MATROSEN, HIER,
AM UFER
MÜSSEN WIR DÖRFER FINDEN!
Die
Lyrik der Kärntner
Slowenen im zwanzigsten Jahrhundert
(von Janko Ferk)
Vor
ungefähr zwanzig Jahren habe ich mit dem
slowenischen Schriftsteller Pavle Zidar zum ersten Mal über
die Kärntner
Literatur gesprochen, über die Lyrik und Prosa. Zidar
konstatierte damals, dass
es Gemeinde- oder Regionalliteraturen nicht gebe, sondern nur eine
slowenische.
Diesem Gedanken habe ich selber auch heute nichts
hinzuzufügen. Die Kärntner
slowenische Literatur entsteht in Kärnten und ist ein
wesentlicher Teil der
gesamtslowenischen. Die Frage ähnelt jener über die
österreichische und
bundesdeutsche Literatur; beide werden in ein und derselben Sprache
geschrieben, sie entstehen jedoch in zwei Staaten.
Betonen möchte ich, dass die Kärntner slowenische
ohne den Kontext der
gesamtslowenischen Literatur nicht existiert. Diesem Gedanken ist in
seiner
Rezeption schon vor ungefähr dreißig Jahren der
Laibacher Ordinarius Matjaž
Kmecl gefolgt, der nie nachsichtig war. Auf Kosten der
Minderheitenposition hat
er niemandem Rabatt gewährt.
Bevor ich mich unmittelbar mit meinem Thema, der Kärntner
slowenischen Lyrik im
zwanzigsten Jahrhundert, beschäftige, werde ich sehr reduziert
und kurz den
gesamtslowenischen Literaturhintergrund dieser Zeit aufzeigen, weil er
zweifellos Einfluss auf die Kärntner slowenischen
Schriftsteller hatte.
Die erste Bruchlinie in der Geschichte dieses Jahrhunderts war auch
für die
Literatur das Jahr 1918, das Ende des Ersten Weltkriegs. Dieser
Zeitraum reicht
bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs und sprechen wir über
die Literatur
zwischen den Kriegen.
Die slowenische Literatur entwickelte sich zwischen den Kriegen auf
den
Traditionen der Moderne und unter dem Einfluss relevanter
Strömungen in den
europäischen Literaturen. Die stärkste literarische
Strömung nach dem Jahr 1920
war der Expressionismus, der sich in Slowenien und Europa gleichzeitig
durchsetzte.
Die wichtigsten slowenischen Lyriker, die die Moderne fortgesetzt
haben, waren
Igo Gruden und Alojz Gradnik. Besonders hinweisen möchte ich
auf Edvard Kocbek,
einen Vertreter des religiösen Expressionismus. Die
exemplarische Gestalt des
ersten Jahrzehnts ist jedoch der Karster Lyriker Srečko Kosovel.
Während des Zweiten Weltkriegs, zur Zeit des slowenischen
Befreiungskampfes,
entwickelte sich das Partisanenlied (-gedicht), und zwar auf der
Grundlage
alter Arbeiter- und Heimatlieder. Zwei maßgebliche Vertreter
dieser Gattung
sind Matej Bor und Karel Destovnik-Kajuh.
Dieser Ära folgt die Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, auf
die
verschiedenste Einflüsse wirksam wurden, wobei der Realismus,
Existenzialismus,
Strukturalismus, Konstruktivismus und Ludismus überwiegen.
Die slowenische Lyrik schöpft in den ersten Nachkriegsjahren
ihren Stoff aus
dem Befreiungskampf. In den fünfziger Jahren werden die
Reflexionen der eigenen
Erlebnisse und Gefühle relevant. Die Dichter bringen ihre
Einsamkeit, die
Enttäuschung über unerfüllte
Jugendträume, ihre Anonymität in der technisierten
Gesellschaft und ihre Ängste vor der Katastrophe in der
Atombombenzeit zum
Ausdruck. In ihren Gedichten zeichnen sie mit Ironie und Satire die
Fehler der
Nachkriegsgesellschaft zuhause und in der Welt.
Als Dichterpersönlichkeiten haben sich in dieser Zeit Jože
Udovič und Edvard
Kocbek am
meisten profiliert.
