Robert Walser (1878-1956) |
Robert Walser, 1878 in
Biel im Kanton Bern geboren, wäre gerne Schauspieler geworden. Jung
und unbekümmert, so wird kolportiert, sprach er ausgerechnet dem zu
seiner Zeit berühmtesten, gerne goethisch residierenden Mimen Josef
Kainz vor - und fiel durch. Robert Walser, der Verlierertyp. Das wurde
zu seinem Programm.
Die Konsequenz, die er zog, war, dass er nun entschlossen den
Schriftstellerberuf wählte, ohne Publikumserfolg auch hier, aber er
blieb beharrlich auf der Spur dieser Berufung, an der er keinen Zweifel
zuließ. Lebenslang schrieb er in der Verkleidung eines Schauspielers,
der sich auf eine Bühne stellte und sich in wechselnden Rollengewändern
in unablässigen Monologen produzierte, sich aber nie wirklich als
dichtendes Subjekt, das private Audienzen zu gewähren bereit war, zu
erkennen gab. Er schrieb Gedichte, die, gereimt und artig, sich dennoch
über jede lyrische Konvention hinwegsetzten und sich in ihrer Nacktheit
kunstvoll versteckten. Das klang dann so: Ich mache meinen Gang, /
das führt ein Stückchen weit / und heim; dann ohne Klang / und Wort
bin ich beiseit. ("Beiseit"). Der Robert Walser-Ton. Niemand
schien ihn hören zu wollen. Mit seinen in schneller Folge erscheinenden
Romanen "Geschwister Tanner"(1906), "Der Gehülfe"(1908), "Jakob
von Gunten" (1909), jeweils mit einem biografischen Hintergrund,
und zuvor schon (1904) seinem ersten Kurzprosaband "Fritz
Kochers Aufsätze" erging es ihm nicht viel besser. Aber die
literaturverständigen Intellektuellen horchten auf: J.V.Widmann, sein
erster Förderer, Franz Blei, Christian
Morgenstern, etwas später Walter
Benjamin und Robert
Musil, auch Hermann
Hesse. Genützt hat es ihm nicht viel. Die überredeten, zunächst
auch überzeugten Verleger, gaben es bei anhaltend ausbleibender
Leserresonanz bald auf, ihn unter die Leute zu bringen. Er wechselte,
allerdings ohne dass da ein Zusammenhang bestand zu seinen
schriftstellerischen Misserfolgen, frühzeitig eine postmoderne Ich-AG,
in verschiedene Berufe: Hilfsbuchhalter, Bankangestellter, sogar Diener
auf einem Schloss in Oberschlesien, Sekretär. Subalterne Berufe, in
denen er unauffällig und klein sein konnte, ohne je die Überzeugung von
seiner dichterischen Aufgabe aus den Augen zu verlieren.
Ein schwieriger Zeitgenosse war Robert Walser zweifellos. Er faszinierte
die Wenigen, die ein Ohr für ihn hatten, für seine stilistischen
Extravaganzen, bis hin zum zitiert-imitierten Rokoko, aber er irritierte
eben auch, bediente, wahrscheinlich nicht ohne eigensinnige Absicht,
keineswegs die legitimen Erwartungen durchschnittlicher Leser, deren
Hauptberuf nicht das Eindringen in künstlerische Labyrinthe sein konnte.
Er saß dann sozusagen am kleinen Tisch mit der literarisch
professionellen Intelligenz und wurde frühzeitig ein Künstler auch im
Umgang mit der Armut.
So sehr viel hat sich, was die Beziehung seiner Leser zu ihm angeht,
auch heute nicht geändert, obwohl sich, Jahrzehnte nach seinem Tod im
Schnee, den er sich selbst gewünscht und vorhergesagt hatte, eine
wachsende Lesergemeinde um sein Werk, seine nachgelassene Person, deren
Aura und fast schon Mythos, geschart hat.
Wie verlief sein Leben? Ziemlich viel Unruhe ist da zu spüren. Er war,
durchaus auch in den damaligen Metropolen, viel unterwegs, häufig die
Wohnung wechselnd, genoss, in gestaltungsreicher Kleinprosa
dokumentiert, zwischen 1905 und 1913 mit Unterbrechungen das nervöse
Großstadtleben Berlins, innig verbunden damals mit seinem als
Maler und Bühnenbildner schnell berühmt gewordenen Bruder Karl, der dann
aber ebenso schnell wieder aus der Mode kam.
