"So enden unsere Geheimnisse in dem Augenblick, da man sie an die Luft und in die Öffentlichkeit bringt. Es gibt vielleicht nichts Schrecklicheres in uns, auf Erden und, wer weiß, vielleicht im Himmel, als das, was unausgesprochen bleibt. Man wird nicht eher Ruhe finden, bis ein für allemal alles gesagt worden ist, dann erst wird Frieden eintreten, und man wird eher vor dem Schweigen Angst haben. So wird es kommen." (S. 371)
Wenn es zu Übersetzungen bzw.
Neuübersetzungen des Louis-Ferdinand Céline (1894-1961) ins Deutsche kommt, und das sollte
es wegen der Bedeutung des Schriftstellers und
seiner fortgesetzte Erneuerung fordernden Sprache mit gewisser
Regelmäßigkeit, erfolgt dies nie ohne Begleitwort, handelt es sich bei Céline
doch zudem um den Verfasser judenfeindlicher Pamflete
in der zweiten Hälfte der dreißiger und um einen Kollaborateur der deutschen Besatzer in der ersten
Hälfte der vierziger Jahre.
Ein Begleitwort zu so einem Autor kann nun selbst
ein aussagekräftiges Zeitdokument
darstellen, wie etwa das teils mulmige Gefühle weckende, teils amüsante
anlässlich der Neuübersetzung von "Mort à crédit" ("Tod auf Raten"), worin
sich der Übersetzer, Hinrich Schmidt-Henkel, für die Wiedergabe des Wortes "nègre" mit
dem deutschen Wort "Neger" entschuldigen zu müssen glaubt, und das mit dem
hanebüchenen Argument: "nicht weil ich sie guthieße, sondern
weil es mir widersinnig erschiene, sie zu verharmlosen". Oder eine kurze
Lobpreisung der Freiheit der Kunst mit der anscheinend enorm wichtigen Belehrung beschließt, dass diese aber bei Aufrufen zu Verbrechen
gegen die Menschlichkeit ihre Grenzen habe (soll vielleicht ja nur heißen: kauft und lest Céline,
ehe er verboten wird!). Oder sich bezüglich der Spannung zwischen Leben und Werk
des Übersetzten zu
dem hilflosen Pathos aufschwingt:
"Widersprüche, nicht auflösbar. Leben wir mit ihnen, stellen wir uns ihnen und
ertragen wir den Unerträglichen. Aber machen wir nicht unseren Frieden mit ihm."
Die hier besprochene Taschenbuchausgabe
von "Voyage au bout de la nuit", so der Originaltitel, fasst die älteste Übersetzung des Romans überhaupt aus dem Jahr 1933 und
stammt vom dem Zauber Célines verfallenen
Österreicher Isak Grünberg (dem sein Jüdischsein knapp zwei Jahre
Konzentrationslager beschert hat; gestorben ist er 1953). Hier beschränkt sich
das Vorwort auf zwei prägnante Seiten
(man muss annehmen, sie stammen vom
Übersetzer, ersichtlich ist es leider nicht), von denen nur der letzte
Satz "... Kein anderer Roman ist so radikal vom Krisenbewusstsein der
Zwischenkriegszeit bestimmt, keiner räumt so radikal mit dem schönen Schein des
Bürgertums auf, keiner zeigt so radikal die Herankunft der Barbaren an. Sie
kamen, und Céline folgte ihnen." als allzu einseitig zu
kritisieren ist, als würde - die Barbarei der Nationalsozialisten
natürlich unwidersprochen - Céline nicht leidenschaftlich auf vielen hundert
Seiten das, was ihm selbst als des Menschen in seiner Zeit, und keineswegs nur des
"bourgeois", unwürdig, was ihm
barbarisch an unserer Zivilisation vorgekommen
ist, bloßstellen.
Dieser vermutlich Grünberg heißende Vorwortverfasser stellt außerdem einen interessanten Céline-Proust-Vergleich
an,
indem er den letzten Höhepunkt des klassischen Schriftfranzösisch von "À la
recherche du temps perdu",
deren letzter, postumer Band nur 5 Jahre vor der 1932
erschienenen "Reise ans Ende der Nacht" herausgekommen ist, mit der
ungefilterten Sprachwucht Célines vergleicht. Diese reizvolle französische Klassikergegenüberstellung noch ein wenig weitergeführt: beide Autoren
stammen aus der
Bourgeoisie, wenngleich so ziemlich von deren entgegengesetzten Enden,
beide schreiben in erster Person und vornehmlich über Dinge, die sie selbst
erlebt haben, Proust fast autobiografisch, Céline eher autofiktional, Proust,
der zeitlebens keiner Erwerbstätigkeit nachgehen musste, geht es um das
minutiöse Bewahren besonderer, höchstsubjektiver persönlicher Eindrücke und
längst für immer vergangener historischer Umstände, während Céline, von Beruf
Armenarzt, die Gegenwart und besonders das, was ihm daran in üblem Sinne
zukunftsträchtig erscheint, wild entschlossen und mit unerhörter Offenheit aufs
Korn nimmt.
