Mohammed Mrabet |
Von
1000 & der letzten
Nacht
Mohammed Mrabet als Bewahrer einer langsam, aber sicher aussterbenden
Tradition der mündlichen Märchenüberlieferung
In einem orientalischen Café sitzen - natürlich
ausschließlich
- Männer um einen Kerl herum und hängen voller
Hingabe an seinen Lippen. Es
herrscht gespannte Aufmerksamkeit, und der Geschichtenerzähler
versteht es
selbstverständlich geschickt, mit dem Tonfall seiner Stimme,
mit gekonnt
gesetzten Pausen das Interesse seiner Zuhörer noch mehr zu
steigern. Zwischen
Erzähler und seinen Zuhörern existiert ein lebendiges
Wechselspiel: Der Märchenerzähler
beobachtet genau, von seinen Zuhörern aber unbemerkt, die
Reaktion seines
Publikums und ist somit in der Lage von einem auf den anderen
Augenblick die
geeignetsten Adaptionen in Tonfall, seiner Sprechlautstärke
und seiner Pausen
vorzunehmen.
Der grüne Pfefferminztee, der aufgrund seiner Farbe auch
"marokkanischer Whisky" genannt wird, wird reichlich genossen, noch
mehr aber die Kif-Pfeifen, vor allem aber der Stillstand der Zeit. -
Überhaupt ist Zeit für den Orientalen ein Faktor, der
ihn nur sehr peripher tangiert - warum auch!? - Zeit gibt es - oder
zumindest gab es bis dato - in überreichem Ausmaß.
Ebenso wie Kif - die feingehackten und wohlsortierten Blätter
der Cannabispflanze
- die dann in Marokko zumeist in einer langstieligen Pfeife geraucht
werden.
Der Durchschnittseuropäer - noch mehr wohl US-Amerikaner wird
ja entsetzt einwenden: Drogenkonsum!?
- Aber woher denn! Kein vernünftiger Mensch in dieser Gegend
der Welt würde in diesem Fall von haltlosen Drogensüchtigen
sprechen. Das Rauchen gehört in diesen Breiten nun einmal zum
kulturellen Hintergrund - wie eben auch das
Märchenerzählen.
Auf Druck der Europäischen Union, besonders aber der USA,
geben sich nunmehr auch die offiziellen marokkanischen Stellen in
bester theatralisch-orientalischer Mentalität für die
Vernichtung der reichhaltigen Ernten der riesigen Haschischplantagen im
Riffgebirge her. Selbstverständlich wird in
großangelegten medienwirksamen Aktionen das schlechte
Haschisch vernichtet - die beste Ware ist natürlich schon in
Sicherheit gebracht.
"Uncle Sam" und sein mächtiger technischer
Verbündeter - das Fernsehgerät - haben es nahezu
geschafft, lebendige Traditionen auch in dieser Gegend der Welt
zumindest sehr stark zurückzudrängen. Statt
blühender Fantasie gibt es jetzt ausdruckslose, maskenhafte
Mienen, die sich gebannt der Television hingeben.
Die Tage des echten orientalischen Märchenerzählers
scheinen auch in Marokko gezählt zu sein. Nur mehr einige
wenige bewahren sich Überlieferung und natürlich
Fantasie als Geschichtenerzähler. Einer von ihnen ist Mohammed
Mrabet, der von einem renommierten deutschen Nachrichtenmagazin als der
"finsterste Mystiker der Stadt Tanger" beschrieben
wird. Nun ist einmal für die westliche Presse vieles, was
nicht messbar, berechenbar oder einfach nur mit dem sogenannten
Verstand klar einschätzbar ist, mystisch, - noch besser,
gleich finster mystisch. Tatsache ist, dass Mohammed Mrabet, Spross
einer nicht gerade kinderarmen Familie von 23 Kindern sich sehr
früh durchs Leben schlagen musste und dabei allerlei Berufe
mit Herz und Hirn ausübte. Seine Berufung jedoch war es
Geschichten zu erfinden, die er in Moghrebe (=dem arabischen Dialekt
von Tanger) erzählte; nur mündlich, da erstens das
Moghrebe keine Schrift besitzt und zum Zweiten sie Mrabet als Analfabet
ohnehin nicht niederschreiben konnte.
