Oscar A. H. Schmitz (1873-1931) |
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"Haschisch" und
"Bürgerliche Bohème" |
"Haschisch", ein Band mit
gleichermaßen dekadenten wie anregenden Erzählungen in eleganter
Sprache, gilt als Geheimtipp unter Literaturfeinspitzen mit besonderen
Vorlieben.
In der im Jahr 2002 in der Edition Gutenberg erschienenen Neuauflage
verortet der Herausgeber, Wilhelm W. Hemecker, in seinem einleitenden
neunseitigen Essay Oscar Adolf Hermann Schmitz im Gefüge seiner Zeit und
ermöglicht einen ersten Einblick in Leben und Werk des am 16. April 1873
in Homburg zur Welt gekommenen Literaten.
Schmitz, der sich während seiner Studentenjahre offenbar weniger dem
strebsamen Wissenserwerb als "dem Leben an sich" widmete, sah sich erst
in späteren Jahren, "nach zwei Ehekatastrophen", gezwungen,
einen Brotberuf zu ergreifen - das Schreiben nämlich - was die wahre
Flut an Feuilletons und Essays aus seiner Feder erklärt.
Oscar A. H. Schmitz war ein leidenschaftlich Reisender, gewissermaßen
unablässig unterwegs. So lebte er u.a. in München, Salzburg, Berlin, Rom
und Paris und bereiste Spanien, Nordafrika und Russland.
Bereits in jungen Jahren war er schriftstellerisch tätig, wenngleich
anfangs naturgemäß noch auf der Suche nach Orientierung, nach seinem
individuellen Stil.
Eine kurzzeitige literarische Heimat, wenn man so will, jedenfalls
Stilsicherheit, fand Schmitz im Kreis um den gleichermaßen
herausragenden wie kompromisslosen Lyriker
Stefan George (1868-1933), zu dem Schmitz durch einen gemeinsamen
Bekannten, Karl Wolfskehl, gestoßen war. Schmitz in seinen Memoiren über
Wolfskehl: "Um keinen Mann habe ich im Leben so geworben, wie um ihn",
und über den besonderen Tonfall der Literaten des George-Kreises: "Die
flüchtigste Berührung mit dieser neuen Kunst war für jeden Berufenen
eine sofortige Reinigung von Naturalismus und Stillosigkeit."
Oscar A. H. Schmitz gehörte in jungen Jahren der Schwabinger Bohème,
einer regelrechten Keimzelle kultureller Neuorientierung, an - dazu
später mehr - und pflegte zeitweilig Kontakte mit der Runde der
esoterischen Kosmiker um Ludwig Klages, der, wohl seiner tristen
Kindheit wegen, früh Zuflucht in Fantasiewelten gesucht hatte, und
Alfred Schuler, einen Mann mit Hang zum überfrachteten Mystizismus.
Dieser Zirkel war eine der prominentesten unter zahlreichen
exzentrischen Gruppen in München, wo sich Intellektuelle und Künstler
sowie allerlei sonstige unbürgerliche Existenzen zu hitzigen
Diskussionen und ausschweifenden Atelierfesten zusammenfanden.
Die Kosmiker hatten in schwärmerischem Fanatismus eine eigene Heilslehre
von Eros und Rausch aus Versatzstücken unterschiedlicher philosophischer
Ansätze entwickelt. Sie vertraten u.a. die Ansicht, die abendländische
Welt sei durch und durch dem Verfall und Untergang geweiht, die Urkräfte
des Lebens würden unentwegt verraten, es sei darob das Gebot der Stunde,
zu den heidnisch-chthonischen Ursprüngen zurückkehren, die
Erneuerung/Wiedergeburt aus den Wurzeln voranzutreiben, was lediglich
wenigen Auserwählten (sogenannten "Trägern der Blutleuchte") möglich
sei. Auch huldigte man einem obskuren Römer- und Germanenkult und
definierte sich in wachsendem Ausmaß über die Anfeindung von Juden- und
Christentum, was schließlich auch zum Bruch mit dem George-Kreis führte.
Stefan George selbst identifizierte sich - soweit bekannt - niemals mit
extremem Antisemitismus und wehrte die Vereinnahmungsversuche seitens
der Nationalsozialisten (z. B. deren Angebot, Präsident der "Deutschen
Akademie für Dichtung" zu werden) ab.
