E.T.A. Hoffmann (1776-1822) |
Der
Zauberer von Königsberg
E.T.A.
Hoffmann wurde am 24. Jänner 1776 in Königsberg
geboren. Er war erblich vorbelastet, insofern sein Vater Rechtsanwalt
mit einem starken Hang zum Alkoholismus war, während seine
Mutter eher der Hysterie zuneigte. Zunächst hieß der
Knabe noch Ernst Theodor Wilhelm, doch sollte er als Hommage an seinen Lieblingskomponisten
später Wilhelm gegen Amadeus eintauschen. Als er vier Jahre
alt war, ließen sich seine Eltern scheiden und er verbrachte
die übrige Kindheit in der Familie seiner Mutter, deren
steifes bürgerliches Betragen seine Spottlust ungemein schulte
und seiner überreichen Fantasie ebenso Nahrung gab wie etwa
auch der religiöse Wahn einer Hausnachbarin, der Mutter des
späteren Theaterschriftstellers Zacharias Werner, die ihren Sohn
(sechs Jahre älter als E.T.A.) für das Christkind
hielt. Kalt ließ ihn hingegen der Königsberger
Starfilosof
Immanuel
Kant, welcher freilich seinen Zenith schon
überschritten hatte, als Hoffmann sein Jusstudium abschloss
und eine Laufbahn als preussischer Justizbeamter begann, welche ihn im
Laufe seines Lebens durch die Städte Glogau, Posen, Plock,
Warschau, Berlin, Bamberg (in dieser Stadt hatte er das Glück,
nicht der Juristerei frönen zu müssen, vielmehr den
Posten eines Kapellmeisters am dortigen Theater inne), Dresden, Leipzig
und wieder nach Berlin führen sollte. Da nun sein Herz und
seine freien Stunden seit seiner Jugend den schönen
Künsten gehörten, begab es sich, dass er die meiste
Zeit ein ziemlich gespaltenes Leben führte: tagsüber
trockene Beamtentätigkeit, nachts komponierend, schreibend,
mit Künstlerfreunden diskutierend und - wer würde es
wagen, ihm dies nach des Tages Trockenheit zum Vorwurf zu machen - sehr
viel
Wein trinkend.
Auffallend bei Hoffmann ist insbesondere seine erstaunliche
künstlerische Universalbegabung, welche - so wie auch seine
Themen - auf einen gemeinsamen magischen Kern hinweist.
Sein Zeichentalent (obiges Bild ist ein Selbstportrait) spielte ihm
1802 in Posen einen üblen Streich, als nämlich
Hoffmanns schonungslose Karikatur der dortigen Haute Volée
aufflog und dem Künstler in seiner Eigenschaft als Jurist eine
Strafversetzung eintrug.
Hoffmanns Hauptleidenschaft, wohl weil sie in ihm selbst die
stärksten Empfindungen und Fantasien auslöste, war
die Musik. Lange Zeit hegte er die Hoffnung, das ihm wesentliche in der
Sprache der Musik sagen zu können, doch war den meisten seiner
Kompositionen weder zu Lebzeiten noch danach
größerer Erfolg beschieden; eine gewisse Ausnahme
bildete dabei seine nach einem
Libretto von Motte-Fouqué geschriebene Oper "Undine", die im
Zuge seiner Bamberger Kapellmeisterzeit entstand und ebendort
uraufgeführt wurde.
Schließlich wurde es aber offensichtlich, wo Hoffmanns
größte Stärken lagen - seit ca. 1808 begann
Hoffmann zusätzlich zu seinen zahlreichen Musikkritiken auch
Geschichten zu schreiben und wurde mit ihnen in kürzester Zeit
zu einem Erfolgsautor. Und ein Glück für die
Nachwelt, dass er sich dann auch als sehr fleißiger
Schriftsteller herausstellte, denn nur ein gutes Jahrzehnt umspannt
seine literarische Tätigkeit. E.T.A. Hoffmann starb, wohl
nicht zuletzt aufgrund seines ungesunden Lebenswandels relativ
früh, am 25. Juni 1822 in Berlin.
