Nezahualcóyotl (1402 - 1472) |
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war ein Künstlername, der in Nahuatl, der Verkehrs- und
Kultursprache des vorspanischen Mexiko, "Hungriger Kojote" besagt.
Biografie:
Geboren wurde er am 28. April 1402 in Texcoco, in den Hochadel der Zeit
hinein, als Sohn des Chichimeken Extlilxóchitl und der aus dem
aztekischen Herrscherhaus stammenden Matlalcihuatzin. Im Alter von 16
(1418) wurden bei einem Angriff des Stammes der Tepaneken seine Eltern
(sein Vater vor seinen Augen, der junge Mann wiederum auf einem Baum
versteckt) getötet, Texcoco fiel in tepanekisches Herrschaftsgebiet, und
Nezahualcóyotl selbst floh in die Aztekenhauptstadt Tenochtitlán, wo ihm
warmherzig (überhaupt ein aztekisches Wesensmerkmal, außerdem verband
aber die gemeinsame äußere Bedrohung) Asyl gewährt wurde. Trotz des
dramatischen Einschnitts ging in Tenochtitlán Nezahualcóyotls Leben
zunächst fast wie zuvor weiter: ihm wurde eine umfassende Ausbildung in
den Bereichen Staatskunst, Militär, Astrologie, Religion, Dichtkunst
usw. zuteil, wie es in der alten chichimekischen Familie seines Vaters
von einem möglichen Thronfolger erwartet wurde.
Schließlich, acht Jahre waren vergangen (1427), starb der alte
Tepanekenkönig, und Nezahualcóyotl machte sich auf den Weg in die
Tepanekenhauptstadt Atzcapotzalco, um mit einem Blumenstrauß dem
Nachfolger, Maxtla, seine Aufwartung zu machen und dermaßen zu
signalisieren, dass man sich fürderhin mit dem status quo einverstanden
zeige. Maxtla schenkte dem aber offenbar keinen Glauben (oder auch das
Geschenk war ihm nicht recht), er reagierte jedenfalls heftig und lehnte
die Gabe ab. Doch ließ er kurz darauf durch Boten Nezahualcóyotl zu
Abendfeierlichkeiten einladen. Dieser witterte die Hinterlist, ließ an
seiner statt und entsprechend verkleidet (ein freiwilliges Unterfangen,
worin alle Versionen der Geschichte übereinstimmen) einen seiner
Getreuen sich zum Ort der Einladung aufmachen, der unterwegs prompt von
für Nezahualcóyotl gedungenen Mördern umgebracht wurde. Nicht nur hatte
er einen Rivalen, der hatte ihn auch gleich beschämt - Maxtla ließ ein
Kopfgeld auf Nezahualcóyotl aussetzen, der die folgenden Jahre wirklich,
wenn schon nicht hungrig, so doch ein sehr kojotenähnliches Leben führen
musste und es neben seinen klugen Beratern und seinen magischen Künsten
auch der großen Sympathie, die er beim Volk genoss, verdankte, überhaupt
zu überleben; noch heute kursieren in Mexiko zahlreiche Geschichten und
Anekdoten über den Nezahualcóyotl jener Zeit.
Doch schließlich kam seine Stunde; sein Rivale Maxtla wurde gestürzt und
endete als Menschenopfer, seine Heimatstadt Texcoco wurde wieder
unabhängig und Nezahualcóyotl ihr König, anno 1431 das Ganze.
