Lebe wohl, Fritz Frosch",
"Tiny".
Jede Geschichte ein Juwel in Wort und Bild. In diesem
großzügigen Sammelband sind also viele das Seelenleben bereichernde und
stärkende Geschichten und Erlebnisse enthalten.
(Die Prinzessin; 02/2004)
Mira Lobe: "Die schönsten
Tiergeschichten"
Illustriert von Angelika Kaufmann.
G & G
Jugendbuch, 2003. 160 Seiten. (Ab 3 J.)
ISBN 3-7074-0208-8.
ca. EUR 19,90.
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Lien:
http://www.miralobe.at/
Mira Lobe wurde am 17. September 1913 in Görlitz geboren. 1936
emigrierte sie nach Palästina und kehrte 1950 nach Europa zurück. Wien wurde
ihre Wahlheimat, wo sie 1995 starb. Sie verfasste mehr als 100 Kinder- und Jugendbücher
und erhielt viele Auszeichnungen.
Angelika Kaufmann stammt aus St. Ruprecht bei Villach und studierte an der Hochschule
für Angewandte Kunst in Wien. Ein Auslandsaufenthalt führte sie an die Akademie
der Schönen Künste in Krakau.
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