Nachdem bereits 1896 einige seiner Gedichte in den "Blättern für die
Kunst" erschienen waren, lernte Oscar A. H. Schmitz 1897 Stefan George
in Paris persönlich kennen. Bei den "Blättern für die Kunst" handelte es
sich um eine zwischen 1892 und 1919 in geringer Stückzahl erscheinende
Literaturzeitschrift, welche nicht im Handel erhältlich war und deren
Leserschaft ausschließlich aus erwählten Gleichgesinnten bestand. Man
verzichtete bewusst auf Breitenwirkung; George lehnte zeitlebens
jegliche Anbiederung an den Geschmack der Massen entschieden ab.
Schmitz ließ es offenbar mit der Zeit an Unterwürfigkeit gegenüber
Stefan George fehlen, und dieser, der unangefochtene Meister von
elitärer Gesinnung im Mittelpunkt seines Kreises, duldete weder
Widerspruch noch Abweichung. Wer sich mit der Biografie Stefan Georges
befasst hat, wird vielleicht schon ahnen, dass folglich auch diese
Männerfreundschaft, wie so viele andere im Leben Georges, ein
Ablaufdatum hatte. Als nämlich Schmitz in einem Zeitungsartikel über die
Pariser Weltausstellung einen von Melchior Lechter gestalteten Saal
nicht entsprechend würdigte, wandte sich der Kreis, der Lechters
Arbeiten zu jener Zeit über die Maßen schätzte, auf Geheiß des Meisters
von ihm ab. Freilich war dies nur der letzte, ausschlaggebende Vorfall,
der den Bruch nach einer Phase der Entfremdung endgültig machte.
Melchior Lechter hatte jahrelang - bis 1907, als sich Stefan George vom
prunkvollen Stil des Künstlers distanzierte - das von
Jugendstilelementen bestimmte Erscheinungsbild der Gedichtbände Georges
und der Publikationen des Kreises geprägt.
Schmitz widmete sich nun nicht länger der lyrischen Dichtung, sondern
wandte sich der Erzählkunst zu und begann sein erstes Prosawerk, den
Novellenband "Haschisch", zu schreiben, der anno 1902 veröffentlicht
wurde. 1913 erschien das Buch in vierter Auflage, erweitert um dreizehn
Illustrationen von Alfred Kubin (1877-1959), der seit 1904 mit Schmitz'
dem Rauschgift verfallener Schwester Hedwig (gestorben 1948) verheiratet
war. Der Titel von Kubins Roman "Die andere Seite" verdankt sich
übrigens einem Einfall von Oscar A. H. Schmitz.
Alfred Kubins fantastischer Roman "Die andere Seite" übte einigen
Einfluss auf zeitgenössische Schriftsteller (darunter Franz
Kafka, Gustav
Meyrink und Ernst
Jünger) aus. Kubin schuf überdies auch kongeniale Illustrationen
für zahlreiche Werke anderer Autoren. In seiner charakteristischen
mythisch-fantastisch-visionären Strichführung bebilderte er u.a. Bücher
von Gustav Meyrink, E.T.A.
Hoffmann, Georg
Trakl ("Offenbarung und Untergang"),
Paul Scheerbart ("Lesabéndio", 1913), Oskar
Panizza ("Das Liebeskonzil", 1913), F.M.
Dostojewski ("Der Doppelgänger"),
Edgar Allen Poe, Gerhart
Hauptmann ("Fasching", 1925), Wilhelm
Hauff und Ernst Jünger.
"Haschisch"
Der Band "Haschisch", übrigens das meistgelesene Prosawerk von Oscar A.
H. Schmitz, trug mit einfallsreichen, abgründigen Geschichten,
dargebracht in ästhetischem Plauderton über zeitlose Themen des
Menschseins wie Erotik, Satanismus, Sadismus, Religion, Tod und Rausch
entscheidend zum Aufschwung der fantastischen Literatur im
deutschsprachigen Raum bei.
Schon allein der Titel ist geeignet, den Erwartungen einer
hoffnungsfrohen Leserschaft, die sich für Schwarze Romantik begeistert,
entgegenzukommen.
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts (Schmitz nennt keine genaue
Jahreszahl) trifft der Icherzähler den unsterblichen Grafen Vittorio
Alta-Carrara in Paris. Die beiden Männer begeben sich in einen
Haschischklub: "Ich beschloß gleich meinen Nachbarn durch eine
leichte Haschischdosis nur die Sinne zu verfeinern, die
Hemmungsvorstellungen des oft ungerufen tätigen Intellekts zu
beseitigen, kurz, ein gesteigertes Leben zu genießen." Gesagt,
getan - darüber, ob sich Schmitz hier möglicherweise mit fremden Federn
schmückt, darf gemutmaßt werden ...