Bald nach seinem Tod wurde E.T.A. Hoffmann in Deutschland beiseite
gelegt und vergessen, insgesamt stand er in dem Ruf eines zwar
fantasievollen, aber überspannten, der dämonischen
Seite allzu verbundenen Gruselschriftstellers; Goethe
zum Beispiel
konnte ihn nicht leiden. In Frankreich hingegen fand er viele
begeisterte Leser, die ihn freilich auf ihre eigene Weise rezipierten,
wovon man einen Geschmack bekommt, vergleicht man die Oper "Hoffmanns
Erzählungen" von Jacques Offenbach mit des echten Hoffmanns
Erzählungen. Und etwas von den frühen Vorurteilen
gegenüber Hoffmanns Werk scheint sich bis heute gehalten zu
haben - dass es sich bei ihm um ein besonderes Juwel, was sage ich, um
einen Höhepunkt der Weltliteratur handelt, ist noch keineswegs
allgemein anerkannt.
E.T.A. Hoffmann ist ein Meister des Magischen. Nirgendwo sonst nimmt
die Welt des Traumes, der Geister, Dämonen, psychischen
Kräfte und Ideale derart überzeugend Gestalt an wie
bei ihm. Zu dieser Gabe passt die Andeutung Hoffmanns, dass er starke
Erinnerungen an die ganzheitliche Welt seiner Kindheitsempfindungen zu
bewahren vermochte, an Wahrnehmungsabenteuer aller Arten und Sinne,
Einblicke in andere Dimensionen der Wirklichkeit. Und vollends kamen
ihm diese auch in der schnöden Erwachsenenwelt nicht abhanden,
wurden vielmehr von seiner künstlerischen Tätigkeit,
der Liebe, dem Wein und, sofern letzterer gemeinsam mit Menschen von
einigem Witz, Geist und Vorstellungsvermögen genossen wurde,
hitzigen Diskussionen nach Kräften genährt. Um seine
eigenen Erfahrungen mit anderen Wirklichkeiten stilgerecht
darzustellen, griff er auf Figuren der Märchenwelt und
Mythologie (vor allem Indiens) zurück und fand in der
Filosofie seiner Zeit einen geeigneten metafysischen Überbau -
war auch Kant nicht sein Fall, lässt sich doch einiges an
Fichte
und Novalis in seinem Werk erkennen, wenn es um die
Fragwürdigkeit des Ichbegriffs und um hohe Ideale wie
Freiheit, Unschuld und erfüllte Liebe geht. Der
alltäglichen Welt des Augenscheinlichen, Angepassten,
Gewohnheitsmäßigen hingegen, jenen Menschen, die mit
den Scheuklappen der Vernunft auf der Landstraße des Lebens
gehen, galt, wenn er ihnen nicht auskam, sein in allen Nuancen vom
Liebevollen bis zum Schneidenden schillernder Spott. Die leichte,
fantasievolle, instinktsichere Art, in der er diese zwei Welten
einander überlagern, durchdringen und herausfordern
lässt, wie Zauberer, Astrologen, Feen, Vampire und sprechende
Tiere Hofräten, Fürsten, Studenten und Handwerkern
ein aberwitziges Stelldichein geben, kann man nur als schlichtweg
genial bezeichnen; Hoffmann erweist sich dabei nicht nur als
mächtiger Magier, sondern als einer der ersten Humoristen
deutscher Sprache. Jawohl.
Ein idealistisches Grundgerüst weisen seine
Meistererzählungen bzw. Kunstmärchen "Der Goldene
Topf", "Prinzessin Brambilla" und "Meister Floh" auf. Sie alle haben
gemein, in parallelen
Welten zu spielen; das irdische Tun und
Trachten der Menschen findet eine Entsprechung auf einer
mythologisch-metafysischen Ebene, und je nachdem, mit welchen dortigen
Kräften sie sich bewusst oder unbewusst verbinden, geraten
ihnen ihre irdischen Abenteuer, entwickeln sich ihre Psychen.
