(...)
Wie wir nun ungefähr zweitausend Schritte vom Ufer durch den Wald fortgegangen waren, wurden wir eine eherne Säule gewahr, auf welcher in halberloschnen und vom Rost ausgefressnen griechischen Buchstaben diese Aufschrift zu lesen war: Bis hieher sind Bacchus und Herkules gekommen. Auch entdeckten wir nicht weit davon zwei Fußstapfen in dem Felsen, wovon mir der eine einen ganzen Morgen Landes groß, der andere aber etwas kleiner zu sein schien. Ich vermutete, daß der kleinere vom Bacchus, und der andere vom Herkules sei. Wir beugten unsre Knie und gingen weiter, waren aber noch nicht lange gegangen, als wir an einen Fluss kamen, der statt Wasser einen Wein führte, den wir an Farbe und Geschmack unserm Chier-Wein sehr ähnlich fanden. Der Fluss war so breit und tief, daß er an manchen Orten sogar schiffbar war. Ein so augenscheinliches Zeichen dass Bacchus einst hier gewesen, diente nicht wenig, unsern Glauben an die vorbesagte Aufschrift zu befestigen. Weil ich aber begierig war zu wissen, wo dieser Fluß entspringe, gingen wir an ihm hinauf, fanden aber keine Quelle, sondern bloß eine Menge großer Weinstöcke, die voller Trauben hiengen, und unten an jedem Stocke rann der Wein in hellen durchsichtigen Tropfen herab, aus deren Zusammenfluß der Strom entstand. Wir sahen auch eine Menge Fische in demselben, deren Fleisch die Farbe und den Geschmack des Weins, worin sie lebten, hatte. Wir fingen einige, und schlangen sie so gierig hinunter, dass wir uns einen derben Rausch daran aßen; auch fand sich, wie wir sie aufschnitten, dass sie voller Hefen waren. Doch kamen wir in der Folge auf den Einfall, diese Weinfische mit Wasserfischen zu vermischen; wodurch sie dann den allzustarken Weingeschmack verloren und ein ganz gutes Gerichte abgaben.

Nachdem wir hierauf den Fluss, an einer Stelle wo er sehr seicht war, durchwatet hatten, stießen wir auf eine wunderbare Art von Reben; von unten auf nämlich war jeder Stock grünes und knotiges Rebholz; von oben hingegen waren es Frauenzimmer, die bis zum Gürtel herab, alles was sich gebührt in der größten Vollkommenheit hatten; ungefähr so, wie man bei uns die Daphne malt, wenn sie in Apollo's Umarmung zum Baume wird. Ihre Finger liefen in Schößlinge aus, die voller Trauben hingen; auch waren ihre Köpfe statt der Haare mit Ranken, Blättern und Trauben bewachsen. Diese Damen kamen auf uns zu, gaben uns freundlich die Hände, und grüßten uns, einige in Lydischer, andere in Indianischer, die meisten aber in Griechischer Sprache; sie küssten uns auch auf den Mund; aber wer geküsst wurde, war auf der Stelle berauscht und taumelte. Nur ihre Früchte zu lesen wollten sie uns nicht gestatten, und schrien vor Schmerz laut auf, wenn wir ihnen etwa eine Traube abbrachen. Einige von ihnen kam sogar die Lust an, sich mit uns zu begatten; aber ein Paar von meinen Gefährten, die ihnen zu Willen waren, mussten ihre Lüsternheit teuer bezahlen. Denn sie konnten sich nicht wieder losmachen, sondern wuchsen dergestalt mit ihnen zusammen, daß sie zu einem einzigen Stocke mit gemeinschaftlichen Wurzeln wurden; ihre Finger verwandelten sich in Rebschoße, voll durch einander geschlungner Ranken, und fingen bereits an Augen zu gewinnen und Früchte zu versprechen. (...)


 

(aus "Die wahre Geschichte" von Lukianos; ca. 120-180 n.Chr.)
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