Der freiwillig im Exil lebende
- vor einigen Jahren verstorbene
US-Amerikaner Paul Bowles, einer aus dem Dunstkreis jener
schrägen Vögel der Beatgeneration,
der sich in Tanger niedergelassen hatte, förderte u.a. Mrabet,
indem er seine Geschichten auf Tonband aufnahm, sie ins Englische
übersetzte und niederschrieb. Auf diese Weise wurde der Ruf
Mrabets weit über die Landesgrenzen hinausgetragen, und es war
nahezu schon naturgemäß, dass solche Leute wie Henry
Miller an dem marokkanischen Geschichtenerzähler Gefallen
fanden: Mrabet selbst interessiert auch ein Lob eines Henry Miller
nicht sonderlich, sondern er erzählt einfach so seine
Geschichten, wie sie schon Jahrhunderte vor ihm erzählt,
verändert, und auch neu erfunden wurden, weiter.
Mrabet erfüllt auch die Rolle eines "Narren",
der einfach
alles sagen darf, wenn es nur fein verpackt ist. Selbst so heiße
Eisen wie religiöse Themen, - und das in einem
islamischen Land wie Marokko, - wagt er augenzwinkernd anzufassen, ohne
sich dabei aber zu verbrennen.
Er entwirft in seinen Geschichten ein Panorama der seltsamsten
orientalischen Menschentypen und deren Verhaltensweisen, die von
selbigen wohl nicht nur des Kifs wegen an den Tag gelegt werden. Als
Zuwaage dient ihm nicht selten eine gehörige Portion Kritik an
der marokkanischen Gesellschaft, an religiösem Fanatismus, und
natürlich auch an den zugereisten Europäern und
US-Amerikanern. Die von ihm vorgetragenen Geschichten entsprechen
vordergründig in Inhalt und Sprache der Gattung Märchen,
sind allesamt sehr schlicht, können wohl aber gerade deswegen
bei näherer Betrachtung einen tieferen Sinn entfalten. Selbst
wenn sich das eine oder andere Märchen vom westlich denkenden,
stets nach Sinn und Wahrheit strebenden Zeitgenossen partout nicht
entschlüsseln lassen will, so sind diese Märchen dann
eben einfach nur wunderbar absurd. Dass die magische Komponente dabei
nicht zu kurz kommt, versteht sich wohl von selbst. So beispielsweise
wenn Mrabet von seiner Initiation als Märchenerzähler
berichtet: Eines Tages hatte er einen Fisch gefangen, der ihm einen
Handel vorschlug. Als Gegenleistung für die Freilassung des
Fisches wollte ihn selbiger reich beschenken. Mrabet ließ den
Fisch
am Leben und erhielt dafür die traumhafte Fantasie des
orientalischen Märchenerzählers, die er sich seit
jenem Tage - wie er zu erzählen pflegt - zu Nutze gemacht
hatte.
Während noch Elias
Canetti
über Mrabet filosofiert und meint, dass das, was dieser
Marokkaner von sich gebe, wirkliche Literatur sei und die sogenannten
Literaten beschäme, glaubt Mrabet seinerseits schlicht und
einfach an die Existenz auch anderer Welten und entführt den
willigen und entsprechend "reiselustigen" Rezipienten dorthin: In eine
Welt der Fantasie, in der die Grenzen zwischen dem, was "wirklich" und
was "erfunden" völlig fließend sind, in eine Welt in
der Fülle an Zeit auch eine Form von Reichtum darstellt, in
ein fantastisch-magisches Paradies, das leider aber auch in jenen
Breiten langsam aber sicher vom Aussterben bedroht zu sein scheint, und
das nur mehr von einigen Wenigen - wie eben Mohammed Mrabet -
glücklicherweise noch am Leben erhalten wird.
(Rihnrhi)