In den folgenden Jahrzehnten machen auf sich zahlreiche
Repräsentanten der jüngeren
Generation aufmerksam, die die Träger neuer Einsichten und
neuer Lebensrhythmen
sind. Ihre Arbeit steht unter dem starken Einfluss
westeuropäischer
Philosophien und Literaturen. Ihre Poesie ist nicht mehr eine
Reflexion
im
realistischen Sinn; sie wird immer hermetischer.
Signifikant für die fünfziger Jahre war der
gemeinsame Auftritt von vier
Lyrikern, die für neue Inhalte und Formen in der slowenischen
Lyrik gesorgt
haben. Im Jahr 1953 haben Ciril Zlobec, Tone Pavček, Janez Menart und
Kajetan
Kovič gemeinsam den Lyrikband Pesmi štirih
(Gedichte der vier)
herausgegeben.
Erwähnen möchte ich noch jene Lyriker, die seit den
sechziger und siebziger
Jahren bestimmend sind: Dane Zajc und Gregor Strniša sowie
später Tomaž Šalamun
und Niko Grafenauer. Grafenauer ist für
mich überhaupt einer der interessantesten
Lyriker der Gegenwart.
Seit den siebziger und achtziger Jahren sind Schriftsteller in
Erscheinung
getreten, die nach dem Jahr 1950 geboren wurden. Ihr Einfluss auf die
slowenische Literatur ist derart different, dass es schwer
wäre, einen
gemeinsamen Nenner zu finden, obwohl gemeinsame semantische Felder und
ein
ähnliches Verhältnis zu einigen Grundpoetiken der
Autoren älterer Generationen
konstatiert werden können, nicht zuletzt ihr
Verhältnis zu formell-ästhetischen
Fragen der unmittelbaren Vorgänger und Vorbilder. Man
könnte feststellen, dass
jeder Autor seine Tradition hat, weshalb eine solche auch eine
Literatur in
ihrer Gesamtheit vorweisen kann. Für die Kärntner
slowenische Lyrik stelle ich diese
Tradition in erster Linie im gesamtslowenischen Muster fest.
Die ästhetische Entwicklung der Lyrik in den neunziger Jahren
determinierte der
Postmodernismus, den sozusagen alle Schriftsteller dieser Generation
aufgenommen haben. Eine definitive und verkürzte Analyse der
neuesten Ära der
slowenischen Lyrik wäre hier nicht angebracht.
Mein persönliches Bild über die slowenische Poesie
nach dem Zweiten Weltkrieg
habe ich schon ausgestellt und kann es besichtigt werden. Im Jahr 1995
habe ich
in der Edition Atelier in Wien eine Anthologie slowenischer Lyrik in
deutschsprachiger Übersetzung herausgegeben, und zwar mit dem
Titel eines
Grafenauer-Gedichts, Nirgendwo eingewebte Spur (Nikamor
vtkana sled).
Ein hauptsächlicher Unterschied zwischen der Kärntner
slowenischen und
gesamtslowenischen Lyrik ist darin zu finden, dass in Kärnten
der Kampf für die
nationalen Rechte nicht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
finalisiert wurde,
er hat sich wahrscheinlich erst in den neunziger Jahren beruhigt, als
die beiden
Vertretungsorganisationen der Kärntner Slowenen ihre
strategische Politik in
eine offene Aggression gegeneinander umgeformt haben, worin ihnen die
Literatur
bisher jedoch nicht folgte.
Neben diesem kurzen Abriss der literarischen Entwicklung in Slowenien
muss noch
festgestellt werden, dass auf die Kärntner slowenische
Literatur wesentlich
auch die österreichischen literarischen Strömungen
gewirkt haben. Die
konkreteste Auswirkung besteht wohl darin, dass sich einige
Schriftsteller für
ein zweisprachiges Schaffen entschieden haben, andere wiederum bewusst
und
streng für das slowenische Schreiben, wie zum Beispiel Gustav
Januš
und Florjan Lipuš.
Peter
Handke, der Übersetzer der erwähnten
Schriftsteller, meinte vor rund
zwanzig Jahren, dass es für die Kärntner Slowenen von
jeher bezeichnend gewesen
sei, die Geschichte nicht nach den Machthabern, sondern nach den
Schriftstellern auszumessen.