Im weiteren soll Louis-Ferdinand Céline vorzugsweise
selbst zu Wort kommen.
Die ersten paar Seiten sind der
Vorstellung des Ich-Erzählers, Ferdinand Bardamu, offensichtliches alter ego des
Autors, gewidmet, zwanzigjähriger oberschlauer Medizinstudent mit flotten
antipatriotischen Sprüchen und anarchistischen Tendenzen, als er einer Laune
- oder vielleicht eher seinem dunklen Drange - nachgebend sich als Freiwilliger für
den später so genannten
ersten Weltkrieg
meldet, nur um sich eine halbe Seite später wie eine Ratte in der Falle sitzen zu
fühlen.
Konkret auf einer Landstraße in Flandern; durch die heiße Sommerluft
schwirren diese
langen, reizenden Stahlfäden (die freilich den einen großen Nachteil haben, einen
töten zu wollen), während sein Oberst seelenruhig, allenfalls ein wenig
ungeduldig, auf dieser Straße
hin und her spazierend Meldungen entgegennimmt und beim fassungslosen Ferdinand eine
Erkenntnis bewirkt:
"Dieser Oberst war also ein
Ungeheuer! Ich war davon überzeugt, daß er in diesem Augenblick, ärger als
irgendein Hund, nicht einmal ans Sterben dachte. Ich begriff zugleich, daß es
viele solcher tapferer Kerle wie ihn in unserer Armee geben mußte und zweifellos
ebenso viele in der Armee, die uns gegenüberstand. Wer wußte denn, wie viele?
Ein, zwei, mehrere Millionen vielleicht im ganzen. Von da ab wurde meine Angst
panisch. Mit Geschöpfen, die so beschaffen waren, konnte dieser Schwachsinn
endlos weitergehen ... Warum sollten sie aufhören? Niemals hatte ich das
Verhängnis der Menschen und der Dinge erbarmungsloser empfunden.
Sollte ich der einzige Feigling auf Erden sein? dachte ich, Und mit welchem
Entsetzen! Unter zwei Millionen heldenhafte, entfesselte, bis an die Zähne
bewaffnete Wahnsinnige verirrt? Mit Helmen, ohne Helme, ohne Pferde, auf
Motorrädern, brüllend, in Automobilen, pfeifend, Plänkler, Verschwörer in der
Luft, auf den Knien, sich eingrabend, stürmend, sich auf den Pfaden tummelnd,
mit den Gewehren furzend, eingeschlossen auf der Erde wie in einer Kerkerzelle,
um alles auf ihr zu zerstören, Deutschland, Frankreich und die Kontinente, um
alles zu zerstören, was atmet, toller als die Hunde, die eigene Tollheit
anbetend (was die Hunde nicht tun), hunderttausendmal toller als tausend Hunde,
und um soviel lasterhafter! Schön schauen wir aus! Wirklich, jetzt begriff ich
es, ich war in einen apokalyptischen Kreuzzug geraten." (S. 16)
Ein schönes Beispiel für Célines
verbale Gefühlsausbrüche (zu denen es in der "Reise" noch nicht so häufig
wie später kommt), welche die ganze ehemalige Emotion bestens konserviert in
einem ebenso rhythmischen wie wortgewaltigen Schwall zum Ausdruck bringen.
Gleich auch ein in diesem seinen Romanerstling noch weitgehend der direkten Rede
vorbehaltenes Beispiel für "die berühmten drei Punkte"
(Schmidt-Henkel), die den großen Ausbruch in kleineren Ausstoßfetzen bündeln, Gefühl,
Erinnerung, Schilderung straffen
und für seinen zweiten Roman, "Tod auf Raten", ganz charakteristisch sind.
Dass das sinnlose Morden ohne Rücksicht auf
Verluste zwischen Vaterland 1
und Vaterland 2, wie es heißt, noch ein ganzes Weilchen
andauern wird, gibt dem Autor Gelegenheit für ein paar weitere Kriegsanekdoten: von Vorgesetzten, denen man innigst den Tod wünscht, von
Bürgermeistern, die einen nachdrücklich auffordern, sich davonzumachen, da man ihr Städtchen schon
den Deutschen versprochen habe und es ein unwiederbringlicher Verlust wertvollen
Kulturguts wäre, die
gotische Kathedrale zerstört zu sehen, von der inneren Verrohung ("Fünf Francs
sind genügender Anlaß, um zu hassen und allen das Krepieren an den Hals zu
wünschen"; S. 46), vom laufenden Kampf um Quartier und Verpflegung, von der permanenten Todesangst und
der unerfüllten Sehnsucht nach
Schlaf, und schon bald nach Kriegsbeginn von belobigten Gendarmen, die den einzig
wahren, echten Krieg, den gegen Deserteure und Proviantdiebe, führen würden.
