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Alles ließ sich auch alsbald aufs Beste an. Schon im November des Jahres 1558 hatte mir der getreue Dudley, nunmehr Earl of Leicester, den Auftrag meiner jungen Königin überbracht, ihr das Horoskop auf den Tag ihrer Krönung in Westminster zu stellen. Mit Recht nahm ich das für einen freundlichen Gruß und Wink und begab mich mit Feuereifer an das Geschäft, das Zeugnis der Sterne und des himmlischen Schicksals selbst aufzurufen für den Emporstieg ihres Ruhmes und meiner durch Weissagung geweihten und unserer gemeinsamen königlichen Bestimmung.
Dies Horoskop, dessen wunderbare Constellationen in der Tat die Zeit einer unvergleichlichen Blüte und Ernte für England und Elizabeths Regierung voraus verkündete, trug mir, neben einem namhaften Geldgeschenk, die wärmsten Lobsprüche und die Andeutung eines mehr als königlichen Dankes der Herrscherin ein. Das Geld legte ich unwillig beiseite, aber die mannigfachen geheimnisvollen Versprechungen ihrer Gunst, die sie mir immer wieder durch Leicester zukommen ließ, befestigten meine Zuversicht aufs beste und ließen mich die baldige Erfüllung aller meiner Träume erhoffen.
Aber - nichts erfüllte sich!
Königin Elizabeth begann mit mir zu spielen, und bis heute noch hat es sein eindeutiges Ende nicht gefunden. Wieviel mich das an Kraft, an Ruhe der Seele, an Vertrauen auf Gott und die ewigen Mächte gekostet hat, an Spannkraft des Willens und meiner ganzen niedern und höhern Natur, davon kann nie und nimmer eine Niederschrift Rechnung ablegen. Kräfte, neu eine Welt aufzubauen und zu zerstören, wurden vertan.
Zu vörderst schien es, als habe der Schmeicheltitel der "
jungfräulichen" Königin, der alsbald von allen Seiten zugleich das Ohr Elizabeths umkosete und bald zu nichts weniger, als zu einem Modetitel der Majestät selbst erhoben wurde, sie dermaßen erfreut, daß ihr der bloße Name den Kopf verdrehte und sie beschloß, sich dieser Ehrenbezeichnung gemäß zu verhalten. Ihr unbändiger Sinn und natürlicher Freiheitsstolz kamen dem verhängnisvoll entgegen. Von der anderen Seite her widersprach jedoch durchaus die starke, natürliche Anlage ihres Fleisches, das schon früh danach schrie, das Geschlecht zu befriedigen - wenn auch oftmals auf die seltsamste und verkehrteste Weise.
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(aus "Der Engel vom westlichen Fenster" von Gustav Meyrink)