In meiner Übersicht werde ich diesem System folgen und die
Kärntner slowenische
Literatur im zwanzigsten Jahrhundert mithilfe der einzelnen Lyriker
dimensionieren, wobei ich beim ältesten beginnen werde.
Drei Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts wurden noch im neunzehnten
geboren,
im Jahr 1873 Fran Eller, 1891 Anton Gabriel und 1896 Flora Rauter.
Für alle ist
signifikant, dass sie ihre Gedichte beziehungsweise Lyrikbände
sehr spät
herausgegeben haben.
Fran Eller, ein gebürtiger Gailtaler, starb im Jahr 1956 als
Professor im
Ruhestand in Ljubljana. Sein Erstling mit dem Titel Koroške
pesmi (Kärntner
Gedichte)
erschien
1947, 1995
edierte France Bernik den Band Znane in neznane poezije
(Bekannte und
unbekannte Poesien), der in Klagenfurt verlegt wurde. Im
Hermagoras Verlag
in Klagenfurt ist nach dem Autor die Edition Eller (Ellerjeva
edicija) benannt.
Ellers Gedichte sind von Heimatgefühlen geprägt, sie
sind überwiegend
realistisch und impressionistisch, wobei sie der Autor in freieren
traditionellen Formen geschrieben hat.
Die Erstlinge Anton Gabriels und Flora Rauters sind in der Edition
Eller des
Hermagoras Verlags herausgekommen, und zwar in den Jahren 1986 und
1991.
Gabriels Gedichte sind in einem sicheren Slowenisch verfasst und gilt
die
lyrische Intention seinem Volk.
In den Gedichten Flora Rauters sind zwei Schwerpunkte auszumachen,
nämlich ihre
Bindung mit den heimatlichen Dörfern am Faaker See und der
starke Einfluss des
Religiösen.
Nach diesen Autoren tritt aber schon eine der herausragenden
Persönlichkeiten
des Kärntner slowenischen literarischen Lebens an die
Öffentlichkeit, die im
Jahr 1902 geborene Lyrikerin Milka Hartman.
Ihre ersten Arbeiten erschienen mit dem Titel Dekliške
pesmi
(Mädchengedichte) im
Jahr 1934 im
Selbstverlag. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte sie
drei größere
Sammlungen, darunter einen Dialektgedichtband mit dem Titel Pesmi
z libuškega
puela
(Gedichte
vom Loibacher Feld). Ein
sehr
brauchbares Geleitwort verfasste der Slawist
Pavel Zdovc.
Milka Hartman schrieb Gelegenheitsarbeiten für verschiedene
Feste und Feiern,
daneben schuf sie ihr lyrisches Opus. Ihre Gedichte
beschäftigen sich mit
Religion, Liebe und ihrem Volk. Der Form nach sind sie einmal eher
einfach und
dann wieder raffinierter.
Der Generation Hartmans gehört Anton Kuchling an, der im Jahr
1903 geboren
wurde und 1988 starb. Sein einziger Gedichtband mit dem Titel Drava,
povej,
kje
dom je moj (Drau, sage, wo mein Zuhause ist) erschien
1973. Seine
Gedichte versuchen nicht, den Beruf des Autors zu verbergen: Der
Priester Anton
Kuchling hat Lyrik mit biblischen Motiven geschrieben, in der das
Kärntner
Slowenische betont wird.
Jünger als Hartman und Kuchling sind Hani Weiss, geboren 1917,
und Maks Sorgo,
geboren 1918. Unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg haben sie auf ihr
Talent
aufmerksam gemacht. Beide fielen jedoch im Krieg, Weiss 1943, Sorgo
ein
Jahr
später.
Einige Jahre nach Weiss und Sorgo wurde der Publizist und Autor Janko
Messner
geboren, der eher zur Prosa gehört. (S.d. den
Beitrag von Johann Strutz über
die Kärntner slowenische Prosa im zwanzigsten Jahrhundert in
diesem Band.) Festgehalten
sei aber, dass Messner einige Gedichtbände
veröffentlicht hat.