In "Der
Goldene Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit" erlebt
der arme Student Anselmus einen Himmelfahrtstag, der sein Leben radikal
verändern wird. Zunächst rennt der Tolpatsch in ein
altes Apfelweib, auf dass die Äpfel in alle Richtungen
davonfliegen und er von dem Weib verflucht wird, was umso weniger auf
die leichte Schulter zu nehmen, als es sich bei diesem um eine
professionelle Hexe handelt. Wenig später geht es dann in die
andere Richtung: Anselmus liegt unter einem Holunderbaum in allerlei
trübe Gedanken versunken, da beginnen silberhelle Stimmen
engelsgleich aus dem Busch zu klingen, und wie er aufsieht, gewahrt er
drei goldgrüne Schlänglein, die sich wohlig im
Abendsonnenschein baden. Als ihn die eine mit ihren
wunderschönen blauen Augen ansieht, bemerkt er in diesem Blick
eine geheime Entsprechung zu seinem eignen Wesen, verliebt sich
unsterblich und zeigt sich im weiteren von derart unnennbarer Sehnsucht
ergriffen, dass er von seinen weniger romantisch veranlagten Freunden
schon als behandlungswürdiger Fall angesehen wird. Der
einzige, der seine Sehnsucht ernstnimmt, ist der geheimnisvolle
Archivarius Lindhorst, der selbst gerne wunderliche Geschichten
erzählt und, wenn diese etwa als orientalischer Schwulst
abgetan werden, als Sprachrohr von Hoffmanns Kunstverständnis
antwortet, dass diese
wahrhaftiger seien als solche des gewöhnlichen Lebens, dass
Geschichten von anderen Welten (um keine anderen handelt es sich)
"nichts weniger als ungereimt oder auch nur allegorisch gemeint,
sondern buchstäblich wahr" seien. Bei aller Komik, die durch
das Gegenüberstellen von vollem und
spießbürgerlichem Leben entsteht, geistert auch ein
düsteres Motiv durch die Geschichte: der
Fall
ins Kristall, Symbol für die durch die
bedenkenlose Übernahme fremder Werte sich einstellende
Verhärtung der Seele, für die Entfremdung des
modernen Menschen am Beginn des bürgerlichen Zeitalters.
In "Prinzessin
Brambilla. Ein Capriccio nach Jacques Callot", da inspiriert
von den skurrilen, fantastischen Gestalten des lothringischen
Kupferstechers Callot, begibt sich Hoffmann dorthin, wohin es ihm trotz
eifriger Pläne nicht vergönnt gewesen war, in natura
eine Reise zu tun - nach Rom; und da die Fantasie der Materie
gegenüber doch so manchen Vorteil hat, sucht er sich
dafür die ihm gemäßeste Zeit aus - den
Karneval. Es beginnt mit dem Zauber eines Kleides, eines wunderbar
gearbeiteten Karnevalskostüms, dem Giacinta, die
zuständige Schneiderin erliegt und sich, nachdem sie so
kühn gewesen ist, es anzuprobieren, fortan zu Höherem
bestimmt fühlt. Sehr interessiert nimmt sie
Gerüchte auf, wonach ein assyrischer Prinz diesmal
Rom mit seiner Anwesenheit beehren werde, während ihr
Geliebter, der Schauspieler Giglio, ganz anders, nämlich mit
rasender Eifersucht darauf reagiert und einzig in Gedanken an die
ebenfalls erwartete äthiopische Prinzessin Brambilla Trost
findet. Es sei nur mehr verraten, dass die Gerüchte allesamt
stimmen, und sich die beiden jungen Leute halsüberkopf in ein
tolles, äußerst temperamentvolles Verwirr- und
natürlich auch Verkleidungsspiel (auf der anderen Ebene in
einen durchaus ernsthafteren Kampf von Gedanke und Anschauung, von
Komödie und Tragödie, letztlich um Selbsterkennung)
stürzen, in dem auch ein Scharlatan, deutsche Kunststudenten
und die Figuren der Commedia dell'Arte fleißig mitmischen.
In "Meister Floh. Ein
Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde" haben
wir gleich zwei Helden, die um die Wiedererlangung ihres inneren
Gleichgewichts ringen. Abgestoßen vom Treiben der modernen
Welt hat sich der eine, Peregrinus mit Namen, einsiedlerisch von der
Welt zurückgezogen, während der andere, George
geheißen und von cholerischerer Art, sich in Indien und
anderen zwielichtigen Gegenden herumgetrieben hat, um nun, nach
Frankfurt am Main zurückgekehrt, mit großer Inbrunst
einem Mädel hinterherzurennen. Auch den Einsiedler
überfällt bei einem seiner seltenen Besuche der
Menschenwelt mit aller Macht die Liebe, und als hätte er sich
damit nicht schon genug Schwierigkeiten eingefangen, begibt sich auch
noch der Titelheld, der Oberste aller Flöhe, in seine Obhut.
Dieser befindet sich nämlich auf der Flucht vor zwei
Zauberern, die Meister Flohs magische Fähigkeiten für
ihre eigenen Zwecke ausnützen wollen, nicht zuletzt ein derart
feines Vergrößerungsglas, dass man durch dieses die
geheimen Gedanken seines Gesprächspartners zu erkennen vermag.
