William S. Burroughs: "Junkie" |
Bekenntnisse eines
unbekehrten Rauschgiftsüchtigen
"Denn die einzig wirklichen Menschen sind für mich die Verrückten,
die verrückt danach sind zu leben, verrückt danach zu sprechen,
verrückt danach, erlöst zu werden und nach allem gleichzeitig gieren
- jene die niemals gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern
brennen, brennen, brennen wie phantastisch gelbe Wunderkerzen."
(Jack Kerouac)
Jack Kerouac, Allen Ginsberg, und der Nestor der Bewegung, William
Seward Burroughs, sind die bedeutendsten Exponenten der sogenannten Beatgeneration.
Die "Beatniks", wie sie auch genannt wurden, waren ungemein
lebhafte, lebenshungrige junge Intellektuelle und Künstler in den
Vereinigten Staaten von Amerika der Nachkriegsgeneration, die - schon
damals - nicht sehr an den "Amerikanischen Traum" glaubten: Da hatten
die USA eben erst die Welt vor den bösen Nazis errettet, die
us-amerikanische Wirtschaftsdampflok kam gerade so richtig schön in
Fahrt, und gar manches, was sich uns heute als us-amerikanische
Entartung präsentiert, nahm zu diesem Zeitpunkt seinen Ursprung - aber
einige Querköpfe wollten partout nicht mitmachen, sondern ersannen sich
ihre eigene Welt, in der es darum ging, sich "von innen zu belichten",
so viele wie nur mögliche Erfahrungen zu machen, der bürgerlichen Welt
und ihren Moralvorstellungen ade zu sagen - kurzum alles, was wohl in
dem Zeitalter des berühmten Kommunistenfressers, des Senators Joseph Mc
Carthy, auf größten Argwohn und Ablehnung des Establishments
stoßen musste. Diese Missbilligung war Burroughs und Konsorten
eigentlich nicht nur recht, sondern diente ihnen - die sie zum größten
Teil dem us-amerikanischen (Groß-)Bürgertum entstammten - als
Bestätigung, dass sie auf dem rechten Weg waren. So zogen sie
nomadenhaft durch das riesige Land, waren meistens voll mit
verschiedensten Rauschmittel bedröhnt, liebten überwiegend schwul und
schrieben sich - so nebenbei - ihre gemachten Erfahrungen von der Seele.
Die Literatur, die auf diese Weise produziert worden ist, war genau so
wie der Lebensstil der "Beatniks": wirr, chaotisch, naiv,
neugierig und anarchisch, aber gleichzeitig auch ungemein erfrischend -
vor allem im Kontext der damaligen Zeit betrachtet. Die "Beatniks",
die praktisch alle gesellschaftlichen Normen durchbrachen
(rauschgiftsüchtig, schwul, oder zumindest bisexuell, arbeitsscheu, bi-
um nicht zu sagen oftmals auch polygamistisch, den Fortschritt
ablehnend, dafür aber umso interessierter an Spiritualität und östlichen
Religionen), wurden somit in gewisser Weise zu den Urvätern der
nachfolgenden Hippiebewegung, der 1968er,
und last but not least der Öko-Bewegten. Ihrem Umfeld
entsprangen "Psychonauten" wie der berühmte Harvardprofessor und
"Drogenpionier" Timothy
Leary, aber auch die ersten us-amerikanischen Buddhisten um Gary
Snyder.
Die "Beatniks" blieben natürlich nicht nur in den USA, sondern,
nachdem sie erst einmal ausgiebig das eigene Land "abgegrast" hatten,
begaben sie sich auch nach Asien und auf die Spuren der großen Mayakulturen,
und Ginsberg landete letztlich auch beim heutigen Dalai
Lama, um mit ihm über seine Drogenerfahrungen (also die von
Ginsberg natürlich!) zu diskutieren und sich bei ihm Rat zu holen: Der
Dalai Lama lächelte - wie zumeist - und hörte Ginsberg aufmerksam zu,
war aber alles in allem dann doch eher negativ diesen Experimenten
gegenüber eingestellt, zumal die daraus gewonnen Erkenntnisse nicht
wirklich harte "eigene" Arbeit an sich selbst hervorgebracht hatte,
sondern eingenommene Substanzen, billigte ihnen aber zumindest einen
"Entspannungs- bzw. Entkrampfungseffekt" zu, den - vor allem - der
westliche Mensch wohl nötig habe.
Nun, William Seward Burroughs hat es mit diesem Entspannungseffekt wohl
kräftig übertrieben, denn wie sonst ist es erklärbar, dass er
jahrzehntelang schwerstens opiatabhängig war, worüber er in seinem -
wahrscheinlich - am leichtesten zugänglichen Werk "Junkie" schreibt.
