Franz Kafka: "Gespräch mit einem Betrunkenen"
Als
ich aus dem Haustor mit kleinem Schritte trat, wurde ich von dem Himmel mit Mond
und Sternen und großer Wölbung und von dem Ringplatz mit Rathaus, Mariensäule
und Kirche überfallen.
Ich ging ruhig aus
dem Schatten ins Mondlicht, knöpfte den Überzieher auf und wärmte mich; dann ließ
ich durch Erheben der Hände das Sausen der Nacht schweigen und fing zu überlegen
an:
"Was ist es doch, daß ihr tut, als wenn
ihr wirklich wäret. Wollt ihr mich glauben machen, daß ich unwirklich bin, komisch
auf dem grünen Pflaster stehend? Aber doch ist es schon lange her, daß du wirklich
warst, du Himmel und du Ringplatz bist niemals wirklich gewesen."
"Es
ist ja wahr, noch immer seid ihr mir überlegen, aber doch nur dann, wenn ich euch
in Ruhe lasse. "Gott sei Dank, Mond, du bist nicht mehr Mond, aber vielleicht
ist es nachlässig von mir, daß ich dich Mondbenannten noch immer Mond nenne. Warum
bist du nicht mehr so übermütig, wenn ich dich nenne `Vergessene Papierlampe in
merkwürdiger Farbe´? Und warum ziehst du dich fast zurück, wenn ich dich `Mariensäule´
nenne und ich erkenne deine drohende Haltung nicht mehr Mariensäule, wenn ich
dich nenne `Mond, der gelbes Licht wirft´."
"Es
scheint nun wirklich, daß es euch nicht gut tut, wenn man über euch nachdenkt;
ihr nehmt ab an Mut und Gesundheit." "Gott, wie zuträglich muß es erst sein, wenn
der Nachdenker vom Betrunkenen lernt!" "Warum ist alles still geworden. Ich glaube,
es ist kein Wind mehr. Und die Häuschen, die oft wie auf kleinen Rädern über den
Platz rollen, sind ganz festgestampft - still - still - man sieht gar nicht den
dünnen, schwarzen Strich, der sie sonst vom Boden trennt."
Und
ich setzte mich in Lauf. Ich lief ohne Hindernis dreimal um den großen Platz herum
und da ich keinen Betrunkenen traf, lief ich ohne die Schnelligkeit zu unterbrechen
und ohne Anstrengung zu verspüren gegen die Karlsgasse. Mein Schatten lief oft
kleiner als ich neben mir an der Wand, wie in einem Hohlweg zwischen Mauer und
Straßengrund.
Als ich bei dem Hause der Feuerwehr
vorüberkam, hörte ich vom kleinen Ring her Lärm und als ich dort einbog, sah ich
einen Betrunkenen am Gitterwerk des Brunnens stehen, die Arme waagrecht haltend
und mit den Füßen, die in Holzpantoffeln staken, auf die Erde stampfend. Ich blieb
zuerst stehen, um meine Atmung ruhig werden zu lassen, dann ging ich zu ihm, nahm
meinen Zylinder vom Kopfe und stellte mich vor:
"Guten
Abend, zarter Edelmann, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, aber ich habe noch keinen
Namen. Sie aber kommen sicher mit erstaunlichen, ja mit singbaren Namen aus dieser
großen Stadt Paris. Der ganz unnatürliche Geruch des ausgleitenden Hofes von Frankreich
umgibt Sie."
"Sicher haben Sie mit Ihren
gefärbten Augen jene großen Damen gesehen, die schon auf der hohen und lichten
Terrasse stehen, sich in schmaler Taille ironisch umwendend, während das Ende
ihrer auch auf der Treppe ausgebreiteten bemalten Schleppe noch über dem Sand
des Gartens liegt. - Nicht wahr, auf langen Stangen, überall verteilt, steigen
Diener in grauen frech geschnittenen Fräcken und weißen Hosen, die Beine um die
Stange gelegt, den Oberkörper aber oft nach hinten und zur Seite gebogen, denn
sie müssen an Stricken riesige graue Leinwandtücher von der Erde heben und in
der Höhe spannen, weil die große Dame einen nebligen Morgen wünscht." Da er sich
rülpste, sagte ich fast erschrocken:"Wirklich, ist es wahr, Sie kommen Herr aus
unserem Paris, aus dem stürmischen Paris, ach, aus diesem schwärmerischen Hagelwetter?"
Als er sich wieder rülpste, sagte ich verlegen:"Ich weiß, es wiederfährt mir eine
große Ehre."