Was dann folgt, sind anregende Erzählungen anderer Berauschter sowie als
eigene Erlebnisse des Icherzählers konstruierte Geschichten, wobei
anzunehmen ist, dass Schmitzsche Reiseerlebnisse ebenso Eingang fanden
wie in Künstlerkreisen gemachte Beobachtungen und Erfahrungen.
Es herrscht ein Ton behaglicher Geschwätzigkeit, wobei das sinnliche
Erleben absolute Priorität genießt.
Schmitz gebraucht gediegene Ausdrücke, gekonnt beschreibt er kuriose
Begebenheiten. Sei es, dass in "Die Geliebte des Teufels" ein Deutscher
eine Stelle als Kapellmeister in einer britischen Provinzstadt annehmen
muss und dort zum Liebhaber einer geheimnisvollen Unbekannten wird, die
in ihm den Leibhaftigen zu sehen beliebt und sich ihm nur deshalb
wiederholt hingibt, wobei das wilde Treiben stets in vollkommen
verdunkelten Räumlichkeiten stattfindet ["(...) zwei Menschen (...),
die sich nur ihrer gegenseitigen Körper bedienten zum Vorwand für die
Orgien der Phantasie."), sei es, dass in "Eine Nacht des
achtzehnten Jahrhunderts" ein schamloses Spektakel besonderer Art für
Aristokraten inszeniert wird, das in einem infernalischen Blutbad endet
...
Anschließend erzählt der Graf vom "Karneval" in Venedig, als er
irrtümlich eine tiefgläubige Sterbenskranke beglückte, die daraufhin das
Zeitliche segnete. Von Frevel und teuflischer Manipulation handelt "Die
Sünde wider den Heiligen Geist": darin wird, zu Versuchszwecken quasi,
die bislang unbescholtene vierzehnjährige Teresa mittels rhetorischer
Spitzfindigkeiten und übler Lügen vom Pfad der Tugend auf jenen der
Lasterhaftigkeit und Sünde geführt.
"Die Botschaft", dem Bewusstwerden der Sterblichkeit gewidmet, berichtet
vom Zusammentreffen des Icherzählers mit einer abstoßend welken,
zudringlichen Dirne (" 'Inkubus,' murmelte eine Stimme."), doch handelt
es sich um kein Wesen aus Fleisch und Blut, das da verkündet: "Nun
komme ich, die Steuer an innerem Leiden zu fordern, die du dem Tod
dafür schuldest, daß er dich noch leben läßt." (...)
"Übrigens noch eins, daß ich es nicht vergesse: du brauchst deshalb
noch lange nicht zu sterben, mein Besuch hat damit nicht das geringste
zu tun. Ich bringe nur die Botschaft, daß die allererste, gedankenlose
Jugend für dich verrauscht ist."
Die abschließende Geschichte trägt den Titel "Der Schmugglersteig. Eine
vormärzliche Begebenheit aus den privaten Aufzeichnungen eines
Journalisten". Darin erzählt ein 75Jähriger von denkwürdigen
Ereignissen, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen: Einst folgte er
einer unwegsamen Felsentraße und fand sich mit einem Mal in einer
seltsamen Schmugglerunterkunft wieder, wo in Felsenkammern ganze
Landschaften und Schlachtfelder, Gedanken und Ideen, politische
Systeme, Träume und Hoffnungen, Leidenschaften und Todsünden, Seuchen
sowie fünfhundert wundervolle, nackte Frauen aufbewahrt wurden.
Der Icherzähler wurde aufgefordert, sich etwas aus der Sammlung
auszusuchen, und er zögerte keine Sekunde: "Die will ich haben ...
alle 500!"
Und weil man, wie ihm erklärt wurde, ohne Geld mit so vielen Weibern
nichts anfangen kann, nahm er die angebotene Million.
Ein drittes Mal noch durfte er wählen. Er wurde zu einem verborgenen
Zimmer geleitet, in dem Metaphern, Anaphern, Symbole, Allegorien,
Redensarten, Zitate, Sprichwörter, Witze, poetische Bilder,
Weisheitssprüche und Vergleiche lagerten - eines Journalisten
Handwerkszeug.