In Messners Generation gehört noch Valentin Polanšek. Schon in
seinem Erstling Grape
in sonce (Gräben und Sonne), der im Jahr 1963
erschien, hat er ein paar
Grundelemente seiner Lyrik festgelegt. Einige Gedichte stehen in ihrer
Einfachheit der Poesie Milka Hartmans nahe, andere
befleißigen sich des
allgemein bekannten Lyrikinstrumentariums. Ungewöhnliche
Metaphern oder
Satzkonstruktionen sind nicht Polanšeks
Sache. In
einigen Gedichten hat er versucht, das
Grundlegende des Kärntner Slowenischen plastisch darzustellen.
Seine Intention
waren dabei Emotionen und Sentimente. Im eigentlichen sind die
Gedichte
einfach
und verständlich.
Der im Jahr 1936 geborene Andrej Kokot war jahrzehntelang
ausschließlich
Lyriker und verfasste in den neunziger Jahren seine Erinnerungen.
Matjaž Kmecl hat
1976 in der
Anthologie Ta hiša je moja pa vendar moja ni (Dies
Haus ist mein und doch
nicht mein) diagnostiziert,
dass Kokot eine
unaufhörliche, krampfhafte Anstrengung
anzumerken ist, in einer nicht zur Gänze beherrschten
Schriftsprache immer von
neuem den richtigen Ausdruck für den richtigen Gedanken zu
finden, ...
gleichzeitig sieht man den Versen die Sorge an, dass die Sprache so
weit wie
nur möglich tadellos und ausdrucksfähig wäre.
Natürlich hat Andrej Kokot
ein lyrisches Talent, das insbesondere dann sichtbar wird, wenn er
über das
Schicksal der Kärntner Slowenen spricht. Kokot ist der Dichter
des Schmerzes
und Schwermuts, der das Echo der politischen Realität
besingt,
wobei das Motiv über die Minderheit als Brücke und
das Ausspielen dieser Idee
das bekannteste ist.
Alle bereits erwähnten Lyriker haben sich außerhalb
der sogenannten mladje-Gruppe
entwickelt.
Zum besseren
Verständnis sei zunächst das Phänomen mladje
expliziert: Im Jahr 1960 haben Florjan Lipuš, Erik
Prunč und Karel Smolle
die Literaturzeitschrift mladje gegründet,
die bis 1991 herausgegeben
wurde. Der Chefredakteur war fast durchgehend Florjan Lipuš.
Im
mladje erreichte nicht
nur die kulturkritische und fachliche Publizistik ein relativ hohes
Niveau,
sondern nützte die Zeitschrift auch der Lyrik. Für
diese war - ebenso fast
durchgehend - Gustav Januš
zuständig
und scheint es, dass er mit seiner Auswahl der
Kärntner slowenischen Lyrik eine Richtung gegeben hat.
Gustav Januš,
geboren 1939, ist
wohl der
relevanteste Lyriker der Kärntner Slowenen im zwanzigsten
Jahrhundert. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass
Januš
ein multiples Talent
ist, neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er auch
ein erfolgreicher
Künstler.
In die slowenische Literatur trat er mit einer sehr
eigenständigen Lyrik, die
nach einer anfänglichen elegischen Stimmung bald ironische
Nuancen gewinnt.
Später entwickelten sich seine Gedichte zu einem Typ langer,
ungereimter
Versifikationen mit einer Sprache, die der alltäglichen
entlehnt scheint, wobei
überall die Satire durchblitzt. Dazu konstatierte Matjaž Kmecl, dass seine
Art zu
sprechen, bildhaft beschreibend ist, zum Schein
äußerst einfach, ... sie geht
jedweder Erhabenheit und Schwunghaftigkeit aus dem Weg, alles, was
Gewicht hat,
schält sich wie von selbst aus der allereinfachsten
Alltäglichkeit. Die
Poesie Gustav Januš’ ist
gewiss die originärste in der Kärntner slowenischen
Gegenwartsliteratur.
Wenn ich festhalte, dass Peter Handke seine Arbeiten in das Deutsche
übersetzt,
so ist dies nicht nur eine biobibliografische Angabe, sondern das
Zeugnis einer
besonderen Anerkennung für einen Lyriker, der sich zum
Schreiber von
Prosaballaden entwickelt hat, in denen er auf eigenständige
Weise die Welt
zeigt. Dabei ist er modern und zeitgenössisch, was ihm einen
unvergleichbaren
Erfolg sichert.