In der Zwanzigerjahren fast schon vergessen, zurückgezogen in seiner
Schweizer Provinz in Bern, schrieb er noch einen letzten anarchischen,
subjektivistisch modernen Roman, "Der Räuber", für den er -
bezeichnenderweise schrieb er ihn dennoch - wohl keinen Leser mehr
erwartete.
Ein rücksichtslos chaotisches Werk, das in seiner listenreichen
kryptischen Struktur eines Labyrinths sich nur dem geduldigen, der
kompromisslosen Eigenwilligkeit dieses Autors zugewandten Leser
aufschließt.
Diesen Leser, den er dann doch noch fand. Viel später, viele Jahre nach
seinem Tode. Und ebenso wie zu seinen Lebzeiten die Eingeweihten der
Literaturszene sich zuraunten: "Achtet auf diesen Robert Walser. Das
ist ein Genie, aber das bleibt unter uns", ist es bis auf den
heutigen Tag so geblieben, dass ein verschworener Kreis
walserbegeisterter Literaturforscher und Literaten sich mit ganzer Seele
und großem Engagement dieser singulären Gestalt widmen. Noch immer
lassen sich in den Archiven diverser Zeitungen veröffentlichte und
unveröffentlichte Prosatexte entdecken (Briefe, Gedichte. Der Schatz
wächst und wächst). Denn davon lebte er in den letzten Jahren seiner
Schriftstellerexistenz: vom Interesse und vom Wohlwollen einiger
Redakteure, weit verstreut im deutschsprachigen Raum. Vieles auch blieb
in der Schublade. Und Unmengen von Texten, der "Räuber" gehört dazu,
hinterließ er in bleistiftgeschriebener Miniaturhandschrift, inzwischen
von B. Echte und W. Morlang in jahrelanger Mühsal entziffert, publiziert
unter dem Titel "Aus dem Bleistiftgebiet". Die Zahl der Walser-Leser ist
erheblich gewachsen, vor allem nachdem sich herumgesprochen hat, dass Franz
Kafka ihn sehr hochschätzte, dass er das wohl vor allem tat
aufgrund einer untergründigen geistig-seelischen Verwandtschaft, wobei
auf der Bühne der menschlichen Komödie Kafka den düsteren, Walser den
heiteren Melancholiker gibt. Fest steht, unermüdlich erforscht und
bloßgelegt, dass dieser oft skurril-clowneske, schwerzugänglich
gesellige, fürchterlich Einsame schlicht ein Genie war. Ein Genie der
Paradoxe in seinem Leben wie in seinem Werk. Dazu gehörte auch, dass er,
in seinem Habitus geradezu autistisch, egomanisch, im Tonfall oft
altmodisch ("lieber Leser") auftretend, doch ein aufblitzend
gedankenreicher, politisch sehr wacher, urteilsfähiger, dem aufkommenden
Nationalsozialismus mit einer eigenen Sklavensprache begegnender Autor
war, der sich hin und wieder bis an die Grenze der Satire vorwagte.
1933 verschwand er, ohne bis zum Lebensende noch eine Zeile zu
schreiben, dennoch geistig ungebrochen, wie sein ihn regelmäßig
besuchender einzig verbliebener Freund Carl Seelig feststellen konnte
(sehr lesenswert seine "Wanderungen mit Robert Walser") in der
Heilanstalt Herisau, da er im Leben draußen allein nicht mehr zurechtkam
und kein Angehöriger sich bereit fand, ihm einen Teil seines Lebens zu
opfern. Die inzwischen entschieden angezweifelte Diagnose lautete auf
Schizophrenie. Bis ans Ende, als er 1956, am ersten Weihnachtstag, tot
in den Schnee fiel, machte er seine einsamen Spaziergänge, die ihn immer
schon dichterisch inspiriert hatten und sein eigentliches Lebensthema
waren.
(Peter Gronau)
Peter Gronau: "Ich schreibe hier
dekorativ. Essays zu Robert Walser"
Königshausen & Neumann, 2006.
Buch bei amazon.de bestellen
Robert Walser - ein literarischer Intrigant? (Essay von Peter Gronau)
Robert Walser: "Der
Spaziergang" zur
Rezension ...
zur Robert Walser - Gesellschaft