Gebirgshallen


Kennen Sie die Gebirgshallen unter den Linden? Vielleicht probieren Sie einmal einen Gang dorthin. Der Eintritt kostet nur dreißig Pfennige. Wenn Sie die Kassiererin auch Brot und Wein essen sehen, so müssen Sie nicht degoutiert umkehren, sondern sogleich bedenken, daß es Abendbrot ist, welches da verzehrt wird. Die Natur fordert überall ihre Rechte. Wo Natur ist, da ist Bedeutung. Und nun werden Sie eintreten ins Gebirge. Und da wird Ihnen eine große Figur, eine Art Rübezahl begegnen, es ist der Wirt des Lokals, und Sie werden guttun, ihm durch Hutlüften zu salutieren. Er sieht das gern, und er wird Ihnen artig für Ihre Höflichkeit danken, dadurch daß er sich halb vom Stuhl, auf dem er sitzt, hochhebt. In der Seele geschmeichelt, treten Sie näher an den Gletscher heran, es ist die Bühne, eine geologische, geographische und architektonische Merkwürdigkeit. Sowie Sie sich gesetzt haben, bekommen Sie Trinkofferten von einer vielleicht leidlich hübschen Kellnerin. Man muß vorlieb nehmen mit dem, was da ist. Es strotzt auch an Kammerspielabenden vielleicht nicht einmal von fraulichen Finessen. Geben Sie acht, daß sich nicht allzu viele geschlagen und geworfen volle Apfelweingläser um Ihre Zahlperson herum gruppieren. Die Mädchen machen sich zu gern an solche Herren ran, die Mitleid mit ihnen haben. Mitleid ist unschicklich bei Kunstgenüssen. Haben Sie jetzt auf diese Tänzerin acht gegeben? Kleist hat auch jahrelang auf Anerkennung lauern müssen. Klatschen Sie nur tapfer in die Hände, auch wenn es Ihnen beinahe mißfallen hat. Wo haben Sie Ihren Bergstock? Zu Hause gelassen? Das nächste Mal müssen Sie wohl oder übel sportmäßig ausgerüstet im Gebirge erscheinen, für alle Fälle. Besser ist besser. Was trippelt da für eine reizende Sennhütten-Prinzessin auf Sie zu? Das ist die Kleine. Die will ein geschmettert Volles für fünfzig Pfennig von Ihnen. Werden Sie diesen Lippen, diesen Augen, dieser süßen dummen Bitte widerstehen können? Sie wären zu beklagen, wenn Sie das könnten. Nun öffnet sich Ihnen wieder der Bühnen-Gletscherspalt, und eine däniche Liedersängerin wirft Sie mit Tönen und Anmutschneeflocken an. Sie nehmen gerade einen Schluck von Ihrer kuhwarmen Gebirgsmilch. Der Wirt macht die aufpassenden Raus- schmeißrunde durch das Lokal. Er sorgt für den Anstand und das gute Betragen. Gehen Sie doch mal hin, ich kann Ihnen sagen, na! Vielleicht treffen Sie dort auch mich wieder einmal an. Ich aber werde Sie gar nicht kennen, ich pflege dort, von Zaubereien gebannt, stillzusitzen. Ich lösche dort meine Dürste, Melodien wiegen mch ein, ich träume.


(von Robert Walser)