Beim gescheiterten Versuch, sich von den Deutschen gefangennehmen zu
lassen, begegnet der zum Unteroffizier avancierte Ferdinand Bardamu erstmals einem
Landsmann namens Léon Robinson; diesem Kameraden wird er im Zuge des Romans immer
wieder über den Weg laufen, eine Art finstererer, brutalerer und proletarischer Schatten des gebildeten,
an sich nicht uncharmanten Erzählers:
"Ich hab mich also ins
Gebüsch geschlagen, und da, stell dir vor, treff ich unsern Hauptmann ...
Er war grad am Krepieren... Mit beiden Händen hat er sich die Hosen
festgehalten, so hat er gespien... Überall ist ihm das Blut herausgelaufen, und
die Augen hat er dabei verdreht... Niemand war bei ihm. Er hatte seinen Teil
abbekommen... 'Mutti! Mutti!' hat er beim Krepieren gewinselt und dabei Blut
gepißt...
'Halt's Maul!' hab ich gesagt. 'Mutti! Die kannst du...' Nur so im
Vorübergehen!... Direkt ins Gesicht!... Kannst dir denken, wie ihm das
vorgekommen ist, dem Schwein!... Junge, Junge!... Man hat nicht oft Gelegenheit,
dem Hauptmann die Meinung zu sagen... So was muß man ausnützen. Kommt nicht oft
vor...'" (S. 49)
Eine Verwundung und eine Tapferkeitsmedaille (kaum zu glauben, der ein Hohelied der Feigheit singende Autor schweigt leider schamhaft über deren Zustandekommen) ermöglichen ihm schließlich den Wechsel ins Hinterland, wo erst das ganze Ausmaß der Heuchelei offenbar wird. Zum Exempel:
"Im Hinterland hat man die
Kriegsteilnehmer beerbt, man hat sich an den Ruhm gewöhnt und schnell
herausgehabt, wie man ihn gefaßt und schmerzlos ertragen kann.
Alle Mütter waren Krankenpflegerinnen oder Märyrerinnen. Ihre langen
Trauerschleier hätten sie ebensowenig aufgegeben wie das neue Diplom, das ihnen
das Ministerium von Zeit zu Zeit durch die Bürgermeisterei zustellen ließ. Mit
einem Wort, alles hat sich eingelaufen.
Bei einer schönen Leiche ist man auch sehr traurig, aber man denkt an die
Erbschaft, an den nächsten Urlaub, an die hübsche Witwe, die angeblich so
temperamentvoll ist, und daran, daß man selber möglichst lange leben möchte.
Vielleicht geht man überhaupt nicht drauf ... Was weiß man denn?
Wenn man so hinter dem Leichenwagen hergeht, dann ziehen alle die Hüte tief vor
einem ab. Das macht Spaß. Man muß sich schön gerade halten, muß wohlanständig
aussehen und darf nicht laut lachen. Freuen darf man sich nur heimlich. Heimlich
darf man alles.
Während des Kriegs tanzte man im Keller statt im Parterre. Die Kriegsteilnehmer
haben das ruhig geduldet, im Gegenteil, es hat ihnen Spaß gemacht. Gleich bei
der Ankunft haben sie sich danach erkundigt, und niemand hat etwas daran faul
gefunden. Eigentlich ist nur die Tapferkeit faul. Warum soll der Körper tapfer
sein? Dann kann man auch von den Maden verlangen, daß sie tapfer sind - sie sind
blaßrosa und weichlich wie wir." (S. 55)
Derweilen Ferdinands Sinnen und Trachten dem gilt, einem neuerlichen Kriegseinsatz zu entgehen, findet er Energie genug, das Leben zu genießen, und wie dafür geschaffen die attraktive US-Amerikanerin Lola, Nachfahrin der Mayflower-Fundamentalisten, die ihren heroischen Idealismus für die Sache der Alliierten mit dem Backen (Backenlassen) von für die Pariser Lazarette bestimmten Krapfen kräftig unterstützt und dabei Affären mit hübschen französischen Kriegshelden keineswegs abgeneigt ist. Als es wieder ernst zu werden droht,
"'Kanonen! Menschenmaterial! Munition!' verlangten die Patrioten unersättlich. Offenbar konnte man nicht eher schlafen, als bis das arme Belgien und das unschuldige kleine Elsaß vom germanischen Joch befreit sein würden. Es wurde behauptet, daß diese fixe Idee es den Guten, Edlen unmöglich mache, zu schlafen, zu essen, sich zu paaren. Aber trotzdem hat es nicht den Eindruck gemacht, als ob es den Überlebenden unmöglich gewesen wäre, Geschäfte zu machen. Die Stimmung im Hinterland war ausgezeichnet, das konnte man wohl sagen." (S. 95),
täuscht Ferdinand einen Anfall vor und kommt mit ungewisser Diagnose zur weiteren Begutachtung in ein auf dergleichen spezialisiertes Krankenhaus. Dort droht ihm zwar auch alles Mögliche wie beispielsweise das Irrenhaus oder der Galgen, verglichen mit den von Jaroslav Hašek beschriebenen österreichischen Methoden geht es jedoch einigermaßen "fortschrittlich" zu. Auf der anderen Seite wiederum äußert der Erzähler auch in Friedenszeiten häufig Neid gegenüber Tieren, die nicht auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Ferdinands Mutter etwa, die ihn irgendwann besuchen darf, schneidet beim Vergleich mit einer Hündin (und das muss nicht gleich "Die Spitzin" von Marie von Ebner-Eschenbach sein) schlecht ab:
"Sie erzählte mir kleine Begebenheiten aus
ihrem Geschäft, was die Leute in der Nachbarschaft vom Krieg hielten, der Krieg
sei wirklich 'fürchterlich', aber mit großem Mut würde man das auch überstehen;
die Toten sah sie als Opfer eines Unfalls an. Es war wie bei den Rennen: wer
sich richtig festhielt, würde schon im Sattel bleiben. Für sie war der Krieg nur
weiteres Herzeleid, und sie bemühte sich, nicht allzusehr daran zu rühren; sie
hatte förmlich Angst vor diesem Herzeleid. Es war voller Dinge, die sie nicht
mehr begriff. Im Grunde war sie davon überzeugt, daß die kleinen Leute dazu da
waren, um zu leiden, das war ihre Bestimmung auf der Erde, und da es jetzt so
besonders schlimm war, würde es wohl zum größten Teil daran liegen, daß die
kleinen Leute allzuviel Sünden aufgehäuft hätten ...