"Schenken Sie mir das Gerümpel, mich soll die Mühe nicht
verdrießen!"
Freilich handelte es sich um ein unheimliches Tauschgeschäft, denn die
Schmuggler waren keine edlen Gönner: Der Mann musste drei seiner Träume
bei den Schmugglern zurücklassen, bevor er wieder in seine Welt gebracht
wurde ...
Die drei Wünsche des Icherzählers gingen in Erfüllung, die Schmuggler
hielten Wort, und der 75Jährige blickt auf ein Leben, das ihm nach und
nach 500 Geliebte, eine Million und Erfolg als Journalist beschert hat,
zurück.
Mitunter fühlt man sich während der Lektüre an "Tausendundeine Nacht"
erinnert, an die kluge Schahrasad, die dem König Nacht für Nacht
spannende Geschichten erzählt, auf dass er ihre Hinrichtung aufschiebe.
Bekanntlich lautet die Überleitung von jeder ihrer Geschichten zur
nächsten stets in etwa: "Da erreichte das Morgengrauen Schahrasad,
und sie hörte auf zu erzählen. 'Ach Schwester', seufzte Dinarasad,
'wie köstlich und wie aufregend ist deine Geschichte!' - 'Was ist das
schon', erwiderte sie, ' gegen das, was ich euch morgen nacht erzählen
werde, wenn ich dann noch lebe und mich der König verschont ...'"
Bei Schmitz liest sich das so: "Der Erzähler schwieg. Ich hatte das
trostlose Gefühl, daß nun etwas fertig, unwiederbringlich vorbei sei.
Ein Leben hörte auf, ohne daß ich tot war. Die anderen schienen
ähnliches zu empfinden. 'Eine neue Geschichte', rief jemand, 'diese
Leere ist ja unerträglich!'"
Schmitz schuf, auch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus, ein
umfangreiches Gesamtwerk aus Romanen, kulturpolitischen Schriften und
Essays, und nicht wenige davon würden noch heute als populäre Ratgeber
(beispielsweise zum Thema "Manieren") gute Figur machen.
Im Buch "Der Geist der Astrologie", das folgendermaßen eröffnet wird:
"Diese Abhandlung will weder ein Lehrbuch für Neulinge ersetzen, noch
beansprucht sie, den Meistern der Astrologie wesentlich Neues zu
bieten; sie richtet sich vielmehr an den gebildeten Menschen unserer
Zeit, der wissen möchte, was es eigentlich um die Astrologie ist, da
er der Ableugnung geistiger Weltzusammenhänge von seiten der
materialistischen Naturwissenschaft nicht mehr vertraut, aber
ebensowenig von dem Regen in die Traufe kommen möchte, indem er sich
jedem Aberglauben unter dem Namen 'Geisteswissenschaft' überließe"
in der Auflage von 1922 finden sich folgende Werke von Oscar A. H.
Schmitz aufgelistet:
"Die Geister des Hauses". Jugenderinnerungen. | |
"Das dionysische Geheimnis". Erlebnisse und Erkenntnisse eines Fahnenflüchtigen. | |
"Menschheitsdämmerung". Märchenhafte Geschichten. | |
"Brevier für Einsame". Fingerzeige zu neuem Leben. | |
"Brevier für Unpolitische". Wegweiser zum öffentlichen Leben. | |
"Das rätselhafte Deutschland". (Das mögliche Deutschland * Das unmögliche Deutschland * Wie sichert sich die Gesellschaft gegen Diktaturen * Schluß) | |
"Scheinwerfer über Europa". Rußland, Skandinavien, Südosteuropa, Italien, Frankreich. | |
"Englands politisches Vermächtnis an Deutschland" durch Benjamin Disraeli, Lord Beaconsfield (Die Kunst der Politik) | |
"Das Land ohne Musik". Englische Gesellschaftsprobleme. | |
"Was uns in Frankreich war". Das Land der Wirklichkeit. | |
"Das wirkliche Deutschland". Die Wiedergeburt durch den Krieg. | |
"Die Weltanschauung der Halbgebildeten". | |
"Fahrten ins Blaue". Ein Mittelmeerbuch. | |
"Casanova und andere Charaktere aus der grossen Welt". | |
"Brevier für Weltleute". Essays über Gesellschaft, Mode, Frauen, Reisen, Lebenskunst, Kunst, Philosophie. | |
"Bürgerliche Bohème". Ein Sittenroman aus dem Deutschland vor dem Weltkriege, 7. Auflage von "Wenn wir Frauen erwachen". | |
"Herr von Pepinster und sein Popanz". Geschichten vom Doppelleben. Mit 14 Zeichnungen von Alfred Kubin. | |
"Haschisch". Phantastische Erzählungen. | |
"Don Juan und die Kurtisane". 5 Einakter. | |
"Ein deutscher Don Juan". Komödie in drei Aufzügen. | |
"Der hysterische Mann". Lustspiel in drei Aufzügen. | |
"Orpheus". Lieder des Fahrenden. De profundis. Katafalke. Rom. | |
"Der österreichische Mensch". Zum Anschauungsunterricht für Europäer, insbesondere für Reichsdeutsche. | |
"Charakterspieler auf der Weltbühne" |
Danach erschienen u.a. noch
"Melusine. Der Roman eines Staatsmannes", "Tragikomödie der Geschlechter
oder die Entfremdung zwischen Mann und Weib", "Psychoanalyse und Yoga",
"Wege zur Reife. Das Ende der Jugendkonjunktur" und "Geschichten im
Zwielicht".
