Jonathan Swift (1667-1745) |
"It is easy for us who travel into remote Countries, which are seldom visited by Englishmen or other Europeans, to form Descriptions of wonderful Animals both at Sea and Land. Whereas a Traveller's chief Aim should be to make Men wiser and better, and to improve their Minds by the bad as well as good Example of what they deliver concerning foreign Places."
Zur Person |
Doch er sollte schon bald wieder zu Sir William
zurückkommen, um bei ihm zu wohnen, zu arbeiten und seinen Blick für
politische wie gesellschaftliche Entwicklungen zu schärfen. Im Haus
seines
Dienstgebers begegnete er der damals achtjährigen Esther (Stella)
Johnson, Tochter
einer verwitweten Hausangestellten, deren Hauslehrer er - (das Wissen,
ob es bei
einer auf das Wissenschaftliche beschränkten Lehrer-Schülerin-Beziehung
blieb,
nahmen die beiden mit ins Grab, denn sie vermieden in den folgenden
Jahren
peinlichst jede gesellschaftlich kompromittierende Situation) - für
längere
Zeit wurde. Schon damals verfasste Swift eine erkleckliche Anzahl von
Schriften,
die er allerdings zumeist verbrannte.
Sein Arbeitgeber, Sir William, war zu jener Zeit
ein überaus wichtiger Staatsmann, der beispielsweise mithalf, die Heirat
der
nachmaligen britischen Monarchen William und Mary zu arrangieren.
Sir William starb anno 1699, und Jonathan wurde
wiederholt von seinen Verwandten finanziell unterstützt, was seinen
Stolz wie
auch seinen Menschenhass der späteren Jahre gesteigert haben wie
erklären mag.
Der junge Mann erwarb sich in angesehenen Londoner Kreisen bald den Ruf,
ein außerordentlich
gerissener Satirenschreiber zu sein. In seinen Schriften, scharfsinnig,
ironisch
ins Schwarze treffend, die Untugenden wie z. B. Heuchlerei,
Eitelkeit, Gelehrsamkeit und würdeloses Verhalten anprangerten, führte
er seinen Zeitgenossen das
Spiegelbild einer von Schein- wie auch Doppelmoral geprägten
Gesellschaft vor
Augen und parodierte einige Werke - seines Dafürhaltens einfältiger -
zeitgenössischer Schriftsteller, was alles in allem wiederholt Probleme
auch für sein berufliches Fortkommen als
Geistlicher zur Folge hatte. Außerdem verfasste er bedeutende Pamphlete
zu
kirchlichen wie politischen Fragen.
Swift engagierte sich zunehmend auch politisch,
vor allem setzte er sich für die Belange der Iren ein, stand zunächst
auf
Seiten der fortschrittlichen Whigs, wechselte später allerdings,
auch aufgrund
erlittener Kränkungen, zu den konservativen Tories, deren
Politik in weiten
Bereichen seiner Weltanschauung entsprach. Er schrieb Zeitungsartikel,
Pamphlete
für den Frieden, verkehrte in einflussreichen Kreisen und hatte schon
bald eine
bedeutende gesellschaftliche Position inne, die er, dessen
Gerechtigkeitssinn
allgemein anerkannt wurde, zum Wohle Bedürftiger nützte.
Im April des Jahres 1713 wurde Swift zum Dekan
an der St. Patricks Kathedrale in Dublin ernannt und musste also nach
Irland zurückkehren. Mit
seiner Gesundheit stand es nicht zum Besten, und er empfand seine
Berufung nach
Irland, der er nur widerwillig Folge leistete, als Verbannung. Bereits
im
Oktober kehrte er wieder nach London zurück, doch die politischen
Wirrnisse
jener Tage brachten es mit sich, dass er London nach dem Tod von Queen
Anne
erneut den Rücken kehrte und nach Dublin reiste, wo sich Esther
(Stella), mit der ihn jahrzehntelange Zuneigung verband und die er
verehrte, und
Hester (Vanessa) Vanhomrigh, die ihn "die Liebe lehren wollte",
während
er sich eher als ihr väterlicher Freund sah, aufhielten.
Unbestätigten Gerüchten zufolge hätte Swift Stella 1716
geheiratet, was zu
einem als unwürdig zu bezeichnenden Briefwechsel der beiden Frauen
geführt
haben soll. Wie auch immer, Vanessa starb bald darauf, Stella, die
Swift als
seine treueste und wertvollste Freundin bezeichnete, im Jänner des
Jahres 1728.