Sie hatten offenbar Dummheiten gemacht, zweifellos ohne sich darüber
Rechenschaft zu geben, aber sie waren trotzdem selbst schuld, und es war schon
allerhand, daß sie durch Leiden ihre Fehler sühnen durften... Sie war eine
'Unberührbare', meine gute Mutter.
Dieser resignierte und tragische Optimismus war ihr
Glaubensbekenntnis und bildete die Grundlage ihres Charakters." (S.109/110)
Homo homini lupus bzw.
schwungvoll-sarkastisch "Jeder für sich und die Erde für alle!" - das sagt der Autor mit
den unterschiedlichsten Worten und Begebenheiten, er sagt es auch in der nächsten etwa
80seitigen Episode, in welcher es Ferdinand - den Krieg hat er also überlebt - im
Auftrag einer Handelsgesellschaft in die französische Kolonie Kongo verschlägt.
Zunächst erhalten wir eine schonungslose Beschreibung der
größeren Hafenstadt Fort-Gono mit ihren kolonialen Spezialitäten: Korruption und
Unbarmherzigkeit, Unmengen an Alkohol und Chinin, Tropenfieber und krampfhaftes Festhalten an europäischen
Gepflogenheiten, rasch in der schrecklichen Hitze verwelkende Beamtentöchter und für 22 Francs am Tag
(Steuern nicht einberechnet) den Vorgesetzten ihr Leben bietende halbfertige
Jüngelchen, - das Bild, das Céline vom
französischen Kolonialismus entwirft, ist umso überzeugender, als der Erzähler
durchaus anpassungswillig auftritt und ihm platte moralische
Urteile fernliegen, genaue Beobachtung, der Hang zu grotesken Szenen und poetischer Übertreibung
hingegen nahe.
"Die Eingeborenen funktionieren meist erst auf Peitschenhiebe hin; soviel
Menschenwürde ist ihnen geblieben. Aber die Weißen sind durch die allgemeine
Bildung vorbereitet, und es geht ganz von selbst.
Eine Peitsche schwingen ist auf die Dauer für den, der sie schwingt, ermüdend;
aber die Hoffnung auf Reichtum und Macht, mit der man die Weißen anschmiert,
kostet gar nichts. Keiner soll uns mehr die Ägypter und die tatarischen Tyrannen
rühmen! Diese Dilettanten des Altertums waren nur kleine Anfänger in der hohen
Kunst, dem aufrechtgehenden Tier das höchste Maß an Arbeitsleistung abzuzwingen.