Zur Illustration seiner Lyrik sei ein exemplarisches
Frühgedicht zitiert:
DER KAMPF
Aus purer Begeisterung darüber,
daß er heute wieder einmal vom dritten rajh
vortragen kann,
hat der Geschichtsprofessor
gerötete Wangen und einen
verzerrten Mund.
Er hat sich in Eifer geredet
und von neuem in Finnland
gegen die Russen gekämpft.
Er hat geschossen...
war kanonir...
Hat geschossen...
am Maschinengewehr.
Wurde verwundet...
Wurde ausgezeichnet...
Hat wieder geschossen... usw.
Endlich aber hat er noch
hinzugefügt, das Heer sei heutzutage
eine bloße Attrappe, und ist dabei
derart laut geworden, daß
ihm der österreichische Adler
von der Wand aufs Haupt stürzte und
ihm mit Hammer und Sichel
so auf das Maul schlug, daß es
ihn aus den Träumen
vom großdeutschen rajh riß.
(Aus dem Slowenischen übersetzt von Peter Handke.)
Ein ebenso wichtiger Lyriker der Kärntner Slowenen
ist Erik Prunč,
geboren 1941, der
aber nur einen Gedichtband veröffentlichte und als Dichter
heute schweigt. Im
Jahr 1965 erschien sein Band Tihožitja (Stilleben), ein Buch, das
vor allem nach
außen dem Titel gerecht wird. Die Gedichte sind vierzeilig
und zweistrophig.
Auf den ersten Blick sind sie archaisch und mythisch, schon auf den
zweiten
aber erkennt man die Motive aus der Kärntner slowenischen
Problematik.
Eines der Gedichte hat einen derart programmatischen Charakter, dass
es
zitiert
sei.
EPILOG
Zurück führt kein Weg.
Die Schiffe sind spröde,
die Fahnen sind tot,
der Wind ist durstig.
Zurück führt kein Weg,
Matrosen, hier,
a m U
f e r
müssen wir Dörfer finden.
(Aus dem Slowenischen übersetzt von J. F.)
Ein Zeitgenosse Erik Prunč’ ist
Karel Smolle, der gleichfalls nur einen Gedichtband
veröffentlicht hat, und zwar ebenso 1965. In der bereits
mehrfach zitierten
Anthologie meint Kmecl, dass Smolle zunächst die
höchsten Erwartungen versprochen
hat, doch widmete er sich später der politischen
Arbeit. Der Lyriker stand
offensichtlich unter dem Einfluss des späten Expressionismus
und hatte die
verschiedensten Visionen. Formell unausgereift und rasant im Ausdruck
statuierte er die ekstatische Eruptivität.
Zu den Lyrikern, die in den vierziger Jahren geboren wurde,
gehört noch Ivana
Kampuš, Jahrgang
1947, die
bisher einen Gedichtband veröffentlicht hat. Die Autorin
interessiert ihr Platz
in der Menge der Subjekte, Pflanzen, Tiere und Geisteswesen. Auf der
inhaltlichen Ebene spiegelt sie die Suche nach den alten und geistigen
Werten
wider.
Diesen Lyrikern folgt eine Gruppe, die ich als Jung-mladje-Autoren
bezeichnen
würde, und zu der Franc Merkač, Jani Oswald,
Jožica Čertov, Maja Haderlap, Fabjan
Hafner sowie Cvetka Lipuš gehören.
Franc Merkač hat
eine besondere Sensibilität für die Geschehnisse
unter den Menschen und in der
Gesellschaft. Das Resultat seiner Überlegungen sind Kritik und
Karikatur. Mit
seiner Lyrik bezieht er sich bewusst auf das Leben der slowenischen
Volksgruppe
in Kärnten. Nach dem Gedichtband Odtenki
razbolele resničnosti (Absplitterungen
einer
empfindlich schmerzenden Wirklichkeit), der im Jahr
1980 erschien,
steigert und konkretisiert er seine Kritik im Band našisti
(unserschisten), den
er 1987 im Selbstverlag edierte, noch. Gleichzeitig reduziert und
präzisiert er
seine poetische Sprache. Die unserschistischen
Gedichte heben sich von
der Kärntner slowenischen Lyrik durch ihren Geist und ihre
Singularität ab.
