Franz von Assisi (1181/82 - 3.10.1226)
"Der Sonnengesang"
("Cantico delle creature")
Die erste Dichtung in italienischer Sprache ist gleichzeitig die einzige, die mit Sicherheit Franziskus von Assisi zugeschrieben werden kann. Die anderen laudes wurden allesamt auf Latein verfasst. Inspiriert ist der "Sonnengesang" vom 148. Psalm. Es wird angenommen, dass die Jünger jene rhythmische Prosa dem Volk vorsingen sollten. Die von Literaturwissenschaftern wenig schmeichelhaft als Vulgärsprache bezeichneten Zeilen sollten für alle Menschen verständlich sein.
"Der Sonnengesang" wurde von unzähligen Menschen interpretiert, und ich möchte mich nicht in der Reihe hinten anstellen, sondern einen Bezug zur Gegenwart herstellen.
Es sei nur kurz erwähnt, dass die verbreitete Ansicht, es handle sich um enthusiastische Einfalt contra die asketische Literatur der damaligen Zeit, von mir nicht geteilt wird. Freilich ist Literatur immer von der Zeit bestimmt, in der sie geschrieben wird. Dennoch ist es ziemlich unsinnig, diesen geschichtlichen Oberbau als Fundament der Interpretation herzunehmen. Der Theologe Eugen Drewermann geht so weit, die gesamte Bibelwissenschaft, welche sich hauptsächlich der historisch-kritischen Methode bedient, zu bezweifeln, und einen vollkommen anderen Ansatz, den er als tiefenpsychologische Bibelauslegung versteht, zu wählen. Wenn Literaturwissenschafter die historisch-kritische Methode der Bibelwissenschafter als einzige Möglichkeit erkennen wollen, die verschiedenen der Nachwelt zugänglichen Schriften wichtiger Autoren christlicher Herkunft bzw. Lebensart zu verstehen, kann dies nur die Übernahme einer eindimensionalen Auslegung von Literatur sein.
Nähert man sich dem "Sonnengesang" heute, so fallen
Aspekte auf, die stundenlanges Nachdenken hervorrufen könnten:
Franziskus wuchs in "betuchten" Verhältnissen auf, wie hinlänglich
bekannt ist, und führte ein Leben in Saus und Braus, bis er ein
sogenanntes "Erweckungserlebnis" hatte. Nunmehr folgte er dem Ruf seines
Herzens, das ein Zeichen von Gott bekommen hatte, gab sein bisheriges
Leben auf, indem er sich von seinen irdischen Gütern trennte und widmete
sich zunächst einem Eremitendasein. Franziskus hatte also gewusst, was
es heißt, ein sorgloses, harmloses Leben zu führen, das keinerlei
Probleme auszulösen schien. Zu seiner Zeit kam der Geldhandel
(das soll die einzige geschichtliche Komponente sein, die an dieser
Stelle eine Rolle spielt, da sie zur Gegenwart einen starken Bezug
aufweist) ins Rollen; und diesem stellte der spätere "Heilige" ein
konträres, die gesamte Schöpfung involvierendes Prinzip entgegen.
Materialismus war damals bei weitem nicht so alles-bestimmend wie
heutzutage. Hätte Franziskus gewusst, dass der Kapitalismus nunmehr eine
Form von "Religion" darstellt, der unzählige Menschen, blind geworden,
folgen; er wäre wohl "aus der Haut gefahren". Denn genau darum war er
bemüht: Aus dieser anerzogenen Haut zu fahren, die als Mittelpunkt des
Kosmos den Menschen auserkoren hat. Der Anthropozentrismus konnte nicht
der Weisheit letzter Schluss sein. Franz wagte es, über seine
Nasenspitze hinauszuschauen und dann jene Dinge zu spüren und zu sehen,
die seinen "Sonnengesang" so einzigartig machen. Er schloss die Tiere,
die Sonne, den Tod, die Sterne, das ganze Universum in seine Lobpreisung
des Herrn ein. Für ihn war es von großer Bedeutung, sämtliche
Schöpfungen Gottes miteinander in Bezug zu setzen und nicht den Menschen
an die Spitze eines Eisberges zu stellen, unter dem die restliche
Schöpfung langsam zu erfrieren droht. Es ist ja in zahlreichen Legenden nachzulesen, wie intensiv er
sich um die Tiere gekümmert hat, und welche Erlebnisse er mit ihnen
hatte.
Ein Leben unabhängig vom Materialismus zu führen bedeutet einen Weg zu gehen, der nur wenig betreten ist. Die Tradition und die Rituale einer Konsumgesellschaft stellen zunehmend eine Art von "Religion" dar, der Tag für Tag das mögliche Potenzial des Lebens geopfert wird. Einkaufen wird zu einem "heiligen Ritual", das durch nichts zu übersteigern ist. Jugendliche begeben sich zu sogenannten "Happenings" und verehren unbewusst die vorgegebenen Strukturen sinnloser "Gemeinsamkeitsrituale".
Franziskus wollte Christus nachfolgen. Es war für ihn wesentlich, dem Ruf Gottes zu folgen und in sich einen Frieden zu erlangen, der die ganze Schöpfung umspannt. Als es mit ihm zu Ende ging, hatte er keine Angst vor dem Tod und begab sich willig in dessen Arme.
Welchem Ruf folgen die meisten Bürger dieser kompromisslosen Konsumgesellschaft?! Es ist der "heilige Ruf" des Geldes, der alles andere niederdrückt. Die wenigen Zeilen des "Sonnengesangs" verdeutlichen gegenwärtig eindrücklich, woran es dem Menschen mangelt und wie es ihm gelingen könnte, jene Einstellung andeutungsweise zu erlangen, nach der Franziskus von Assisi zu leben versuchte. Ist es denn so schwer, die Dinge zu hinterfragen und nicht vom "Ritual des Konsums" und dessen Ausprägung die eigene Seelenlage abhängig zu machen? Geld ist der falsche Hase, dem die meisten Menschen ein Leben lang wie hungrige Hunde nachlaufen, auf dass sie irgendwann einmal gesättigt seien ... (was aber eben nie eintrifft!) Ist dies nicht Wahnsinn, buchstäbliche "Verrücktheit"? Zurück zu finden zu den eigenen Wurzeln und aus der "Kraft der Schöpfung" zu leben, von der wir Menschen ein "universaler" Teil sind, wäre das Gegenteil dieser sinnlosen Hetze.
Franz von Assisi hat mit seinem Leben bewiesen, dass es funktionieren kann.
(Jürgen Heimlich; 10/2002)
Franz von Assisi: "Der Sonnengesang"
O. W. Barth, 2002. 64 Seiten.
ISBN 3-502-61301-X.
ca. EUR 12,-. Buch
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Liens:
www.heiligenlexikon.de/BiographienF/
Franziskus_von_Assisi.htm
(generelle Informationen über Franz von Assisi samt dem
"Sonnengesang")
http://home.t-online.de/home/infag-zentrum/sprititualitaet.htm
(Franziskus und Klara sowie das "Tau", ein wichtiges franziskanisches
Zeichen)
http://www.buechereien-im-vorgebirge.de/assisi/b111.htm
(Pilgerwege Assisi: Basilika San Francesco)