Diese Primitiven wußten noch nicht, daß man den Sklaven mit 'Herr' anreden und
ihn von Zeit zu Zeit wählen lassen muß." (S.160)
"Man blieb gute drei Stunden beim Schnaps vor den Mahlzeiten sitzen. Man unterhielt sich dabei immer über den Gouverneur, um den sich fast alle Gespräche drehten, über mögliche und unmögliche Unterschlagungen und über Erotik; das ist die Trikolore der Kolonien. Die anwesenden Beamten beschuldigten die Offiziere unumwunden der Erpressung und des Mißbrauchs der Amtsgewalt; aber die blieben ihnen die Antwort nicht schuldig. Die Kaufleute hielten alle Festbesoldeten für Heuchler, Diebe und Betrüger. Jeden Morgen seit gut zehn Jahren hieß es, daß der Gouverneur abberufen würde, aber die so ersehnte Botschaft von seinem Sturz traf niemals ein. Obgleich seit eh und je mindestens zwei anonyme Briefe wöchentlich an den Minister gelangten, die tausend detaillierte Schauermärchen von dem Lokaltyrannen erzählten." (S. 169)
"An jedem Morgen kamen die Vertreter des Heeres und des Handels und verlangten im Büro des Krankenhauses winselnd ihre verlorenen Kontingente wieder. Kein Tag verging, an dem nicht ein Hauptmann den Spitalsverwalter beschimpfte und Gottes Donner auf ihn herabwünschte, weil er ihm nicht die drei am Sumpffieber erkrankten Sergeanten und die beiden syphilitischen Korporale sofort wiedergeben wollte. Sie fehlten ihm gerade zur Vervollständigung einer Kompanie. Wenn er erfuhr, daß die 'Drückeberger' gestorben waren, ließ er den Verwalter in Frieden und ging in die Pagode, um dort eins zu trinken. Tage, Menschen und Dinge schwanden so geschwind im grünen Dickicht, unter Klima, Hitze und Mücken hin, daß man dessen kaum inneward." (S.170; das Krankenhaus ist für den Erzähler eingestandenermaßen der am wenigsten üble Ort in Fort-Gono und als solcher Gegenstand seiner Sehnsucht)
Danach geht es in das kleinere
Topo, wo ihn nicht nur ein gerüttelt Maß an Absurdität (ohne Tornister,
Bajonette und
Schuhwerk, aber mit
umso mehr Leidenschaft übende schwarze Soldaten; Zustandekommen von Gerichtsurteilen)
erwartet, sondern unvermutet auch an "Fortschrittlichkeit": nachdem sie auf
den Geschmack gebracht worden sind, muss man den Kongolesen nämlich keinen Sold mehr
auszahlen, da sie ihn ohnehin gleich in Tabak investieren oder schon Kredit
darauf genommen haben.
Schließlich der letzte Vorposten französischer Zivilisation, Bikomimbo, mitten im
Urwald - er als einziger Weißer in einer notdürftigen Behausung untergebracht,
soll dem nahen 100-Einwohner-Dorf diverse Waren verkaufen und dabei, was ihm
schlimme Stunden bereitet, gewissenhaft Rechnung halten. Wenn die Sonne
jeden Tag pünktlich um sechs Uhr abends prachtvoll untergeht, die Nacht ihre Ungeheuer gebiert und das große Urwaldkonzert aus
tausenden Tierstimmen - am schlimmsten das sogenannte Lachen der Hyänen, ein
grauenhaft übertrieben klingendes - anhebt, scheint es nun
wirklich finsterer nicht mehr zu gehen. Doch wenn du glaubst, es geht nicht mehr
... das Einsetzen der Regenzeit, Fieberwahn
(leider weilt er nicht in Fort-Gono, um an den dort so beliebten
Fieber-Konkurrenzen teilnehmen zu können) und der unbeholfene Umgang mit Zündsteinen
sorgen schließlich dafür, dass die Reste seiner Behausung mit Stumpf und Stiel
niederbrennen.
"Die Rechnung war abgeschlossen. Der Urwald war zum ersten
Mal verstummt. Es war ganz still. Die Eulen, Kröten, Leoparden und Papageien
bekamen endlich mal was zu sehen. Die sind nicht so leicht zu verblüffen. Nur
durch den Krieg, wie wir." (S. 204)
Ferdinand gelingt es, sich an die Küste
durchzuschlagen, und gelangt als zwangsrekrutierter Ruderer auf einem spanischen Schiff (den Franzosen,
insbesondere der Handelsgesellschaft, geht er fürs erste lieber aus dem Weg)
nach New York, wo die nächste längere Episode stattfindet.
"Das war mal eine Überraschung!
Was wir durch den Nebel hindurch erblickten, war so erstaunlich, daß wir erst
gar nicht daran glauben wollten, und als wir direkt davorstanden, mußten sogar
wir Galeerensklaven lachen.
Die Stadt stand auf den Hinterbeinen, sie war
ganz vertikal. New York ist eine Stadt, die sich aufgerichtet hat. Wir hatten
schon allerhand schöne Städte gesehen und berühmte Häfen. Aber bei uns, da
liegen die Städte am Meeresstrand oder an den Flüssen, sie ruhen in der
Landschaft und heißen den Reisenden willkommen; aber die Amerikanerin da rekelte
sich nicht, sie hielt sich sehr gerade, von Hingebung war da nichts zu merken;
sie war zum Fürchten steif." (S. 212)
Ungewöhnlich ist nicht nur der
erste Anblick der Stadt, sondern so manches
in diesem, wie es heißt, riesigen Ameisenhaufen. Zwar ist Ferdinand von den
vielen schönen New Yorker Frauen begeistert, und im Kino wird er sich bald, als
das Leben für ihn härter wird, Optimismusinjektionen für mindestens zwei Tage
holen, doch auch dieser Gesellschaftsentwurf ist gar nicht nach seinem Geschmack, zumal er nur wenig Geld in der
Tasche hat.