Nun kann es eine gefährliche Sache sein, einem Misanthropen
solch ein Instrument zur Verfügung zu stellen, doch zum einen
ist Meister Floh mindestens so weise wie bissig, zum anderen war die
Zeit der Zurückgezogenheit für Peregrinus eine
notwendige Fase, um erneuert ins Leben bzw. (um auch die rein geistige
Ebene ins Spiel zu bringen) auf seinen angestammten Thron zu gelangen. In
dieser Geschichte ist die Verbindung zwischen den Ebenen
lose, dafür umso verspielter und mit einer großen
Fülle humoristischer Details gestaltet.
Andere Erzählungen Hoffmanns kommen ohne
übernatürliches Zubehör aus, haben, wie etwa
"Das Fräulein von Scuderi" das dämonische Potenzial
des Menschen (in diesem Fall die Gier nach Gold) zum Thema. Mehr in den
himmlischen Bereich wiederum führen seine Schriften
über Musikalisches, so seine Erzählung vom "Ritter
Gluck" und die Geschichtensammlung "Kreisleriana", die um den
Kapellmeister Kreisler, einen wilden, leidenschaftlichen Musiker, in
welchem Hoffmann sein eigenes wunderliches Wesen noch akzentuiert,
kreisen, diverse musikästhetische Probleme in Zusammenhang zur
Psyche und zu Fragen der Zeit setzen und den geistesverwandten
Robert
Schumann (der umgekehrte Fall zu Hoffmann: ein Musiker, der sich
längere Zeit für einen Schriftsteller hielt) zu
seinen gleichnamigen Klavierstücken inspiriert haben.
Schließlich sei noch ein weiteres (von Tschaikowskij)
vertontes Werk erwähnt, das für den Sohn eines
Freundes geschriebene Kinderbuch "Nussknacker und
Mäusekönig". In dieser bezaubernden Geschichte fahren
die Geschwister Marie und Fritz am Weihnachtsabend eine reiche Ernte an
neuem Spielzeug, nicht zuletzt den titelgebenden Nussknacker, ein. Im
Traum der folgenden Nacht, welcher recht lange währt, sieht
Marie zu ihrem Erstaunen all diese Figuren ins
Leben
treten. Leider kommt es bald zu Auseinandersetzungen
mit missliebigen Mäusen, die erst durch ein großes
Opfer Maries zugunsten des Nussknackers entschieden werden,
wofür die Retterin denn auch fürstlich belohnt wird.
Von schwärzester
Magie, dem Pakt mit dem Bösen, handelt Hoffmanns Roman "Die
Elixiere des Teufels". Der Held, ein Kapuzinermönch,
fällt, um besonders schön predigen und nicht zuletzt
eine Dame, die er angesichts seines Keuschheitsgelübdes als
ungehörig attraktiv empfindet, beeindrucken zu
können, den Versuchungen des Teufels zum Opfer. Um seine
frevelhaften Ziele zu erreichen, begeht er verschiedene Verbrechen und
befindet sich bald in einer alptraumartigen Atmosfäre auf der
Flucht, getrieben von seinen Begierden, von der Polizei, vor allem aber
von seiner eigenen übergroßen Schuld. Diese Hetzjagd
führt ihn durch zahlreiche Abenteuer, magische und irdische
Intrigen, zurück in der Zeit auf den Spuren guter und weniger
guter Vorfahren und schließlich, nach den vielen Wirren
geläutert, zur wohlverdienten Erlösung. Grell und
düster, sich aufheiternder Komik großteils versagend
und ganz den stärksten Leidenschaften hingegeben vermag dieser
barocke Roman das Dämonische im Menschen auf unheimlich
berührende Art zum Ausdruck zu bringen.