Die allermeisten dieser Werke sind mittlerweile - wenn überhaupt - nur
noch in Antiquariaten zu finden.
"Bürgerliche Bohème"
Neben "Haschisch" wurde lediglich einem Roman die Ehre zuteil
wiederaufgelegt zu werden, nämlich "Bürgerliche Bohème - Ein Sittenroman
aus dem Deutschland vor dem Weltkriege", zuvor auch unter dem Titel
"Wenn wir Frauen erwachen" publiziert. Dieses Werk gilt als
autobiografisch inspirierter Schlüsselroman. Obwohl das Werk durchaus
kulturhistorische Aspekte aufweist, gehört es doch eher dem Genre
Unterhaltungsliteratur an. "Bürgerliche Bohème" zeichnet ein satirisches
Sittenbild der Münchner Oberschicht zur Zeit der Jahrhundertwende
(19./20. Jhdt.). Einige Prominente der damaligen Zeit mussten sich
zwangsläufig in Romanfiguren wiedererkennen und wurden erkannt, darunter
beispielsweise Franziska
Gräfin zu Reventlow, Karl
Wolfskehl und auch Stefan George.
Jedoch ist anzumerken, dass dem Dandy Schmitz, der allergrößten
Wert auf gepflegte Umgangsformen legte, nichts fremder war, als die
Würde der Porträtierten in den Schmutz zu ziehen oder gar willkürlich
taktlos zu handeln, vielmehr war er Menschenkenner genug, feine Nuancen
differenziert herauszuarbeiten, um dem jeweiligen realen Modell gerecht
zu werden, was manchem Betroffenen mehr, manchem weniger schmeicheln
musste, wie es in der Natur der Sache lag.
Franziska Gräfin zu Reventlow schrieb zu jener Zeit ebenfalls an einem
Roman, der die Münchner Bohème, genauer die Mitglieder des
George-Kreises, zum Thema hatte und kurz nach Schmitz' Roman unter
dem Titel "Herrn Dames Aufzeichnungen, oder Begebenheiten aus einem
merkwürdigen Stadtviertel" erschien. Dementsprechend äußerte sich gerade
Franziska Gräfin zu Reventlow wenig begeistert über das Oeuvre des ihr
zuvorgekommenen "Konkurrenten", der den Lebenslauf der Protagonistin
seines Romans noch dazu unverkennbar mit Details aus dem bewegten Dasein
der Gräfin ausgestattet hatte ...
Amélie, die Hauptfigur in "Bürgerliche Bohème", stammt aus
großbürgerlichem Milieu und unternimmt als junge Frau allerlei, um
sowohl als Künstlerin wie auch als Dame der Gesellschaft in München Fuß
zu fassen; Motto: Liebeleien, Ferkeleien, Münchner Faschingsfeiern, ...
Die zunächst noch charakterlich ungefestigte, bis zu ihrer Verehelichung
konsequente Halbjungfrau wird ein "Malweib" (so wurden die zwecks
künstlerischer Unterweisung nach München pilgernden Nachwuchsmalerinnen
von den Ortsansässigen genannt), heiratet, wird geschieden, heiratet
abermals und entfaltet Stück für Stück reife Selbstbestimmtheit.