Echtes, grundsätzliches Unbehagen befällt ihn gegenüber
dem dort auf die Spitze getriebenen Nützlichkeitsdenken, wie es beispielsweise "jene rationellen öffentlichen Speisehäuser, wo die
Bedienung auf das geringste Maß beschränkt und der Ritus des Essens zur
Naturnotwendigkeit vereinfacht wird" ... "hinter den Gefäßen mit Nudeln, Reis
und Kompott die Serviermädchen als Krankenschwestern verkleidet" (S.
236/237) verkörpern, bei deren
Besuch,
des täglichen Sandwich-Essens überdrüssig, er mit seiner joie de vivre tragikomisch
scheitert.
Ein anderes sind seine Erfahrungen in den Ford-Werken
(für die Céline wirklich gearbeitet hat, allerdings als Seuchenarzt), nachdem er
sich
bald Geld zu verdienen genötigt sieht:
"Die gebückten Arbeiter, die
ängstlich bemüht sind, sich den Maschinen möglichst angenehm zu machen, widern
einen an. Warum reichen sie ihnen immer wieder Bolzen und Schlagbolzen zu, statt
endlich ein für allemal mit dem Ölgeruch, dem Brodem, der Trommelfell und
Ohrmuschel versengt, Schluß zu machen? Sie halten die Köpfe nicht aus Scham
gesenkt. Man ergibt sich in den Lärm wie in den Krieg. Man gibt sich den
Maschinen hin und behält nur noch drei zittrige Gedanken im Kopf. Es ist aus.
Alles, was man ansieht, alles, was man betastet, ist hart geworden. Und wenn man
sich an etwas erinnert, ist es auch zu hartem Stahl geworden und hat das Aroma
verloren.
Man ist auf einmal schrecklich alt geworden.
Man muß die Außenwelt vernichten oder sie zu Stahl, zu etwas Nützlichem
umgestalten. Es ist die Strafe dafür, daß man sie nicht genügend liebte. Man muß
also einen festen Gegenstand daraus machen, so will es das Gesetz." (S. 258/259)
Nicht einmal eine gefühlvolle Prostituierte (der erste Mensch, der ihn von seinen eigenen Ansprüchen und Wünschen her zu verstehen und zu beraten sucht!), die sich in ihn verliebt, kann ihn mehr umstimmen, sorgt immerhin dafür, dass er auch positive Erinnerungen nach Paris, wohin er schließlich zurückkehrt, mitnimmt.
"Von meinem Fenster aus konnte ich hinunterrufen, was mir gerade einfiel. Ich hab's getan. Sie haben mich alle miteinander angeekelt. Bei Tag und von Angesicht zu Angesicht hatte ich nicht den Mut, es ihnen zu sagen, aber jetzt, wo ich nichts riskierte, hab ich hinuntergeschrien: "Zu Hilfe! Zu Hilfe!", nur um zu sehen, ob ihnen das irgendwelchen Eindruck machen würde. Es hat ihnen gar keinen gemacht. Die Menschen schoben Leben und Nacht und Tag vor sich her. Das Leben verbarg ihnen alles. Über ihrem eigenen Getöse hören sie nichts mehr. Sie pfeifen darauf. Und je größer und höher die Stadt gebaut ist, umso mehr pfeifen sie darauf. Ich kann das wohl sagen. Denn ich hab's versucht. Es ist nicht der Mühe wert." (S. 240)
In einer anderen Großstadt (allerdings nicht dermaßen in die Höhe gebaut) begegnen wir Ferdinand wieder, in dem Pariser Vorort Rancy, wo er nach Abschluss des Medizinstudiums eine Praxis eröffnet. Nicht gerade ein einträgliches Pflaster, und wenn man der einzige Arzt in der Gegend ohne Automobil ist, nehmen einem die Patienten diesen Prestigenachteil übel. Anhand verschiedener Krankengeschichten, etliche mit tödlichem Ausgang, und einigem, was der interessierte Beobachter sonst so von den Einwohnern zu sehen, hören, riechen bekommt, zeichnet er ein recht miserables Bild dieses Viertels.
