(...)
»Seine
Kugel
verfehlt niemals ihr Ziel, und in
seiner Hand wohnt so viel Kraft, daß er jeden Feind mit einem
einzigen Hiebe seiner Faust zu Boden schmettert. Darum haben ihm die
weißen Männer des Westens den Namen Old Shatterhand
gegeben.«
So, da war ich ja ganz ohne meine Einwilligung mit einem Kriegsnamen
ausgerüstet worden, den ich seit jener Zeit da drüben
stets getragen habe. Das ist so Sitte im Westen. Oft kennen die besten
Freunde gegenseitig ihre wirklichen Namen nicht.
Der Fuchs reichte mir die Hand und sagte in freundlichem Tone:
»Wenn Old Shatterhand es erlaubt, werden wir seine Freunde
und Brüder sein. Wir lieben solche Männer, welche
ihre Feinde mit einem Schlage niederschmettern. Darum wirst du
hochwillkommen sein in unsern Zelten.«
Das hieß mit andern Worten: Wir brauchen Spitzbuben von einer
solchen Körperkraft, wie du sie besitzest; darum komm zu uns.
Wenn du mit uns und für uns mausest, stiehlst und raubst,
sollst du es leidlich gut bei uns haben. Trotzdem antwortete ich so
ziemlich mit jener Würde, welche ich mir später ganz
zu eigen gemacht habe:
»Ich liebe die roten Männer, denn sie sind die
Söhne des großen Geistes, dessen Kinder auch die
Bleichgesichter sind. Wir sind Brüder und wollen uns beistehen
gegen alle Feinde, welche uns und euch nicht achten!«
Ein wohlgefälliges Schmunzeln ging über sein mit Fett
und Farbe beschmiertes Gesicht, als er mir hierauf versicherte:
»Old Shatterhand hat wohl gesprochen. Wir wollen die Pfeife
des Friedens mit ihm rauchen.«
Hierauf setzten sie sich mit uns an das Wasser. Er zog eine Pfeife
hervor, deren lieblich-niederträchtige Penetranz meine Nase
schon von weitem empörte, und stopfte sie mit einer
Mischung, welche aus zerstoßenen roten
Rüben, Hanfblättern, geschnittenen Eicheln und
Sauerampfer zu bestehen schien, versetzte sie in Brand, stand auf, tat
einen Zug, blies den Rauch gen Himmel und gegen die Erde und sagte:
»Da oben wohnt der gute Geist, und hier auf der Erde wachsen
die Pflanzen und die Tiere, welche er für die Krieger der
Kiowas bestimmt hat.«
Hierauf tat er vier weitere Züge und fuhr fort, nachdem er den
Rauch nach Norden, Süden, Osten und Westen geblasen hatte:
»Nach diesen Gegenden hin wohnen die roten und
weißen Männer, welche diese Tiere und Pflanzen
unrechtmäßiger Weise für sich behalten. Wir
werden sie aber aufsuchen und uns nehmen, was uns gehört. Ich
habe gesprochen. Howgh!«
Welch eine Rede! So ganz anders als diejenigen, welche ich bisher
gelesen hatte oder später so oft gehört habe. Dieser
Kiowa sagte ja hier mit offenen Worten, daß er die
sämtlichen Erzeugnisse des Tier- und Pflanzenreiches als
Eigentum seines Stammes ansehe und darum den Raub nicht nur
für sein Recht halte, sondern sogar als seine Pflicht
betrachte! Und ich sollte dieser Leute Freund nun sein! Aber wer unter
die Musikanten gerät, muß mitblasen.
Der Fuchs reichte Sam die unfriedliche Friedenspfeife hin. Der Mann tat
wacker seine sechs Züge und sagte:
»Der große Geist achtet nicht auf die verschiedene
Haut der Menschen, denn die können sich mit Farbe beschmieren,
um ihn zu täuschen, sondern er sieht das Herz an. Die Herzen
der Krieger vom berühmten Stamme der Kiowas sind tapfer,
unerschrocken und treu. Das meinige hängt an ihnen wie mein
Maultier an dem Baume, an welchen ich es gebunden habe. So wird es
hängen bleiben allezeit, wenn ich mich nicht irre. Ich habe
gesprochen. Howgh!«
Das war nun freilich Sam Hawkens, der listig lustige kleine Mann, der
jedem Dinge und jedem Verhältnisse eine erträgliche
Seite abzugewinnen verstand. Seine Rede wurde mit einem allgemeinen,
wiederholten »Uff, uff, uff!« belohnt. Leider
beging er die Freveltat, nun mir das tönerne Stinktier in die
Hand zu schieben. Ich war gezwungen, in den sauern Apfel zu
beißen, und nahm mir vor, meine edle Würde zu
bewahren und die Züge meines männlich ernsten
Gesichtes zu beherrschen. Ich rauche sehr gern, und mir ist nie im
Leben eine Zigarre zu stark gewesen. Ich habe sogar den famosen
"Dreimännertabak" geraucht, welcher diesen Namen seinem
fürchterlichen Geschmacke verdankt; wer ihn raucht,
muß, wenn er nicht umfallen will, von drei Männern
festgehalten werden. Ich konnte also erwarten, daß mich auch
diese indianische Friedensröhre nicht über den Haufen
werfen werde. Ich erhob mich also, machte mit der linken Hand eine zur
Andacht auffordernde Bewegung und tat den ersten Zug. Ja, es stimmte,
die vorhin angegebenen Ingredienzien, nämlich Rüben,
Hanf,
Eicheln und Sauerampfer, waren alle in dem Pfeifenkopfe anwesend;
aber einen fünften Hauptstoff hatte ich nicht genannt; jetzt
roch und schmeckte ich, daß auch ein Stückchen
Filzschuh dabei sein müsse. Ich blies den Rauch auch gegen den
Himmel und gegen die Erde und sagte dann:
»Vom Himmel kommt der Sonnenstrahl und der Regen; von ihm
kommt jede gute Gabe und aller Segen. Die Erde empfängt die
Wärme und Nässe und spendet dafür den
Büffel und den Mustang, den Bären
und den Hirsch, den
Kürbis,
den Mais und vor allem die edle Pflanze, aus welcher
die klugen roten Männer den Kinnikinnik bereiten, welcher aus
der Friedenspfeife den Duft der Liebe und Verbrüderung
spendet.«
Ich hatte nämlich gelesen, daß die Indianer ihren
Mischtabak Kinnikinnik nennen, und brachte diese Kenntnis heut
schleunigst am richtigen Platz an. Nun sog ich mir den Mund zum
zweitenmal voll von Rauch und blies denselben gegen die vier
Himmelsgegenden. Der Geruch war noch voller und komplizierter als
vorhin; ich glaubte ganz bestimmt, daß noch zwei weitere
Bestandteile anzuführen seien, nämlich Kolophonium
und abgeschnittene Fingernägel. Nach dieser trefflichen
Entdeckung fuhr ich fort:
»Im Westen ragt das Felsengebirge empor, und im Osten dehnen
sich die Ebenen; im Norden leuchten die Seen, und im Süden
wallt das große Wasser des Meeres. Wäre alles Land
mein, was zwischen diesen vier Grenzen liegt, ich würde es den
Kriegern der Kiowas schenken, denn sie sind meine Brüder.
Mögen sie in diesem Jahre zehnmal so viel Büffel und
fünfzigmal so viel Grizzlybären jagen, als sie
Köpfe zählen. Die Körner ihres Maises
mögen wie Kürbisse sein und ihre Kürbisse so
groß, daß man aus der Schale eines einzigen zwanzig
Kanoes schneiden kann. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Mir verursachte es keine unbezahlbaren Ausgaben, ihnen diese
Herrlichkeiten zu wünschen, sie aber freuten sich
darüber, als ob sie sie wirklich bekommen hätten.
Meine Rede war die geistreichste, die ich in meinem Leben gehalten
habe, und so wurde sie denn auch mit einem Jubel aufgenommen, welcher
in anbetracht der von den Indianern stets bewahrten kalten Ruhe
gewiß beispiellos war. So viel hatte ihnen noch kein Mensch,
am allerwenigsten ein Weißer, gewünscht und gar
schenken wollen; darum wollten die immer wiederkehrenden, anerkennenden
»Uff, uff!« gar kein Ende nehmen. Der Fuchs
drückte mir wiederholt die Hand, versicherte mich seiner
Freundschaft für alle Zeiten und riß bei seinen
Howgh, Howgh den Mund so weit auf, daß es mir
glückte, die Friedens- und Ingredienzienpfeife loszuwerden,
indem ich sie ihm zwischen die langen, gelben Zähne
schob. Er
schwieg sofort, um den Inhalt in denkbarer Sammlung weiter zu
genießen.
Das war meine erste "heilige Handlung" bei den Indianern, denn das
Rauchen der Friedenspfeife wird bei ihnen in Wirklichkeit als eine
Feierlichkeit betrachtet, welche sehr ernste Gründe und ebenso
ernste Folgen hat. Wie oft habe ich später das Kalumet rauchen
müssen und bin mir dabei des Ernstes, der Würde der
Handlung voll bewußt gewesen. Hier und heut aber hatte sie
mich gleich von vornherein angewidert und dann war mir bei Sams Herzen,
das "wie ein Maultier am Baume hing", die Prozedur gar drollig
erschienen. Meine Hand stank nach der Pfeife, und meine ganze Seele
jubelte im Stillen darüber, daß sie nun im Munde des
Häuptlings und nicht in dem meinigen steckte. Ich zog, um
selbst die Erinnerung an den Geschmack der Pfeife zu vernichten, eine
Zigarre aus der Tasche und brannte sie an. Welch begierige Augen
richteten da die Roten auf mich! Der Fuchs öffnete den Mund,
daß ihm die Pfeife herausfiel; als geschulter Krieger hatte
er die Geistesgegenwart, sie aufzufangen und wieder zwischen die Lippen
zu stecken, aber es war ihm anzusehen, daß ihm in
diesem Augenblicke eine einzige Zigarre lieber war als tausend
Friedens- und Kinnikinnikpfeifen.
Da wir mit Santa Fé in Verbindung standen, von woher wir per
Ochsenwagen unsere Bedürfnisse bekamen, war es mir nicht
schwer gewesen, mich mit Zigarren zu versorgen. Sie waren ziemlich
billig, und ich zog diesen Genuß vor, während die
Andern sich mit Brandy betranken. Ich hatte heute früh welche
mitgenommen und mich, weil wir womöglich auch erst morgen
zurückkehren konnten, gleich für zwei Tage versehen;
also konnte ich den sichtlich ungeheuren Appetit der Roten stillen; ich
reichte jedem von ihnen eine Zigarre hin. Der Fuchs legte die Pfeife
sofort weg und brannte die seinige an; seine Leute verfuhren aber
anders; sie steckten die Zigarre nicht bloß mit der Spitze in
den Mund, sondern sie schoben sie ganz hinein, um sie zu kauen. Der
Geschmack der Menschenkinder ist verschieden. Ein altes Wort sagt, der
Eine habe ihn vorn, der Andere hinten; jetzt sah ich, daß
dieses Wort wirklich wahr ist, denn die Kiowas hatten ihn hinten. Ich
schwur im Stillen, ihnen nie wieder etwas zu schenken, was zum Rauchen
aber nicht zum Essen da ist. (...)
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