Jonathan Swift litt unter stärker werdenden Geräuschen
im Ohr sowie Schwerhörigkeit, Menschenhass und seiner - wohl nicht
völlig unbegründeten -
Furcht vor Geisteskrankheit. In der finsteren Satire "A Modest
Proposal
for preventing the children of poor people from being a burden to
their parents
or the country" prangerte er die entsetzlichen Lebensumstände der
notleidenden Iren an und sah für die Kinder armer Leute keine
Möglichkeit für
ein menschenwürdiges Dasein in einem Umfeld von Bettlern, Dieben und
Verrückten,
woraus er seinen "Vorschlag" sowohl zur Beseitigung des Problems der
Überbevölkerung als auch der Hungersnöte ableitete: Es sei besser, jene
armen
Kreaturen zu verspeisen, als sie dem Elend einer Zukunft in Armut
auszusetzen.
Swift schrieb und redete gegen die Ausbeutung der
Iren durch England an, was ihn in den Augen seiner Landsleute zu einem
Volkshelden machte. Er wirkte als Geistlicher an der St. Patricks
Kathedrale und linderte das Elend vieler seiner Mitbürger durch
gelebte Nächstenliebe,
was auch milde Gaben mit einschloss.
Ab 1738 verschlechterte sich sein
Gesundheitszustand rapide, 1742 fiel er in geistige Umnachtung. Er starb
am 7.
Oktober 1745 und wurde neben Stella bestattet.
Jonathan Swift vermachte sein Vermögen einer Irrenanstalt.
Auf einer Steintafel nahe Swifts
Sarg stehen folgende von ihm verfasste Zeilen geschrieben:
Ubi Saeva Indignatio
Ulterius
Cor Lacerare Nequit
Abi Viator
Et Imitare Si Poteris
Strenuum Pro Virili
Libertatis Vindicatorem
"Gullivers
Reisen"
Im Oktober 1726 erschien in London jenes Werk,
das bisweilen in unlauter gekürzten Fassungen als
Kinderbuch missverstanden wurde und wird, unter dem Titel "Travels
into
Several Remote Nations of the World in four parts, by Lemuel Gulliver,
first a
surgeon and then a captain of several ships" - bekannt als
"Gulliver's Travels"
("Gullivers Reisen"). Der fantastische Reisebericht wurde schlagartig
ein großer Erfolg ob der pointiert formulierten scharfen Kritik an
Torheiten,
Unvernunft und dem blinden Glauben an den wissenschaftlichen
Fortschritt.
Daniel Defoes Roman
"Robinson Crusoe", der die Erlebnisse eines Schiffbrüchigen
schildert, war 1719 erschienen. Swifts Lemuel Gulliver strandet, wie
weiland
Sindbad der Seefahrer, im Laufe von 16 Jahren an vieler Länder
Küsten und
berichtet fünf Jahre nach der Rückkehr aus dem Land der
Houyhnhnms ausführlich, wie dies ein Forschungsreisender tun würde
(Swift
entwarf eigens "Landkarten"!), von sprachlichen Barrieren, vom
Zusammenleben der jeweiligen Inselbewohner, ihren besonderen
Eigenschaften,
Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen, dem Bildungswesen; davon, wie sie
mit
ihm, dem Fremden "aus einer anderen Welt" umgehen und von seiner
vorübergehenden Eingliederung in die verschiedenen Staatsgefüge. Wobei
freilich stets klar ist, dass die gesellschaftlichen wie politischen Um-
und
Zustände (nicht nur) im England des 18. Jahrhunderts (soziales Elend,
Krieg,
Missstände bei Hofe, Korruption, Vetternwirtschaft, ...) Modell
gestanden
haben, Swift jedoch unter meisterhafter Ausnützung aller zu Gebote
stehenden
Mittel die Ecken und Kanten, die Licht- und Schattenseiten für jedermann
sichtbar machte.
Im ersten Teil, "A Voyage to
Lilliput", verschlägt es Gulliver auf eine
von
Zwergen, die in ihrer Eitelkeit,
Betriebsamkeit und Wichtigtuerei nachgerade grotesk wirken, bewohnte
Insel.
Die zweite
Reise, "A Voyage to Brobdingnag", führt ihn in das Land recht
einfältiger
Riesen, und nun ist es Gulliver, der als Zwerg und sogar technisches
Wunderwerk
bestaunt und untersucht wird, als hinge der Grad der Akzeptanz eines
Wesens
innerhalb einer Gemeinschaft hauptsächlich von dessen körperlicher Größe
ab.
Was die menschliche Gesellschaft normalerweise bereits abstoßend macht,
tritt
bei den Riesen um ein Vielfaches grotesker, ekelhafter und
bedrohlicher zu Tage.
Im dritten Teil, "A Voyage to Laputa, Balnibarbi, Luggnagg,
Glubbdubdrib,
and Japan", wird von einer fünf Jahre und sechs Monate dauernden
Reise zu
einer fliegenden Insel berichtet, des Weiteren von einem Eiland der
Zauberer,
welche die Geister Verstorbener - selbstverständlich unter Beachtung
zeitlicher
Einschränkungen - (vermutlich handelt es sich hier um einen
Verhandlungserfolg
einer Geister-Sozialpartnerschaft?) rufen können, wodurch Gulliver
Gelegenheit
erhält, sich mit Größen der Antike zu unterhalten - darunter Alexander,
der
die wahre Ursache seines Ablebens preisgibt, Hannibal und
Julius
Cäsar, Homer
und Aristoteles - und am Rande erwähnt wird, dass einige der
langverstorbenen
Herrscher und Geistesgrößen im Jenseits ein Sextumvirat gebildet haben.