"Wenn man in Rancy wohnt, merkt man gar nicht mehr, daß man traurig ist. Man hat nur auf nichts mehr besonders Lust, das ist alles. Man muß an allem und für alles sparen, und schließlich hat man gar keine Bedürfnisse mehr." (S. 277)
"'Honorar? Das ist ein schöner Ausdruck! Die Kranken haben ja nicht einmal Geld genug fürs Essen und fürs Kino, muß man ihnen dann noch etwas für 'Honorar' abknöpfen? Und gerade wenn sie im Begriff sind, die Augen für immer zu schließen? Es ist nicht angenehm. Man läßt es bleiben. Man ist gütig. Und geht unter." (S. 301)
"Wenn man länger an einem Ort bleibt, dann entblößen sich die Dinge und Menschen immer mehr. Sie verfaulen und fangen an, ganz speziell für einen zu stinken." (S. 313)
Sehr selten bekommt man von Céline so nüchtern-deprimierende Absätze zu lesen, ganz entsprechend den damit verbundenen Gefühlen, die immer beteiligt sein müssen, wenn er etwas für romantauglich erachtet. Ansonsten gibt er sich lieber überbordend, humorig,
"Aber den Leuten gefiel die Autorennbahn, die etwas Neueres war, besser, weil es da immer Unfälle gab und weil man so schön durchgeschüttelt wurde. Immer wieder fuhren sie brüllend und verwirrt aufeinander los, es gab fürchterliche Zusammenstöße, und die Leute kamen halbtot mit einem Schaden an der Milz heraus. Aber sie wollten unbedingt immer weitermachen. Sie flehten nicht um Gnade, im Gegenteil, es schien ihnen besonderes Vergnügen zu bereiten. Manche gerieten förmlich in Raserei. Man mußte sie gewaltsam vor der Katastrophe retten. Hätte man eine Prämie von 20 Sous auf ihren Tod ausgesetzt, sie hätten sich darauf gestürzt." (S. 354)
ironisch, sarkastisch, spöttisch, blankweg zynisch, betont naiv oder auch - muss man sich denn, um so radikal Anstoß nehmen zu können, nicht etwas Naivität bewahrt haben? - tatsächlich.
Wo Céline verschiedenste Spielarten von
Sozialtristesse schildert und den eisern die Miete eintreiben lassenden
Hausherrn gar als den letzten Dreck bezeichnet, sind ihm trotz sonstiger
Schaudermomente viele Leserherzen zugeflogen. Nicht nur zeitgenössische
Rezipienten haben es bedauert, dass Céline mit der Offenlegung
gesellschaftlicher und ökonomischer Missstände keine Konzepte, wie es besser
gemacht werden könnte (oder "noch besser" Aufrufe zur Unterstützung
bestimmter politischer Richtungen), verbunden hat. Tatsächlich ist es wohl
eher als schriftstellerische Redlichkeit und folglich Vorzug zu werten, dass der Autor
auf abstrakte
Konzepte, die seinen persönlichen Erlebnishorizont übersteigen,
verzichtet, ebenso wie er die verschiedentlich verformten Menschen beschreibt, ohne dabei so etwas wie eine feststehende
menschliche Natur anzunehmen.
Eine leichte Sympathie scheint er bei
allem konkreten Ekel gegenüber den Armen aber doch zu empfinden, ja er hält
sogar einen kleinen Rat für sie bereit:
"Übrigens verjüngen sich die Armen gleichsam mit zunehmendem Alter innerlich, vorausgesetzt, daß sie sich bis dahin von der Lüge, der Furcht und den angeborenen Instinkten zu befreien vermochten. Alles übrige auf der Welt geht sie nichts an. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, ihren Gehorsam loszuwerden, ihn auszukotzen. Wenn sie das erreicht haben, bevor sie krepiert sind, können sie sich rühmen, nicht umsonst gelebt zu haben." (S. 422)
Wenn Ferdinand
spät am Abend von einem erfolglosen Krankenbesuch heimkehrt, ist es ihm,
als würde nun im Schoß der großen Nacht seine eigene kleine in Form der
kalten, mickrigen Wohnung auf ihn warten.
Die
Metafer von der Nacht zieht sich durch den ganzen Roman. Die Nacht steht dabei
primär für etwas Inneres, einen von Finsternis befallenen Bewusstseins- und Seelenzustand, der in dem Erzähler
nicht so sehr die simple Sehnsucht nach Tagesanbruch weckt als - behauptet er jedenfalls und schreibt
auch dementsprechend - den Ehrgeiz stachelt, sie ganz zu durchmessen,
bis zur Neige zu kosten, alles Abgründige an den Menschenwesen (und das ist wenig nicht) kennenzulernen.
Die
Wendung von ihrem Ende ("bout" und nicht "fin") spielt
gleichzeitig auf die Aufklärung, die im Französischen mit dem Wort für Licht
bzw. "lumière" gebildet wird, an.
In den Mund eines wichtigtuerischen Intellektuellen, nicht den des
Erzählers, legt Céline eine Brandrede wider die Mächtigen und darin den Vorwurf an
die großen Aufklärer
Voltaire und
Diderot, diese
hätten mit ihren hochtrabenden Parolen bloß für die neuartigen Freiwilligenheere der 1790er Koalitionskriege
und im Anschluss der europäischen Nationalarmeen gesorgt. Obwohl das
delikate Thema solchermaßen subtil relativiert
wird, dürfte der Kern der Kritik an den Auswirkungen der Aufklärung (falsche oder
naturgemäß sehr bald zweckentfremdete Ideale - echte Verderbnis) vom Autor geteilt
werden.