Schmitz geht in "Bürgerliche Bohème" auch auf humorvolle Weise mit den
Ungereimtheiten der Frauenbewegung ins Gericht, indem er einfühlsam
Widersprüche zwischen emanzipatorischen Forderungen und konkretem
Begehren aufzeigt, beispielsweise, was die weibliche Sexualität
anbelangt, wie er überhaupt zeitgeistige Strömungen einer kritischen
Betrachtung unterzieht.
Auch jenes denkwürdige Maskenfest bei Karl Wolfskehl im Fasching des
Jahres 1903, wo der Gastgeber als Dionysos, Alfred Schuler als Magna
mater und Stefan George als Cäsar kostümiert, umgeben von bekränzten
Knaben, erschienen, findet seinen Niederschlag. (Schmitz hatte die
Gesänge der Faschingsgesellschaft damals am Flügel begleitet.)
Schlüpfrige Passagen, die sich natürlich vortrefflich zum Weitererzählen
hinter vorgehaltener Hand eigneten, und die Lust der Leserschaft, die
wahren Identitäten der Romanfiguren aufzudecken, machten den besonderen
Reiz von "Bürgerliche Bohème" für Schmitz' Zeitgenossen aus.
Anzumerken wäre noch, dass sich Schmitz in späteren Jahren
kulturkritischen Fragen der Politik und Gesellschaft zuwandte und sich
lebhaft für die Psychoanalyse interessierte.
Oscar A. H. Schmitz starb am 17. Dezember 1931.
(kre)
Oscar A. H. Schmitz: "Haschisch"
Steirische Verlagsgesellschaft, 2002. 136 Seiten.
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"Bürgerliche Bohème"
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Monika Dimpfl und Carl-Ludwig
Reichert.
Weidle Verlag, 2001. 448 Seiten.
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Werke von Oscar A. H. Schmitz in Antiquariaten
aufstöbern ...
Weitere Buchempfehlungen:
Oscar A.H. Schmitz: "Das wilde Leben der Boheme. Tagebücher 1896-1906"
Herausgeber: Wolfgang Martynkewicz. Ein beeindruckendes Panorama des Fin
de siècle.
Kunst, Erotik, Reisen - die hier erstmals veröffentlichten Tagebücher
des Schriftstellers Oscar A. H. Schmitz zeigen die Passionen eines
Dandys, der die geistigen Strömungen seiner Zeit begierig aufsog. In
ihrer Unmittelbarkeit sind diese Aufzeichnungen eine wahre Fundgrube,
ein bedeutendes Zeitzeugnis und große Literatur zugleich. Das Tagebuch
beginnt mit einem Scheitern: Oscar A. H. Schmitz, 22 Jahre alt, hat alle
Hoffnungen auf eine akademisch-bürgerliche Laufbahn aufgegeben. In der
Münchner Boheme gehört er bald zu den Außenseitern der literarischen
Szene. Von großer innerer Unruhe getrieben, flieht er nach Paris, setzt
sich den Reizen der Großstadt aus. Er inszeniert sich als Dandy und Don
Juan, stürzt sich in erotische Abenteuer, sucht den Rausch und die
Ekstase. Sein Lebenselixier ist der Umgang mit interessanten,
originellen Zeitgenossen wie Sigmund
Freud, Frank Wedekind, Heinrich
und Thomas
Mann. Mit Akribie hält er seine Begegnungen im Tagebuch fest, das
sich wie ein Prominentenregister der intellektuellen Welt liest: Stefan
George, Franz Hessel, Alfred Kubin, August Strindberg, Else
Lasker-Schüler, Rainer
Maria
Rilke, Stefan
Zweig, Hermann
Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Max
Brod. In den Reisereportagen, Traumprotokollen,
Selbstbetrachtungen und Aperçus der Tagebücher entsteht ein wunderbar
lebendiges, zuweilen auch provozierendes Bild der Belle Epoque. (Aufbau
Verlag)
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Oscar A.H. Schmitz: "Ein
Dandy auf Reisen. Tagebücher 1906-1912"
Herausgeber: Wolfgang Martynkewicz.
"Zum ersten Mal fühle ich den Rausch des Lebens ..."
Ein melancholischer Lebemann, ein verzweifelter Glücksjäger, ein
einsamer Erotomane - so erscheint Oscar A. H. Schmitz in seinen
Aufzeichnungen. Der zweite Band der großen Tagebuch-Edition verbindet
die Bekenntnisse eines Verführers mit großartigen Reise-Impressionen.
