Georg Trakl:
"Aus
goldenem Kelch"
Barrabas
Eine Phantasie
(....)
Es geschah aber zur selbigen Stunde, da sie des Menschen Sohn
hinausführten gen Golgatha, das da ist die Stätte, wo sie Räuber
und Mörder hinrichten.
Es geschah zur selbigen hohen und glühenden
Stunde, da er sein Werk vollendete.
Es geschah, daß zur selbigen Stunde eine große
Menge Volks lärmend Jerusalems Straßen durchzog - und inmitten des
Volkes schritt Barrabas, der Mörder, und trug sein Haupt trotzig hoch.
Und um ihn waren aufgeputzte Dirnen mit
rotgemalten Lippen und geschminkten Gesichtern und haschten nach ihm.
Und um ihn waren Männer, deren Augen trunken blickten von Wein und Lastern. In aller Reden aber
lauerte die Sünde ihres Fleisches, und die Unzucht ihrer Geberden war
der Ausdruck ihrer Gedanken.
Viele, die dem trunkenen Zuge begegneten,
schlossen sich ihm an und riefen: "Es lebe Barrabas!" Und alle
schrieen: "Barrabas lebe!" Jemand hatte auch "Hosiannah!" gerufen. Den
aber schlugen sie - denn erst vor wenigen Tagen hatten sie Einem
"Hosiannah!" zugerufen, der da in die Stadt gezogen kam als ein König,
und hatten frische Palmenzweige auf seinen Wegen gestreut. Heute aber
streuten sie rote Rosen und jauchzten: "Barrabas!"
Und da sie an einem Palaste vorbeikamen,
hörten sie drinnen Saitenspiel und Gelächter und den Lärm eines großen
Gelages. Und aus dem Haus trat ein junger Mensch in reichem
Festgewand. Und sein Haar glänzte von wohlriechenden Ölen und sein Körper
duftete von den kostbarsten Essenzen Arabiens. Sein Auge leuchtete von
den Freuden des Gelages und das Lächeln seines Mundes war geil von den
Küssen seiner Geliebten.
Als der Jüngling Barrabam erkannte, trat er
vor und sprach also:
"Tritt ein in mein Haus, o Barrabas, und auf
meinen weichsten Kissen sollst du ruhen; tritt ein, o Barrabas, und
meine Dienerinnen sollen deinen Leib mit den kostbarsten Narden
salben. Dir zu Füßen soll ein Mädchen auf der Laute seine süßesten
Weisen spielen und aus meinem kostbarsten Becher will ich dir meinen
glühendsten Wein darreichen. Und in den Wein will ich die herrlichste
meiner Perlen werfen. O Barrabas, sei mein Gast für heute - und meinem
Gast gehört für diesen Tag meine Geliebte, die schöner ist als die
Morgenröte im Frühling. Tritt ein, Barrabas, und kränze dein Haupt mit
Rosen, freu´ dich dieses Tages, da jener stirbt, dem sie Dornen aufs
Haupt gesetzt."
Und da der Jüngling so gesprochen, jauchzte
ihm das Volk zu und Barrabas stieg die Marmorstufen empor, gleich
einem Sieger. Und der Jüngling nahm die Rosen, die sein Haupt
bekränzten, und legte sie um die Schläfen des Mörders Barrabas.
Dann trat er mit ihm in das Haus, derweil das
Volk auf den Straßen jauchzte.
Auf weichen Kissen ruhte Barrabas; Dienerinnen
salbten seinen Leib mit den köstlichsten Narden und zu seinen Füßen
tönte das liebliche Saitenspiel eines Mädchens und auf seinem Schoß
saß des Jünglings Geliebte, die schöner war denn die Morgenröte im
Frühling. Und Lachen tönte - und an unerhörten Freuden berauschten
sich die Gäste, die sie alle waren des Einzigen Feinde und Verächter -
Pharisäer und Knechte der Priester.
Zu Einer Stunde gebot der Jüngling Schweigen,
und aller Lärm verstummte.
Da nun füllte der Jüngling seinen goldenen
Becher mit dem köstlichsten Wein, und in dem Gefäß ward der Wein wie
glühendes Blut. Eine Perle warf er hinein und reichte den Becher
Barrabas dar. Der Jüngling aber griff nach einem Becher von Kristall
und trank Barrabas zu:
"Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!"
Und alle im Saale jauchzten:
"Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!"
Und das Volk in den Straßen schrie:
"Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!"
Plötzlich aber erlosch die Sonne, die Erde
erbebte in ihren Grundfesten und ein ungeheures Grauen ging durch die
Welt. Und die Kreatur erzitterte.
Zur selbigen Stunde ward das Werk der Erlösung
vollbracht!