Selbstverständlich beinhaltet auch dieser Teil Gedanken und Ausführungen
zu
Swifts zentralen Anliegen: der zweifelhaften Errungenschaft eines auf
bevorzugte
Schichten beschränkten Wohlstands, der Steigerung der Lebensqualität
aller
Einwohner, der Sehnsucht nach dem Einfachen, einem möglichst
uneingeschränkten
Leben, das jedem Menschen seine persönliche Entfaltung ermöglicht.
Außerdem
wird das absurde Streben zeitgenössischer Wissenschafter und Gelehrter
kritisiert. Doch wohin Gulliver auch kommt, nirgendwo findet er seine
Vision
einer besseren Welt verwirklicht, bis er das Land Houyhnhnms
betritt.
Im vierten Teil, "A Voyage to the Country of the
Houyhnhnms", lässt Gulliver anno 1710 abermals Weib und Kinder
hinter sich
und wird nach einer Meuterei auf seinem Schiff im Mai des Jahres 1711 an
einer
unbekannten Küste ausgesetzt, wo er Fußabdrücke von Menschen, Pferden
und
Kühen entdeckt und bald darauf behaarter, abstoßender Ungeheuer
ansichtig
wird, die ihn mit ihren Exkrementen bewerfen. Aus dieser misslichen Lage
befreit
ihn ein Pferd, vor dem die zottigen Bestien Reißaus nehmen. Die
tugendhaften Houyhnhnms
(Pferde) bewohnen ansehnliche Häuser und halten einige der vorhin
erwähnten
degenerierten Menschenwesen, Yahoos genannt, als Nutztiere,
während sich große
Horden der verachteten Kreaturen im Land herumtreiben und damit zu
Debatten in Houyhnhnms-Versammlungen Anlass geben. Ein weiteres
Mal stellt sich die Frage, wo Gullivers
Platz in einer solch fremdartigen Umgebung sein kann, und wieder hilft
ihm seine
Sprachbegabung dabei, als intelligente Lebensform anerkannt zu werden.
Gulliver
ernährt sich während seines drei Jahre währenden Aufenthaltes von
Kuhmilch
und selbstgebackenem Brot,
und das völlige Fehlen von Salz im Land der
Houyhnhnms veranlasst ihn zu folgender Bemerkung: "I was at
first at a
great loss for Salt; but Custom soon reconciled the Want of it; and I
am
confident that the frequent use of Salt among us is an Effect of
Luxury, and was
first introduced only as a Provocative to Drink; except where it is
necessary
for preserving of Flesh in long Voyages, or in Places remote from
great Markets.
For we observe no Animal to be fond of it but Man: And as to myself,
when I left
this Country, it was a great while before I could endure the Taste of
it in
anything that I eat."
Nach und nach kann Gulliver den Eindruck, er sei nichts als eine
einzigartige
Laune der Natur, widerlegen und seinem weisen Gastgeber von seiner
Heimat
erzählen, wo Pferde als Nutztiere gehalten werden und Menschen
herrschen, sowie
die Englische Verfassung erläutern. Umgekehrt lernt Gulliver die Gesetze
und
Bräuche der Houyhnhnms kennen und schätzen; mehr noch, er fühlt
sich langsam
aber sicher wie einer von ihnen. Doch nicht alle Houyhnhnms
halten den
"intelligenten Yahoo" für einen gleichwertigen Mitbürger,
vielmehr
betrachten ihn einige als latente Gefahr für die herrschende Ordnung,
als möglichen Anführer
der anderen Yahoos, und so muss Gulliver unter dem stärker
werdenden Druck der
Widersacher an Bord eines selbst gebauten Bootes schweren Herzens
Abschied vom
Land der von ihm so bewunderten Houyhnhnms nehmen.
Er kehrt schließlich am 5.
Dezember 1715 zu seiner überraschten Familie zurück, die ihn für tot
gehalten
hat, doch Gulliver empfindet beim Anblick seiner Angehörigen nur Hass,
Abscheu
und Verachtung. Allein der Gedanke, sich fortgepflanzt zu haben, ruft
bei ihm
Scham, Verwirrung und Grauen hervor, und es dauert Jahre, bis er die
Gegenwart
der
Familie einigermaßen ertragen kann, allerdings fühlt er sich auch
dann
noch ausschließlich bei seinen Pferden richtig wohl.
Swift verfasste das Werk in der Absicht, die Welt zu verbessern und die
Bedeutung
vernünftigen Handelns zu unterstreichen, was er abschließend betonte.
(kre)