Michael Ende: "Jim Knopf und der Scheinriese"
"Ich
erscheine nur groß aus der Ferne"
Michael Ende nimmt kleinen Kindern ab vier Jahren die Angst vor dem
Fremden und Unbekannten
Wer kennt nicht das Lied von der "Insel mit zwei Bergen"?
Fiebernd saßen die Kinder vor dem Fernsehapparat, wenn die
"Augsburger Puppenkiste" die Reise von Jim Knopf und Lukas, dem
Lokomotivführer, in die Wohnzimmer brachte und dafür
sorgte, dass die kleine Monarchie Lummerland mit ihrem König
Alfons dem Viertel-vor-Zwölften einem sehr breiten Publikum
bekannt wurde. Inzwischen sind die Lukas-Abenteuer in der Gegenwart
angekommen und haben von ihrer Faszination bis heute nichts verloren:
es gibt Hörbücher, Kinofilme und DVDs.
Ursprünglich nur als kleine Geschichte zu einem Bilderbuch
gedacht, wurde schließlich ein 600 Seiten dickes Buch daraus.
1954 schrieb der leider viel zu früh verstorbene, junge
Michael Andreas Helmuth Ende diese fantasievolle, spannende,
kindgerechte und augenzwinkernde Geschichte. 1960, nach elf erfolglosen
Versuchen, fand das Manuskript endlich einen Verlag, wurde drei
Millionen Mal verkauft und in 25 Sprachen übersetzt. Heute
gibt es in Deutschland wohl kaum ein Kinderzimmer, in dem Endes
Bücher nicht vorhanden sind, oder in denen nicht mindestens
eine seiner Geschichten vorgelesen wurde.
Anlässlich seines 75. Geburtstages am 12. November 2004
startete eben jener Stuttgarter Thienemann Verlag eine
wunderschön gestaltete Sonderedition seiner Bücher.
Ganz im ursprünglichen Sinn des Autors fiel der nunmehr neunte
Band, "Jim Knopf und der Scheinriese", als wunderschönes
Bilder-Vorlesebuch für Kinder ab 4 Jahren aus. Gebunden in
robustes Halbleinen, illustriert in warmen erdigen Farben von Mathias
Weber nach den Originalen von F. J. Tripp und einem von Beate
Dölling nach Motiven des Autors überarbeiteten Text,
ist daraus ein wahres kleines Schmuckstück geworden.
"Lukas der Lokomotivführer, sein kleiner Freund Jim
und Emma,
die Lokomotive, sind schon lange unterwegs in einem fremden Land.
Die letzten Tage sind sie durch eine Wüste gereist.
In einer Wüste gibt es viel Sand,
kaum Wasser und es ist sehr, sehr heiß. (...)
Lukas und Jim schwitzen in der Wüstenhitze, und Hunger
haben sie auch. Die beiden Freunde klettern auf Emmas
Dach und holen die letzten Butterbrote aus dem Rucksack."
So beginnt das schmale Büchlein seine Erzählung, bei
der auf einmal ein riesengroßer Riese am Horizont auftaucht.
Der kleine Jim Knopf hat fürchterliche Angst, aber Lukas will
sich dem vermeintlichen Ungeheuer stellen, das bei näherer
Betrachtung eigentlich gar nicht so fürchterlich aussieht. "Mir
scheint, es ist ein ganz harmloser Riese", meint Lukas. Und
siehe da, je näher man dem Riesen kommt, desto kleiner wird er
(die Parallelen zur Gegenwart verblüffen: bis heute ein
verbreitetes Phänomen bei vielen prominenten Riesen). Am Ende
ist die Fata Morgana nur ein freundlicher alter Mann, der die beiden
Abenteurer nebst Lokomotive Emma in seine Oase ("Was ist eine
Oase?", fragt Jim, den der Mut schon wieder
verlässt) einlädt und ihnen leckeres Fladenbrot mit
Streichkäse serviert. Herr Tur Tur, so nennt sich der nette
Gastgeber, ist nämlich in Wirklichkeit nur ein Scheinriese und
erscheint nur aus der Ferne groß.
Die Themen, die Michael Ende in seinen Erzählungen behandelte,
galten immer dem Finden des eigenen Standpunktes. Mit Lukas, dem
Lokomotivführer, gelang ihm eine Figur, die
Märchenerscheinungen physikalisch erklärt, ohne ihnen
den Zauber zu nehmen. Wunderbar verstand es Ende, Rationalität
mit großer Humanität und Toleranz zu verbinden.
Dabei bewegen sich Komödie und Utopie immer parallel mit
Abenteuer und Lebensweisheit. So auch in diesem wunderschönen
Bilderbuch. Mit den wenigen, bildhaften, aber dafür umso
einfühlsameren Zeilen, die auch manch Erwachsenen durchaus
noch zum Nachdenken anregen können, erklärt der Autor
eine Fata Morgana und versucht, die Angst vor dem Fremden zu nehmen und
Toleranz und Hilfsbereitschaft zu vermitteln.
Als besondere Dreingabe ist dieses Buch übrigens auch mit
einer DVD zum Anschauen erhältlich. "Statt eines
herkömmlichen Trickfilms langsame Bildabfolgen und ruhige
Einstellungen, die im individuellen Tempo bestimmt werden
können. Mit Sprecher Christian Rode, bekannt als die Stimme
von Bert aus der 'Sesamstrasse'", so der Verlag.
Fazit:
Michael Endes Liebe galt dem geschriebenen Wort. Er war ein Lautmaler,
dessen Zeichnungen in Form von Worten und Beschreibungen in unsere
Herzen Einzug hielten. Dieses Büchlein ist ein Beitrag, dass
sie nicht verloren gehen. Denn in unserer technisierten, von Computern
beherrschten Zeit ist ein Träumer wie Michael Ende der
Hüter des verlorengegangenen Reiches der Fantasien.
(Heike Geilen; 02/2008)
Michael
Ende: "Jim Knopf und der
Scheinriese"
Thienemann Verlag, 2008. 32 Seiten. (Ab 4 J.)
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