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Der Lämmergeier

Jetzt stand der Lämmergeier vor der Versammlung, der Schattenspender, dessen Schatten den Königen Pracht verleiht. Deshalb hat er den Namen "Humayun", der Glücksbringer, erhalten, denn er ist ehrgeiziger als alle anderen Geschöpfe. "Vögel des Wassers und des Landes", sagte er, "ich bin nicht so wie ihr. Mich treibt ein großer Ehrgeiz an, und um ihn zu befriedigen, habe ich mich von den anderen Lebewesen dieser Erde abgesondert. Ich habe den Hund der Begierde unterworfen, und deshalb sind Feridoon und Jamshid geehrt. Mein Schatten erhebt Menschen zu Königen, doch Leute, die das Wesen eines Bettlers haben, behagen mir nicht. Ich gebe dem Hund meiner Begierde einen Knochen und bringe meinen Geist vor ihm in Sicherheit. Wie können die Menschen den Kopf von jenem Vogel abwenden, dessen Schatten einen Menschen zum König macht? Alle suchen Zuflucht unter meinen Flügeln. Brauche ich die Freundschaft des vornehmen Simurgh, wenn ich selbst königliche Macht besitze?"
"Oh, Sklave des Hochmuts!" antwortete der Wiedehopf. "Breite deinen Schatten nicht mehr über die Erde und brüste dich nicht länger. In diesem Augenblick bist du weit davon entfernt, Königen Macht zu verleihen; du bist wie ein Hund, der mit einem Knochen beschäftigt ist. Möge Gott verhüten, daß du einen Khosroes auf den Thron setzt. Doch selbst wenn du mit deinem Schatten Herrscher auf den Thron erhebst, wird ihnen schon morgen großes Mißgeschick widerfahren, und sie werden für immer ihrer Königswürde beraubt werden. Wenn sie deinen Schatten nie gesehen hätten, stünde ihnen am Jüngsten Tage nicht so eine schreckliche Abrechnung bevor."

Mahmud und der Weise

Ein frommer Mann, der sich auf dem wahren Weg befand, sah im Traum Sultan Mahmud vor sich und sagte zu ihm: "Oh, vielverheißender König, wie geht es im Königreich der Ewigkeit zu?" Der Sultan erwiderte: "Schlage meinen Körper, wenn du willst, aber laß meine Seele in Frieden. Schweig und geh fort, denn hier spricht man nicht von Königswürde. Meine Macht war nur Stolz und Eitelkeit, Überheblichkeit und Irrtum. Kann Herrschertum eine Handvoll Erde veredeln? Die Herrschaft gehört Gott, dem Herrn des Universums. Nun, da ich meine Schwächen und meine Machtlosigkeit erkannt habe, schäme ich mich meiner Königswürde. Wenn du mir einen Titel geben möchtest, nenne mich 'den Betrübten'. Gott ist der König der Natur; also nenne mich nicht König. Das Reich gehört ihm allein. Ich wäre heute glücklich und zufrieden damit, auf Erden ein einfacher Derwisch zu sein. Hätte Gott mich doch in hundert Zisternen geworfen, dann wäre ich kein Herrscher geworden. Ich wäre lieber Ährenleser auf einem Kornfeld gewesen. Nenne Mahmud einen Sklaven. Bringe meinem Sohn Masud meinen Segen und sage ihm: 'Wenn du Verstand hast, laß dir den Zustand deines Vaters als warnendes Beispiel dienen. Mögen die Schwingen und Federn des Lämmergeiers, der seinen Schatten auf mich geworfen hat, verkümmern.!'"


(aus "Vogelgespräche" von Farid ud-din Attar;
Ansata Verlag)