Und ich knöpfte mit raschen
Fingern meinen Überzieher zu, dann redete ich inbrünstig und schüchtern:"Ich weiß,
Sie halten mich einer Antwort nicht für würdig, aber ich müßte ein verweintes
Leben führen, wenn ich Sie heute nicht fragte." "Ich bitte Sie, so geschmückter
Herr, ist das wahr, was man mir erzählt hat. Gibt es in
Paris Menschen, die nur aus verzierten Kleidern bestehen und gibt es
dort Häuser, die bloß Portale haben und ist es wahr, daß an Sommertagen der Himmel
über der Stadt fliehend blau ist, nur verschönt durch angepreßte weiße Wölkchen,
die alle die Form von Herzen haben? Und gibt es dort ein Panoptikum mit großem
Zulauf, in dem bloß Bäume stehen mit den Namen der berühmtesten Helden, Verbrecher
und Verliebten auf kleinen angehängten Tafeln." "Und dann noch diese Nachricht!
Diese offenbar lügnerische Nachricht!" "Nicht wahr, diese Straßen von Paris sind
plötzlich verzweigt; sie sind unruhig, nicht wahr? Es ist nicht immer alles in
Ordnung, wie könnte es auch sein! Es geschieht einmal ein Unfall, Leute sammeln
sich, aus den Nebenstraßen kommend mit dem großstädtischen Schritt, der das Pflaster
nur wenig berührt; alle sind zwar in Neugierde, aber auch in Furcht vor Enttäuschung;
sie atmen schnell und strecken ihre kleinen Köpfe vor. Wenn sie aber einander
berühren, so verbeugen sie sich tief und bitten um Verzeihung:`Es tut mir sehr
leid, - es geschah ohne Absicht - das Gedränge ist groß, verzeihen Sie, ich bitte
- es war sehr ungeschickt von mir - ich gebe das zu. Mein Name ist - mein Name
ist Jerome Faroche, Gewürzkrämer bin ich in der rue du Cabotin - gestatten Sie,
daß ich Sie für morgen zum Mittagessen einlade - auch meine Frau würde so große
Freude haben.´ So reden sie, während doch die Gasse betäubt ist und der Rauch
der Schornsteine zwischen die Häuser fällt. So ist es doch. Und wäre es möglich,
daß da einmal auf einem belebten Boulevard eines vornehmen Viertels zwei Wagen
halten. Diener öffnen ernst die Türen. Acht edle sibirische Wolfshunde tänzeln
hinunter und jagen bellend über die Fahrbahn in Sprüngen. Und da sagt man, daß
es verkleidete junge Pariser Stutzer sind."
Er hatte die Augen fast geschlossen. Als ich schwieg, steckte er beide Hände in
den Mund und riß am Unterkiefer. Sein Kleid war ganz beschmutzt. Man hatte ihn
vielleicht aus einer Weinstube hinausgeworfen und er war darüber noch nicht im
Klaren. Es war vielleicht diese kleine, ganz ruhige Pause zwischen Tag und Nacht,
wo uns der Kopf, ohne daß wir es merken, still steht, da wir es nicht betrachten
und dann verschwindet. Während wir mit gebogenem Leib allein bleiben, uns dann
umschauen, aber nichts mehr sehen, auch keinen Widerstand der Luft mehr fühlen,
aber innerlich uns an der Erinnerung halten, daß in gewissem Abstand von uns Häuser
stehen mit Dächern und glücklicherweise eckigen Schornsteinen, durch die das Dunkel
in die Häuser fließt, durch die Dachkammern in die verschiedenartigen Zimmer.
Und es ist ein Glück, daß morgen ein Tag sein wird, an dem, so unglaublich es
ist, man alles wird sehen können.
Da riß
der Betrunkene
seine Augenbrauen hoch, sodaß zwischen ihnen und den Augen ein Glanz entstand
und er klärte in Absätzen:"Das ist so nämlich - ich bin nämlich schläfrig, daher
werde ich schlafen gehen. - Ich habe nämlich einen Schwager am Wenzelsplatz -
dorthin geh ich, denn dort wohne ich, denn dort habe ich mein Bett. Ich geh jetzt.
- Ich weiß nämlich nur nicht, wie er heißt und wo er wohnt - mir scheint, das
habe ich vergessen - aber das macht nichts, denn ich weiß ja nicht einmal, ob
ich überhaupt einen Schwager habe. - Jetzt gehe ich nämlich. - Glauben Sie, daß
ich ihn finden werde?" Darauf sagte ich ohne Bedenken:"Das ist sicher. Aber Sie
kommen aus der Fremde und Ihre Dienerschaft ist zufällig nicht bei Ihnen. Gestatten
Sie, daß ich Sie führe." Er antwortete nicht. Da reichte ich ihm meinen Arm, damit
er sich einhänge.