Im Studium des Nächtlichen und in dem gnostisch anmutenden Glauben,
wie er in dem
Anfangszitat zum Ausdruck kommt, steht er selbst aber sehr wohl in dieser
Tradition, wenngleich in einem umfassenden, dialektischen, ohne Zuflucht zur
Frase auskommenden Sinn. Auf diese praktische Weise ist
er auch in seiner Eigenschaft als Arzt aufklärerisch tätig (wenn er nicht gerade zu müde ist),
nur hilft's halt alles wenig. Die versprochene
Bewusstheit und Selbstbestimmtheit des Menschen insgesamt lässt offensichtlich ziemlich auf sich warten,
die großen Schlagworte des achtzehnten Jahrhunderts haben in erster Linie zu
dicken neuen Schichten der Heuchelei, der Entfremdung und des Selbstbetrugs
geführt.
"Aber ich war mißtrauisch gegen Begriffe geworden. Man hatte mich schon einmal mit Begriffen hineingelegt, niemand würde mich mehr mit schönen Redensarten zum Narren halten. Niemand." (S. 63)
Einigen Freundinnen von Lola spielt er in New York einmal, wie es heißt, Jean-Jacques Rousseau vor (vermutlich der Held seiner Jugendjahre; eine gewisse natürliche Verwandtschaft ist unverkennbar): der frische Blick des Reisenden, das Schwindelgefühl des alles scheinbar Feste relativierenden Andersartigen, gewürzt mit einer kräftigen Dosis Vergänglichkeitshinweis, womit er von den elisabethanisch wirkenden Damen (die von ihrem Parisaufenthalt nur mehr den Invalidendom und ein bekanntes Bordell in Erinnerung haben - anscheinend hat man sich dort eine Zeitlang um prostituierte Schäfchen für die eigene Konfession bemüht) herzliches Gelächter, eine Unzahl von Schimpfworten ("die ich infolge ihrer amerikanischen Aussprache und ihrer salbungsvollen und unanständigen Art zu reden kaum verstand"; S. 246) und deutliche Anzeichen wachsender sexueller Erregung erntet.
Keine Vorbilder und Ideale also - der Erzähler ist allein in seiner Nacht unterwegs, es sei denn mit dem ihn begleitenden Leser, oder wenn er - in Rancy schwer zu vermeiden - sich in Intrigen verwickeln lässt, im Zuge derer es Ferdinand und ein paar andere nächtliche Geschöpfe - die Vertuschung eines Mordversuchs im Familienkreis ist angesagt - ins schöne Toulouse verschlägt. Eine Zeitlang verdient er sein Geld als Komparse in einem englischen Musiktheater, gegen Romanende hin nimmt er Arbeit in einer Psychiatrie an, wo es ihm - mit einer "mitteleuropäischen" (slowakischen) Geliebten und bald ohne den der Anglofilie erliegenden Direktor (dessen Tochter der Erzähler übrigens für das unheimlichste Wesen in der ganzen Anstalt hält) - einigermaßen behagt, ehe ihn eine alte Schuld oder Mitverantwortung einholt. Ein bisschen Madame Bovary im zwanzigsten Jahrhundert gibt es zum Dessert (überhaupt: nicht wenige Leichen säumen seine Reise).
Wer sich dafür interessiert, ob der spätere Werdegang
Louis-Ferdinand Célines schon in der
einen oder anderen Passage zu erahnen ist, wird sicher manchen Hinweis finden, präsentiert
sich der Erzähler doch selbst voller größerer und kleinerer Schwächen (Feigheit,
wenig Mitgefühl und Liebesfähigkeit, übermäßiger sexueller Appetit, wenig Talent
zu Selbstlosigkeit); selten scheint regelrechter Hass aufzulodern.
Und da
ist auch noch der Tod, nicht nur deprimierender Bestandteil des ärztlichen
Einmaleins, nicht nur guter Grund, das vergängliche Leben umso mehr
wertzuschätzen, sondern auch das Gegenteil, ein dauerhafter Schatten auf der
Seele des Schriftstellers, welcher mit "Tod auf Raten", worin er seinem Arztberuf
ähnlich viel Platz wie in der "Reise ans Ende der Nacht", aber mit grandiosem
Zynismus, einräumt, nichts anderes als das Leben meint.
Der Schlussabsatz fällt, bei einem Erstling nicht verwunderlich, spektakulär aus
(effekthascherisch? allzu nihilistisch? Ausdruck einer großen Müdigkeit? eine geheime Sehnsucht offenbarend? -
der Autor hat mitnichten alles von sich preisgegeben, vielleicht weiß er es
selber nicht genau):
"Von fern her tönt der Pfiff des Schleppdampfers. Sein Ruf hallt über die Brücke, den Bogen, die Schleuse, über die nächste Brücke und weiter noch in die Ferne... er fordert alle Barken und die ganze Stadt, Himmel und Feld. Und er ruft uns und nimmt auch die Seine mit, alles... damit niemand mehr davon berichten kann..." (S. 536)
(stro)
Louis-Ferdinand Céline: "Reise ans Ende der Nacht"
(Originaltitel: "Voyage au bout de la nuit")
Übersetzt von Isak Grünberg. rororo
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere
Buchtipps:
Louis-Ferdinand Céline: "Tod auf
Raten"
(Originaltitel:
"Mort à crédit")
Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel (Rowohlt)
Buch
bei amazon.de bestellen