In diesem Werk, das sich zwar auf die 1930er-, 1940er-Jahre bezieht,
gleichzeitig aber zeitlos ist, da es über die Problematiken der
Opiatabhängigkeit, der Drogenbeschaffung und Drogenkriminalität
berichtet - die wohl in der Vergangenheit wie auch in Zukunft sich nicht
viel ändern werden - nimmt Burroughs gleich mehrere Rollen ein: Zum
einen die des einfach "Neugierigen", der halt wissen wollte, wie denn
nun Opiate wirken, also der sich mehr oder weniger freiwillig in "seine"
Sucht manövriert hat. Aus dieser Perspektive erscheint Burroughs wie ein
Wissenschafter, der "nüchtern" deskriptiv den Leser in die Welt der
Sucht einführt. Auf der anderen Seite wiederum ist Burroughs derjenige,
der zwar den eigenen Suchtmechanismus rational klar erkannt hat, aber
eben, da es sich um Sucht
handelt, einfach nicht anders kann und diesen Aspekt sehr gut
darzustellen vermag. Alles in allem wird man den "Junkie" niemals
selbstmitleidig erleben, sondern ganz Kind seiner Zeit - vor allem aber
seiner "Geistesschule"; so kommen Burroughs Beschreibungen eher nach dem
Motto: nun, da ich schon einmal drin bin, einmal sehen, was sich daraus
gewinnen lässt - rüber. In diesem Punkt hebt sich Burroughs Werk sehr
wohltuend von anderen Büchern des gleichen Inhalts ab, die oftmals
Überdosen "Moralin" verabreichen. Nicht dass Burroughs, der seinem Buch
den Untertitel "Bekenntnisse eines unbekehrten Rauschgiftsüchtigen" gab,
besonders stolz auf seine Sucht gewesen ist, doch in jeder Situation ist
er als bewusster und achtsamer und dabei auf eine sehr eigenartige Weise
distanzierter Beobachter seines Zustandes - aber auch seiner Zustände -
erkennbar. So nebenbei macht er sich auch so seine Gedanken über die
damals gängigen Entzugspraktiken, wobei er - das kann man ihm nicht
verübeln - mit zum Teil medizinischen Vorschlägen aufwartet, die uns
natürlich heute völlig überholt erscheinen. Eine interessante, wenn auch
etwas boshafte Randbemerkung sei mir an dieser Stelle gestattet:
Burroughs, der auch auf ein Semester Medizinstudium - und das noch dazu
in Wien - zurückblicken kann, gibt zu allerlei medizinischen Fragen, die
Suchtproblematik oder die angebliche Gefährlichkeit von gewissen
Substanzen (wie z. B. Marihuana), seinen Kommentar ab, der halt in
vielerlei Hinsicht der landläufigen Meinung Drogen betreffend zuwider
läuft. Der Herausgeber der ersten us-amerikanischen Fassung ist
selbstverständlich eiligst und überbetulich bemüht, derartige
Randbemerkungen in Zweifel zu ziehen, wobei man oftmals das Gefühl hat,
diese "Anmerkungen" seien weniger - wie angegeben - von Medizinern denn
von Polizisten oder Richtern getätigt worden.
Warum also sollte man dieses Buch lesen?
Zum Einen, weil es offenbar - trotz seines Alters - noch in keiner Weise
durch ein anderes Werk dieser Gattung ersetzt werden konnte.
Es beschreibt mit ungewöhnlicher kritischer Schärfe eben die
Suchtproblematik und die damit verbundenen sozialen Probleme, zum
Anderen darf Burroughs als wirklicher "Fachmann
aus eigener Erfahrung" in Sachen Drogen angesehen werden, und er
nimmt in diesem Buch nicht nur zu Opiaten Stellung, sondern beschreibt -
obgleich das Buch vor Jahrzehnten verfasst worden ist - auch durchwegs
richtig andere Rauschmittel. Außerdem zeichnet er sich - wie schon
erwähnt - durch eine schonungslose Offenheit vor allem sich selbst
gegenüber aus, und darüber hinaus werden die in dem Buch vorkommenden
Personen ungemein sorgfältig, gleichzeitig aber auch aus einem etwas
sonderbaren, durchaus faszinierenden Blickwinkel heraus, beschrieben.
Diese seine Personenbeschreibungen erinnern mich etwas an die von Henry
Miller - der aber widmete sich weniger den Drogen, denn einer anderen
Sparte mit nicht minder großem Suchtpotential: der Sexualität.
Mögen die "Beatniks" - als eine noch junge Frucht des
Aufbegehrens - oftmals ziemlich chaotisch und wirr gewesen sein, so wie
auch viele ihrer literarischen Produkte, so ist dies bei Burroughs -
zumindest was dieses Buch betrifft - nicht der Fall. Sein klarer
nüchterner Blick ähnelt dem "Auge" eines Tornados, in dem nahezu völlige
Windstille herrscht, und wohl nur dieses "Auge" war es, das ihn
letztlich vor der gewaltigen Vernichtungskraft der Opiatsucht rettete.
(Rihnrhi)
William S. Burroughs: "Junkie"
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