Als E.T.A. Hoffmanns Hauptwerk
sehe ich den Roman "Lebensansichten des Katers Murr"
an, ein Werk, in dem einmal alle Hauptthemen Hoffmanns zusammengefasst
und so persönlich wie in keinem anderen seiner Bücher
behandelt werden. Es ist ein zweistimmiges Werk, die eine, dem in der
ersten Person erzählenden Kater Murr gehörende Stimme
bricht immer an einem spannenden Punkt der Geschichte jäh ab,
auf dass die andere, in der dritten Person gehaltene und vom bereits
erwähnten Kapellmeister Kreisler als Hauptperson handelnde
Stimme ebenso jäh, irgendwo mitten im Geschehen einsetzt und
umgekehrt: presto agitato, die langsamen Rhythmen waren Hoffmanns Sache
nicht. Der Schauplatz der Geschichte ist das Schloss eines abgedankten
Fürsten, dessen Ländchen längst dem es
umgebenden Großherzogtum einverleibt wurde, der aber seine
ziemlich reiche Apanage dazu verwendet, weiterhin einen wenn nicht noch
prächtigeren Hof zu unterhalten und den Regenten zu spielen,
bei welchem infantilen Unterfangen er von "seinem Volk" (ein
Städtchen mit Umgebung) nach Kräften
unterstützt wird. In dieses Städtchen
verschlägt es nun den Johannes Kreisler, einen wirren,
getriebenen Mann mit viel Talent für die Kunst, Leidenschaft
für des Weibes Schönheit und Sehnsucht nach dem
Himmlischen, kurz, Hoffmanns literarischen Doppelgänger. Alte
Beziehungen zur Erzieherin des Hofes helfen Kreisler, eine Anstellung
als Musiklehrer des an sich nicht sonderlich kunstsinnigen
Fürsten zu bekommen. Und wie es das Schicksal so will,
gerät der Herr Kapellmeister beim Musizieren zwischen zwei
junge
Frauen, die Prinzessin, nämlich Tochter des
Fürsten, sowie ihre Busenfreundin. Letztere ist die Tochter
von Kreislers alter Bekannter, und da sie nicht nur auf den gleichen
Vornamen hört wie eine
unglückliche Liebe Hoffmanns aus der Bamberger Zeit,
sondern vor allem auch über eine Singstimme verfügt,
die bewirkt, dass "aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles
Entzücken süßer Träume, die
Hoffnung, das Verlangen durch den Wald wogte und niederfiel wie
erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender
Nachtigallen", ist es durchaus nicht unglaubhaft, dass sich Kreisler
sofort in sie verliebt. Alsbald tritt jedoch ein dämonischer
Prinz aus Neapel als Nebenbuhler hinzu, während die Prinzessin
ihrerseits auf seltsame Weise von Kreisler fasziniert und
abgestoßen zugleich erscheint. Alle Figuren (so auch der
weise Meister Abraham, Freund Kreislers und Herrchen des Katers Murr,
der Abt eines naheliegenden Klosters nebst etlichen Mönchen
und der schwachsinnige Sohn des Fürsten) sind eingespannt in
ein dichtes Netz von Beziehungen, Intrigen, geistigen und
körperlichen Verwandtschaften, Geheimnissen aus der
Vergangenheit, mithin in eine ziemlich komplizierte Romanhandlung,
deren unterbliebene Auflösung kaum zu erahnen ist.
Diese Welt des leidenschaftlichen Künstlers Kreisler, in der
ein letztes Mal und in seiner reifsten Form alle wichtigen Motive
Hoffmanns, die himmlische und die irdische Liebe, die Musik, der
Künstler, seine Beziehung zur Umwelt und seine Mittlerfunktion
bzw. Zerrissenheit zwischen den Wirklichkeiten, Wahnsinn, Schuld,
Sühne, Selbstfindung und dergleichen mehr anklingen, wird in
scharfer Form von der des Katers Murr kontrastiert, ja parodiert. Bei
diesem Kater handelt es sich um einen wahren, in Gestalt dieser
animalischen Karikatur äußerst liebenswerten Heros
der Selbstgefälligkeit, der uns von nichts Geringerem als von
seinem eigenen Leben erzählt, wie er wurde, was er wurde, ein
homme de lettres tres renommé, Vorbild unzähliger
kommender Katergenerationen und genialer Autodidakt. Denn zum Ruhme
geboren hat Murr sich früh schon heimlich das Schreiben
beigebracht und uns so neben einer Reihe von Gedichten
unterschiedlicher Gattungen (die, auch wenn sie bisweilen entfernt an
Goethe erinnern, insgesamt eines Katers würdig sind) auch
seine höchst erbauliche Autobiografie hinterlassen. Leider war
es dem Kater nicht bestimmt, noch zu Lebzeiten die
Früchte
seines Schaffens zu genießen: der
Tod nützte die zwischen den Teilen 2 und 3 entstandene Pause
dazu aus, erst dem sich ebenfalls Murr nennenden Vorbild für
den Titelhelden, Hoffmanns Hauskater, "einem wirklichen Kater von
großer Schönheit", und kurz darauf dem Meister
selbst die Feder aus der Hand zu nehmen, die Weltliteratur so um einen
weiteren großen unvollendeten Roman bereichernd.
(stro)
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