Gila Almagor: "Alex, Dafi und ich"
Roman über die Freundschaft
Seit langem habe ich kein so schönes und anrührendes Buch mehr gelesen. Gila Almagor ist eine Schriftstellerin aus Israel, wo dieses wunderbare Jugendbuch auch spielt. Sie ist dort seit über 25 Jahren ehrenamtlich tätig in der Betreuung und Begleitung von krebskranken Kindern und ihren Familien. Diese ganze schwere und zutiefst menschliche Erfahrung ist in ihr neues Buch eingeflossen. Es ist ein Buch über wirkliche Freundschaft und über das Abschiednehmen. Und es ist ein Buch über das Geheimnis, wie Eines mit dem Anderen zusammenhängt, dass man einem anderen Menschen erst wirklich nahe sein kann, wenn man ihn loszulassen vermag. |
Alex Lerner war mein Freund, Alex Lerner war mein bester Freund. Ich
glaube, ich werde nie wieder einen so guten Freund haben wie ihn. |
Avner Magan ist zwölfeinhalb Jahre
alt. Er lebt als Einzelkind mit seinen Eltern in
Tel Aviv. Sein Vater ist Jurist und lehrt als Professor an der Universität.
Auch seine Mutter ist vom Fach und arbeitet bei Gericht. Avner spürt schon seit
längerer Zeit, dass die Beziehung zwischen seinen Eltern kriselt, und es macht
ihm Angst. In jenen Szenen, in denen Almagor die Gedanken und Gefühle Avners
seinen Eltern gegenüber beschreibt, zeigt sie mit viel Gespür, wie sensibel
und differenziert, aber auch mit wie viel Übernahme von Verantwortung Kinder
reagieren, um die Beziehung ihrer Eltern zu retten.
Avner spürt aber schon früh, dass er machtlos ist. In diesen Abschnitt
seines Lebens schneit von heute auf morgen ein Mensch in seinen Alltag,
mit dem ihn über acht Monate eine Freundschaft verbinden wird, die
Ihresgleichen sucht. "Alex Lerner war mein Freund, Alex Lerner war mein
bester Freund. Ich glaube, ich werde nie wieder einen so guten Freund
haben wie ihn."
Alex Lerner, mit seinen Eltern aus Russland nach Israel ausgewandert,
lebt mit seiner Mutter allein in einer kleinen Wohnung, nachdem sich
sein Vater von seiner Mutter scheiden ließ und mit einer anderen Frau
nach Amerika gegangen ist. Er kann deshalb seinem Freund Avner im
weiteren Verlauf der Handlung Avner gute und hilfreiche Tipps geben,
als dessen Vater wegen einer anderen Frau die Familie verlässt und
Avner darüber bald verrückt wird.
Kaum hat sich Alex Lerner etwas bei seinen Mitschülern eingelebt und
kaum haben ihn diese mit Hilfe der wundervollen Lehrerin Noga als einen
der Ihren aufgenommen, bricht er beim Sport zusammen und kommt ins
Krankenhaus. Diagnose: Alex hat Krebs. Nun beginnt die wirkliche
Bewährungsprobe einer Freundschaft zwischen drei Kindern
(Jugendlichen), in der jeder den Anderen auf seine Weise liebt, so
stark und intensiv, wie man in diesem Alter nur lieben kann. Alex, das
Mädchen Dafi und eben Avner, der lernt, seine Freundschaft zu den
Beiden über seine eigene Liebe zu Dafi zu stellen.
Gila Almagor schildert zunächst den Kampf der Lehrerin Noga um die Kinder in
ihrer Klasse und um ein menschliches Klassenklima, dann den Kampf von Kindern
und Erwachsenen gegen Alex' Krankheit mit einer Sprache und Einfühlsamkeit,
die mich sehr angerührt hat. Über viele Seiten sind mir beim Lesen Tränen der
Betroffenheit das Gesicht hinuntergeflossen. Ich habe versucht nachzuspüren,
woher eine solche starke Emotion kommt, und habe herausgefunden, dass es nicht
die Krankheit und der tapfere Kampf der beschriebenen Menschen dagegen war,
sondern die innere Haltung dieser Menschen, die in einem Land leben, das sich
quasi in einem permanenten Kriegszustand befindet und dessen Kinder täglich
in ihren Schulen und Bussen von tödlichen Terroranschlägen bedroht sind. Eine
innere Haltung, die viel Menschlichkeit ausstrahlt, viel Hoffnung auf das Mitgefühl
setzt. An manchen Stellen habe ich mich kritisch gefragt: Hatte Gila Almagor
Vorbilder für ihre Figuren? Gibt es eine solche Lehrerin wie Noga? Gibt es zwölfjährige
Kinder wie Alex, Dafi und Avner, die so differenziert denken und handeln können?
Gibt es Eltern,
die über alle Krisen hinweg den echten Kontakt zu ihren Kindern halten und sie
als tatsächliche Lebenspartner mit eigenen Zielen und eigenem Willen sehen können?
Als Vater eines zweijährigen Sohnes hoffe ich, dass es solche
Menschen wirklich gibt. Ich wünsche es ihm und ich wünsche es mir
selbst, dass wir zu solchen Menschen werden können und auch solchen
begegnen auf unserem Lebensweg. Ich wünsche mir gelingendes Leben, auch
wenn
sich der Tod dazwischen stellt.
Ein Buch, das solche Gefühle und Wünsche, solche Gedanken und
Sehnsüchte auslöst, kann man nur weiterempfehlen.
(Winfried Stanzick; 10/2005)
Gila Almagor: "Alex, Dafi und ich"
Aus dem Hebräischen von Mirjam
Pressler.
Hanser, 2005. 222 Seiten. (Ab 12 J.)
ISBN 3-446-20644-2.
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