Januar 1907: Das Pariser Abenteuer liegt hinter ihm, genauso wie zwei
gescheiterte Ehen. Die Münchner Boheme stößt ihn ab. In Wien begegnet
Schmitz Peter Altenberg, Alfred Polgar, Hugo von Hofmannsthal, er
verbringt die Abende mit Stefan Zweig und hat einen Termin bei Sigmund
Freud. Doch den Lebemann treibt die Sucht nach einem rauschhaften Leben
fort. Immer exotischer werden die Reiseziele: Spanien, Algerien,
Marokko, die Kanarischen Inseln, eine Fahrt auf dem Nil, Jerusalem,
Jericho, Haifa und Damaskus. Die Impressionen sind durchsetzt von
sexuellen Obsessionen. Endlich scheint er die große Liebe zu finden.
Doch schon bald ist der rastlose Don Juan wieder allein. Er begibt sich
auf die gefährlichste Reise - die zum eigenen Ich. Und das liegt im Land
der Dämonen. (Aufbau Verlag)
Zur
Rezension
...
Buch bei amazon.de bestellen
Oscar A.H. Schmitz: "Durch
das Land der Dämonen. Tagebücher 1912-1918"
Herausgeber: Wolfgang Martynkewicz. (Aufbau Verlag)
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Alfred Kubin: "Aus meinem Reich - Meisterblätter aus dem Leopold
Museum, Wien"
Hrsg. Rudolf Leopold, Romana Schuler für die Leopold Museum
Privatstiftung, Text von Fritz Koreny, Rudolf Leopold, Romana Schuler.
Alfred Kubin ist einer der avanciertesten fantastischen Zeichner des 20.
Jahrhunderts. 1877 in böhmischen Leitmeritz geboren, verbrachte Kubin
seine Jugend und Studienzeit an der Kunstgewerbeschule in Salzburg.
Später folgte Zeichenunterricht und ein Kunststudium in München.
Angeregt durch seine Auseinandersetzung mit den Philosophien
Schopenhauers und Nietzsches, künstlerisch beeinflusst von Goya,
Klinger, Ensor, Redon, Rops und Munch, findet Kubin um die
Jahrhundertwende zu seiner eigenständigen kubinesken Motivik, verwurzelt
in Traumvorstellungen. Er bezeichnet seine Bildsprache als einen
lebensnotwendigen "Ausweg ins Unwirkliche": gespenstische Motive,
Mischwesen, Varianten von Qual und Selbstqual, Traum, Vampirismus,
Spiritualismus, Dekadenz, Erotik, Tod und Geburt. Sein außergewöhnliches
Gesamtwerk besteht aus über 20.000 Zeichnungen, darunter eine große
Anzahl von Federzeichnungen und Mappenwerken sowie Illustrationen zu
mehr als 70 Büchern, in denen sich seine düstere Weltsicht manifestiert.
Eine repräsentative Auswahl von Meisterblättern des fantastischen
Multitalents präsentiert dieser Band. (Hatje Cantz)
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Alfred Kubin: "Die andere
Seite. Ein phantastischer Roman"
In seinem einzigen Roman, der düstere Endzeitstimmung vermittelt,
schildert Kubin in metaphernreicher und symbolhafter Sprache seine
Halluzinationen und Weltuntergangsvisionen beklemmend detailliert. Der
fiktive Ich-Erzähler wird von seinem früheren Schulfreund Patera
eingeladen, mit seiner Frau in die nebelumwobene Hauptstadt eines in
Zentralasien errichteten Traumreichs, wo es keinerlei Fortschritt gibt,
zu ziehen. Dort wird er Zeuge des chaotischen Niederganges und der
Zerstörung des Reiches, als dessen ebenso geheimnisvoller wie mächtiger
Herrscher zusehends verfällt. Nach einem drei entsetzliche Jahre
dauernden Aufenthalt vermag er es gerade noch, sich als einer der
wenigen Überlebenden in die "Realität" zurück zu retten ...
"Jeder findet, was ihm zukommt, seine Geburt, sein Glück, sein
Unglück und sein Ende. Je eigenartiger, phantasievoller ein Mensch
ist, desto ausgeprägter wird sich alles für ihn abspielen. Schicksal
ist alles. Daher bin ich Fatalist." (Alfred
Kubin) (Suhrkamp) zur Rezension ...
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