Chor:
Was gibt es? Bringst du Neues von der Bakchenschar?
Bote:
Dahin ist Pentheus, tot Echions edler Sohn!
Chor:
O Fürst, deine Macht, Brausender, gibt sich kund!
Bote:
Was war das? wie? was soll das heißen? willst du gar
Das große Unglück meiner
Herrschaft höhnen, Weib?
Chor:
Ich bin fremd, in fremdem Laut jubl ich: denn
Vor dem Gefängnis bang zittern, es ist vorbei!
Bote:
Und Theben scheint dir männerarm so völlig, daß
Es nicht, dich strafend, seinen König rächen kann?
Chor: Nur Dionys,
nicht Theben, übt
Gewalt über mich!
Bote:
Ich kann dir's nicht verdenken; nur frohlocken ob
Geschehnen Unglücks, Frauen, ist nicht eben hübsch.
Chor:
Wie starb? sag, erzähl mir, und in welcher Art
Der Unrecht verübend unfromme Mann?
Bote:
Wir ließen hier der Theber Heimatwohnungen
Im Rücken, überschritten dann Asopos' Bett
Und traten auf Kithairons schroffes Hügelland,
Pentheus und ich - ich folgt ihm als Begleiter - und
Der Fremdling, unser Führer, hin zur Festesschau.
Und uns empfing nun erstlich dort ein grünes Tal,
Vorsichtig schleichend, mit den Lippen jedes Wort
Nur leise flüsternd, um zu sehen ungesehn.
Es war ein Hohltal schroffumragt, von Quellen feucht,
Von
Fichten dicht beschattet, wo die Bakchenschar
Dort ruhte, und anmutsvolle Arbeit war zur Hand.
Die kleidet' einen leer gewordnen Thyrsosstab
Mit neuer Efeuranken laubigem Ringelkranz,
Und andre sangen, Fohlen gleich vom Wagenjoch
Gelöst und frei, ein bakchisch jubelnd Wechsellied.
Pentheus, der unglückselge, der die Bakchenschar
Nicht übersah, sprach: "Fremdling, hier auf diesem Platz
Erreicht mein Blick der Bakchen Schliche nicht so recht;
Auf einer Anhöh, einem Tannenwipfel würd
Ich frei der Bakchen schändlich Treiben überschaun."
Jetzt aber sah ich eine Wundertat des Manns.
Der Fremde faßt' ein himmelragend Tannenhaupt
Und bog es, bog es nieder auf den dunklen Grund.
Denn wie ein Bogen oder rundgeschweiftes Rad,
Gezeichnet nach dem Zirkel, zieht die Kreisesbahn,
So krümmt' - ein übermenschlich Wunderwerk! - und zog
Den Waldesschößling jener mit der Hand zum Grund,
Setzt' auf die Tannenäste Pentheus, meinen Herrn,
Und ließ den Wipfel wieder steigen grad empor,
Sacht und behutsam, daß er nicht ward fortgeschnellt;
Und schwindelnd ragt' er in die Schwindelhöh hinein
Mit meinem Herrn, der auf der höchsten Spitze saß!
Er sah die Bakchen minder, als ihn diese sahn:
Und kaum erblickt' man droben auf dem hohen Sitz
Den König, als der Fremdling auch verschwunden war,
Und eine Stimme schallte durch die Lüfte her,
Dionysens, wie mir dünket: "Auf, ihr jungen Fraun,
Hier bring ich euch den Frevler, welcher meine Weihn
Und mich verhöhnte! Darum auf und straft ihn
jetzt!"
Und dieses rufend, ließ er plötzlich Feuersglanz
Zum Himmel und zur Erde strahlen wunderbar.
Still war die Luft, im dichten Forste regte sich
Kein Blatt, man hörte keinen Laut von keinem Tier.
Sie, die den Schall nicht deutlich wahrgenommen, stehn,
Gespitzten Ohres lauschend, werfen hin und her
Den Blick, da rief's zum zweitenmal! und deutlich ward
Dionysens Ruf von Kadmens Töchtern jetzt erkannt.
Sie flogen fort in rascher Eile, Tauben gleich,
Spornstreichs mit ausgestrecktem windesschnellem Lauf,
Agaue, seine Mutter, samt dem Schwesternpaar
Und allen Bakchen, über Gießbachhöhlungen
Und Brüche springend, toll beseelt von einem Geist.
Und als sie Pentheus auf der Tanne sitzen sahn,
So warf man erstlich Kiesel in geschwungnem Wurf,
Geklommen rasch auf eine Felsbastei, nach ihm
Hinüber, schleudert' Fichtenäste durch die Luft,
Und andre wirbeln ihre Thyrsosstäbe hin
Nach ihm, dem unglückselgen Ziel, doch frommt' es nicht!
Zu hohen Standpunkt - höhern, als er wünschte -, hat
Der arme Lauscher sonder Hilf und ohne Rat!
Da stemmt man endlich Eichenäste ein und sprengt
Mit eisenloser Hebelkraft die Wurzeln los.
Und als die Arbeit nicht zum Ziele fördern will,
So spricht Agaue: "Kommt und stellt euch ringsherum
Und packt den Baum an, Bakchen, daß das Wild darauf
Uns nicht entrinne,
nicht verrate unsres Gottes
Geheime Reigen." Tausend Hände faßten rasch
Die Tanne,
und aus dem Boden war der Baum gewühlt.
Vom hohen Sitze fliegt er jählings hoch herab
Und stürzt zum Boden unter tausend Ach und Weh,
Pentheus. Er wußte, sein Verderben war ihm nah.
Nun hub den Mord die Mutter erst als Priestrin an,
Losstürzend auf ihn. Von
der Stirne warf er schnell
Die Bind, auf daß die
Arme ihn kennen möchte und nicht
Erwürgen,
flehend rührt' er ihre Wangen an
Und sprach: "Ich bin es, Mutter, bin dein eignes Kind,
Pentheus, der Sohn Echions, den du selbst gebarst!
Erbarm dich, liebe Mutter, und ermorde nicht
Um meiner Missetaten
willen deinen Sohn!"
Ihr stand der Schaum am Munde, und ihr verdrehter Blick
War stier; sie hatte kein Bewußtsein, wie's gebührt,
Besessen vom Verzückungsgott: sie hörte nicht!
Mit ihren Armen packt sie seine linke Hand,
Den Fuß in seine Rippen eingestemmt, und reißt
Die Schulter aus dem Arme, nicht durch Leibeskraft!
Denn ihrem Arm lieh diese
Leichtigkeit der Gott.
Und Ino griff jetzt auf der andern Seite an,
Zerriß sein Fleisch; Autonoë samt der ganzen Schar
Der Bakchen drang ein. Durcheinander tönt das Schrein:
Wehlaut von ihm und Stöhnen, weil er atmete,
Von ihnen Jubel. Eine trug den Arm davon,
Den Fuß die andere samt den Schuhen, bloßgelegt
Vom Riß die Rippen diese. Blutbefleckter Hand
Warf jede Pentheus' Glieder, Bällen gleich, umher.
Gesondert liegt die Leiche,
teils auf starrendem
Gesteine, teils im tiefen dichtverzweigten Holz,
Kein leichtes Finden! Aber sein unselig Haupt
Hat seine Mutter, der es in die Hand geriet,
Auf ihren Stab als eines wilden Löwen
Kopf
Gesteckt und trägt es
durchs Gebirg Kithairon hin.
(aus den "Bakchen" von Euripides; 485-406 v. Chr.)