Und es folgte eine kulturelle Blütezeit, die insofern nicht beispielslos
war, als sowohl später die Weißen bald das Wort vom Athen der Neuen Welt
im Munde führten, als auch die schnelle Entwicklung blühender Kulturen
und Städte und ihr oftmals jähes Ende aufgrund der starken Spiritualität
(Schamanismus) und eines dynamischen Kulturbegriffs der alten
mexikanischen Stämme keine Seltenheit war. Texcoco unter Nezahualcóyotl
war hierfür das letzte Beispiel vor Ankunft der Europäer. Des
neuen Königs erste Tat war, einen auf Gewaltentrennung basierenden
Gesetzeskodex herauszugeben, der derart wohlgeraten ausfiel, dass die
wichtigsten Städte in befreundetem Gebiet, auch Tenochtitlán, diesen
eins zu eins übernahmen. Weiters förderte er Architektur und
Landwirtschaft, so ließ er etwa ein weitreichendes Bewässerungssystem
errichten und kümmerte sich um eine Art Lebensmittel-Grundsicherung für
alle Untertanen. Und schließlich ließ er Wissenschaft und Kunst eine
ebenso großzügige wie kluge Förderung zuteil werden, schuf ein eigenes
Kulturministerium, gründete Künstlerzirkel und Magierrunden und brachte
(hierbei freilich sind die aus der Kolonialzeit stammenden indianischen
Quellen besonders vorsichtig zu lesen) auch die Vorstellung eines
Monotheismus in Form der Verehrung des Einen Namenlosen Gottes ins Spiel
- nicht als Staatsgott, als eine weitere Möglichkeit sozusagen.
Was ihm hingegen nicht gelang, war, seinen alten Bundesgenossen
Moctezuma (der Erste, nicht der Cortés-Gegenspieler
Moctezuma der Zweite) zu einer weniger aggressiven und blutrünstigen
Politik zu bewegen. Der Preis, den er für die ungestörte Entwicklung
seiner Stadt zahlte, war eine de facto Unterwerfung unter Moctezumas
Außenpolitik, und das, obwohl der deklarierte Quetzalcóatl-Bewunderer
alles andere als ein Freund von Menschenopfern und Kriegen war.
So widmete er sich denn umso leidenschaftlicher Kunst, Wissenschaft und
Religion, verbrachte seine freie Zeit mit der Dichtkunst (von eigenem
Schaffen bis zur Abhaltung von Wettbewerben), dem Studium der alten
längst der Vergangenheit angehörenden Hochkulturen (die "Reste" von
Teotihuacan, der mit etwa 200.000 Einwohnern mit Abstand größten Stadt
des vorspanischen Mexiko - seit Ende des 7. nachchristlichen
Jahrhunderts aufgegeben - lagen direkt in Nezahualcóyotls Herrschafts-
und Verwaltungsgebiet), oder manchmal auch etwas oberflächlicher mit Kakao-,
Pilz-
und Frauengenuss (wenn nur die Hälfte des Erzählten wahr ist, hat
Nezahualcóyotl immer noch mehr als fünfzig Kinder gezeugt).
Dichterisches Werk:
Sinnlich und filosofisch zeigt sich Nezahualcóyotl denn auch in seinen
auf uns gekommenen Gedichten, als Mann, der die Schönheiten des
Augenblicks zu genießen weiß, das Jenseits aber als seine wahre Heimat
betrachtet. Ob er nun in einer melancholischen Stimmung dichtet,
freudvoll oder reflexiv, jeder Zeile eignet ein hohes Maß an
Transzendenz, vergleichbar am ehesten mit japanischen Haikus
bzw. - als nächstem europäischen Verwandten - der Naturmystik von
Novalis. Unübertroffen in der Weltliteratur (die allermeisten
indianischen Gedichte sind ja nicht überliefert) ist wohl der
leidenschaftliche Ausdruck seiner Sehnsucht nach Unsterblichkeit -
Ursachen hierfür waren neben dem Trauma des frühen Verlusts seiner
Eltern die als monotheistisch zu bezeichnende Verehrung des
"Lebensspenders", wie er den höchsten Seinsgrund nennt, und die im alten
Mexiko verbreitete theologische Vorstellung, dass Erlangung der
Unsterblichkeit durch den Menschen möglich sei.
Wie die Sache mit Jenseits und Unsterblichkeit sich genau verhalte, hat
er dann spätestens 1472 erfahren, als er im Alter von siebzig Jahren
starb, eine blühende Stadt von großer Schönheit für ein halbes
Jahrhundert und einige einzigartige Verse für bereits deutlich längere
Zeit hinterließ.
(stro)
Aus Nezahualcóyotls Lyrik: