Der Wein

Ein Faß aus der Musen Keller
Zu kaufen, reicht hin nicht mein Heller,
Doch will ich euch, Zecher, bescheren
Von einer Traube die Beeren.

1.

Die Erde gibt den Saft,
Die Lüfte geben Kraft,
Die Sonne gibt den Geist:
Gar schön der Wein beweist,
Was er empfing für Leben,
Weil er´s kann wiedergeben.

2.

Wer trinken will den Wein,
Der sitze nicht allein,
Der Wein hat keine Kräfte
Bei einsamem Geschäfte.

Der Teich, das Meer sich freut
Ob seiner Einsamkeit:
Nicht lernte diese Tugend
Der Wein in seiner Jugend.

Es ragen im Verband
Die Berge in das Land
Und drauf die grünen Reben
Führ´n ein gesellig Leben.

Und an der Rebe hängt
Dicht Traub´ an Traub´ gedrängt,
Und jede Traub´ im Kleinen
Ein Völkchen will erscheinen.

So, was den Wein erschafft,
Lebt schon in Brüderschaft;
Ihn endlich zu gebären,
Vereint die Säfte gähren.

Das ist dem Wein geblieben,
Die Nachbarschaft zu lieben,
Drum, stellt ihr ihn allein,
Macht´s euch und ihm nur Pein.

Viel Fässer in den Kellern,
Viel Gläser vor den Tellern,
Viel Herzen rings im Bund,
Das macht den Wein gesund.

3.

Es stritten zwei mächtige Geister,
Wer in dem Schaffen sei Meister;
Der eine schuf Meere,
Der andre am Weinstock die Beere.

Der schuf im Meere die Fische,
Darunter auch Austern, ganz frische;
Doch der aus dem Wein die Gedanken,
Darunter die lustigen, blanken.

Wer hat den Streit nun gewonnen?
Der Schöpfer der Bronnen? Der Tonnen?
Sie konnten den Streit nicht entscheiden,
Da reichten die Hand sich die beiden.

Drum, wo´s nun gibt Austern, Sardellen,
Sollt stets auch den Wein ihr bestellen,
Zu feiern den ewigen Frieden
Der schaffenden Geister hinieden.

4.

Was macht wohl Schwache siegen?
Des Weines Zaubersaft.
Was Starke unterliegen?
Des Weines stärkre Kraft.

Was kann den Schmerz versöhnen?
Des Weines Lieblichkeit.
Was eure Freude krönen?
Das Weins Vergnüglichkeit.

Welch Band, als das der edlen Reben,
Läßt den entfernten Freund,
Läßt Tote so mit leben,
Wie´s Lebende vereint?

Bald mag der Wein euch bringen
Den Schlaf als seine Fracht,
Bald mit dem Schlafe ringen
Und siegen in der Schlacht.

Zum Tor macht er den Weisen,
Dem Tor er Weisheit schafft,
So weiß er alle Weisen,
So übt er jede Kraft.

5.

Die Eiche stand voll Stolze,
Ob ihrem festen Holze,
Umschlungen vom Gewebe
Der blätterreichen Rebe.

Und wiegend ihre Krone
Zur Reb´ sprach sie zum Hohne:
Willst armes, schwaches Wesen
Du Eicheln bei mir lesen?

Die Rebe hört´s voll Demut
Und sprach zu sich voll Wehmut:
Ich hab´ doch edle Säfte,
Was fehlen mir die Kräfte?

Nach oben treibt lebendig
Die Sehnsucht mich inwendig,
Warum, empor zu dringen,
Muß andres ich umschlingen? -

Der Becher stand voll Stolze,
Auf festem Eichenholze,
Gefüllt mit Saft der Traube,
Umkränzt vom Eichenlaube.

Es naht ein edler Zecher,
Setzt an den vollen Becher;
Da mocht´ der Geist der Reben
Frei auf zum Geiste schweben.

6.

Die Häuser, worin die Geister weilen,
Haben nicht Backsteine, noch Säulen,
Sie sind nicht gezimmert mit Mühe und Not,
Was nützt den Geistern ein Haus, das tot?

Der eine schaut trüb´ wohl vom Monde herunter,
Andre unten tanzen ganz munter;
dort einer auf einem grünen Blatt
Sich in einem Tautröpflein bad´t.

Der eine liebt einsame Bergesspitzen,
Andre gern traulich zusammensitzen,
Und was das Auge kaum erkannt,
Ist manchmal ein ganzes Geisterland.

Doch haben sie vor allen liebgewonnen
Die Plätze an den kühlen Bronnen,
Und wo eine Linde Schatten gibt,
In solche sind sie gar verliebt.

Auch manche, die sich lieber wärmen,
Am Tage in der Sonne schwärmen,
Oder sitzen in ihrem Blumenhaus
Und gucken den ganzen Sommer hinaus.

Will´s ihnen wo nicht mehr gefallen,
Fort ziehn sie ohne Pack und Ballen,
Und legen in einem Augenblick
Wohl tausend Meilen gleich zurück.

Wollt ihr aber etwa erkunden,
Wo ich die meisten beisammen gefunden,
Das ist in der Beere des Weins,
Von allen Dingen hat so viel keins.

Da haben sie den Strahl der Sonnen,
Im Taue auch den kühlen Bronnen,
Dazu den Schatten gibt das Blatt,
Da werden sie von Luft recht satt.

Sie drängen sich so in der Beeren Zellen
Zusammen, daß die davon wachsen und schwellen;
´s sind Geister von mancherlei Art;
Auch manches, was schlecht sich zusammenpaart.

Zuletzt kann die Beere sie nicht mehr fassen,
Auch kommt der Herbst, und da verlassen
Die Geister sie alle auf einmal
Und versammeln sich in einem Saal.

Der will den Menschen, den gemeinen,
Nur eine schlechte Tonne scheinen;
Und ihr hört doch, wie´s drin gärt und zischt:
Das sind die Geister, die machen den Gischt,

Indem sie sich drinnen beraten und lärmen,
Wohin sie fürder wollen schwärmen.
Zuletzt da teilt sich der ganze Verein
Und die Menschen sagen: gezapft wird der Wein.

Es bleiben aber immer noch in jeder Flasche
Mehr zusammen, als Geld in der Tasche,
Und manchmal fahren sie gar mit Gebraus,
Sind´s nur die rechten, oben hinaus.

Doch andre bleiben still bei einander,
Und leben sich immer mehr ein selbander,
Ihr glaubt nicht, was in einer Flasche voll alten Saft
Lebt für eine herrliche Geister-Gemeinschaft;

Und was die weiß für schöne Geschichten,
Und wie sie zusammen schwatzen und dichten. -
Ihr fragt mich, woher ich das alles erfuhr;
Ei nun, von den Geistern selber nur.

Denn als ich aus der Flasche tät trinken,
Da wollt´ es mich sogleich bedünken,
Das Alles geschehe in meinem eignen Kopf,
Der sonst doch nur ist ein leerer Topf.

Und damit ihr es selber mögt erproben,
Hab' ich diese Flasche für euch aufgehoben;
Nun macht recht leicht erst Kopf und Sinn,
Das für die Geister auch Platz wird drin.

7.

Zu Kopf bloß steigt der Wein,
Doch keiner steigt ins Bein,
Drum laufen die Gedanken,
Die Füße aber wanken.

8.

Was wir bei dir essen,
Ist andern Tags vergessen;
Gut deiner zu gedenken,
Mußt uns mit Gutem tränken.

9.

Die Lieb´ ist jung, der Wein ist alt,
So passen sie trefflich zusammen,
Ist Schmerz zu heiß, ist Lust zu kalt,
So löscht oder schürt er die Flammen;
Drum, gebt ihr gleich der Jungend den Preis,
So ehrt mir doch auch den verständigen Greis.

10.

Zag´ nicht, o holde Kleine,
Zag´ nicht vor diesem Weine,
Nur uns zu Kopf er steigt.
Nicht deinen wird er schmerzen,
Euch steigt er zu dem Herzen,
Macht Lieb' und Lachen leicht.

11.

Die Liebe saß im Herzen
Und jammerte voll Schmerzen;
Da lief vorbei der Wein,
Der hörte ihre Pein.

Und wie er war im Magen,
Da hub er an zu fragen,
Weshalb sie Klage führt?
Die Liebe sprach: mich friert;

Verloschen meine Sonnen,
Die Bronnen meiner Wonnen!
Der Wein sprach: habe Mut!
Ich mach' es wieder gut.

Ins Blut ist er gelaufen,
Mit Feuer es zu taufen,
Und wie von tausend Kerzen
Wird´s warm und hell im Herzen.

12.

Nicht seid, nein trinkt euch Zöpfe,
Woll´n selber Traube sein,
Die Beeren unsre Köpfe,
Nichts drin, als lautrer Wein;
Die Stühle unsre Stiele,
So fest sitzen wir drauf,
Und fall´n wir ab vom Ziele,
Liest man uns doch wohl auf.

13.

Bei Tische saß ich gestern,
Da waren auch zwei Schwestern,
Die eine, die war blaß,
Die andre rot wie Rosen,
Mit welcher sollt´ ich kosen?
Gefiel´n mir beide baß.

Die eine schien voll Feinheit,
Voll Klarheit und voll Reinheit,
Drob mancher um sie warb;
Die andre hatt´ viel Freier
Ob ihrem Geist und Feuer
Und ihrer schönen Farb´.

Doch wen sie hat entzücket,
O weh, dem war verrücket
Gar bald der arme Kopf;
Die andre schien wohl milde,
Führt´ auch nichts Gut´s im Schilde,
Erfuhr es bald, ich Tropf.

Ich dacht´ in meinem Herzen:
Mit beiden wechselnd scherzen
Bringt wohl zumeist Gewinn;
Wandt´ bald mich zu der blassen,
Bald wieder sie zu lassen,
Liebäugelt´ her und hin.

Das hat sie wohl verdrossen,
Daß ich nicht angeschlossen
Mich einer ganz und gar.
Wie ich mit der mich neckte,
Die andre heimlich steckte
Ein Zöpflein mir ans Haar.

Doch wie ich wieder drehe
Zur andern mich, o wehe,
Das Zöpflein fiel vom Kopf,
Und jene nun voll Tücke
Steckt an mir lang und dicke
Statt seiner einen Zopf.

Hätt´s dennoch nicht gespüret,
Wie´s Schwesternpaar gezieret
So schön mich gestern hat,
Spräch´ nicht vom langen Zopfe,
Den ich trug an dem Kopfe,
Nun heut die ganze Stadt.

14.

Die schwarzgeflügelten Sorgen
Von gestern, heute und morgen,
Die nisteten sich ins Haus;
Auf meinem Scheitel sie hupften,
und neckten und zwickten mich, zupften
Fast alle Haare mir aus.

Nicht wußt' ich mehr, was mich rette,
Sie fielen mich an im Bette,
Sie huckten mir auf bei Tag',
Sie gruben sich in die Stirne,
Sie krochen mir ins Gehirne,
Mehr als ägyptische Plag´.

Da sucht' ich in alten Schriften,
Womit man könne vergiften
Das Ungeziefer zumal,
Und fand mit deutlichen Zeichen,
Kein Mittel sei zu vergleichen
Dem Wein im goldnen Pokal.

Und seit sie den Wein gerochen,
So sind sie zu Kreuze gekrochen,
Die Flügel, die schrumpften ein;
Nur darf ich nicht säumen, nicht feiern,
Muß immer den Giftschrank erneuern,
Sonst kehret die alte Pein.

(Gustav Theodor Fechner; 19.4.1801 - 18.11.1887)