Ein auffallender Autor ist auch Jani Oswald. Seine Poesie kann man als
Produkt
der Postavantgarde mit starken Elementen des Experimentierens
determinieren,
was für die dichterische Semantik und für die Auswahl
der Themen gilt. In
dieser Hinsicht ist Oswald einer der wenigen Autoren, die einen neuen,
experimentellen Rand der slowenischen Lyrik erreicht haben. Als Rand
bezeichne
ich ihn deshalb, weil sich diese Gattung in der slowenischen Lyrik
lediglich
dort durchsetzen konnte.
Oswalds Gedichte sind ein Almanach semantischer und phonetischer
Einfälle, die
vor allem dann ihre volle Wirkung erreichen, wenn sie der Autor selbst
vorträgt.
Alle übrigen Autoren wurden in den sechziger Jahren geboren
und haben ab den
späten siebziger und frühen achtziger Jahren
veröffentlicht.
Das
Opus Jožica
Čertovs ist schmal
und
übersichtlich, zumal sie nur einen Gedichtband
veröffentlicht hat, und zwar im
Jahr 1985 mit dem Titel Pesmi iz listja (Gedichte aus Laub).
Ihre Lyrik
ist autoreflexiv und in einigen Versen versteckt erotisch. Ihre
Liebesgedichte
kennen weder Trauer noch Leidenschaft. Ihre Gefühlswelt
drückt die Autorin in
sehr hermetischen und schwer verständlichen Metaphern aus. Die
Welt, die sie
zeichnet, ist intim und lehnt fremde Eingriffe ab.
Jožica Čertov schweigt als
Autorin heute wie Erik Prunč, Karel Smolle und Franc Merkač.
Der Lyriker und Literaturtheoretiker Denis Poniž meint, dass die Poesie
Maja Haderlaps
mit jener Svetlana Makarovič'
korrespondiert
und konstatiert weiter, dass Haderlap
über die Existenz der Sprache schreibt, die wegen der
tausendjährigen Angriffe
der anderen Sprache gefährdet ist. Die Lyrikerin betrachtet
das tägliche Leben
im Spiegel ihrer Gedichte, die gleichzeitig fröhlich und
traurig sind. Die
Poesie ist eingespannt in die Landidylle der engeren Heimat und das
Leben in
der Großstadt. Maja Haderlap kommt aus Leppen/ Lepena bei Bad
Eisenkappel/Železna Kapla und hat lange Zeit in Wien gelebt. Aus
diesem
unauflösbaren Dualismus entsteht ihre Lyrik, die den
Mitmenschen aufmerksam
einschließt. Die Figur der Mutter, zum Beispiel, ist in
dieser Poesie immer von
neuem präsent.
Interessant ist, dass sich die Lyrikerin zwischen dem ersten und
zweiten
Gedichtband - zwischen den Žalik pesmi (Salige Lieder)
und Bajalice (Wünschelruten)
liegen nur vier
Jahre -
formell zur Gänze geändert hat. Im ersten Gedichtband
ist der Vers kurz, im
zweiten aber schon lang und vierzeilig. Eine größere
Entwicklung aus formaler
Sicht ist mir bei keinem Kärntner slowenischen Autor
aufgefallen.
Fabjan Hafner hat in slowenischer Sprache bisher einen Gedichtband
veröffentlicht, und zwar im Jahr 1988 seinen Erstling mit dem
Titel Indigo
(Indigo). Bekannt ist er aber vor allem für seine
Übersetzungen aus dem
Slowenischen.
Seine lyrische Aussage reduziert er auf den kurzen Vers, auf ein oder
zwei
Wörter, die den Autor und seine Welt, in der er arbeitet,
determinieren. In
seiner Artikulation ist er transparent, leichtfüßig
und fast eloquent. Die
lyrische Chromatik ist hell und unbelastet, was im eigentlichen nicht
mit dem
Titel seines Bandes korrespondiert. Für positiv halte ich,
dass Hafner die
Tradition des slowenischen Avantgardismus - als verbindlicher
ästhetischer
Kanon - nicht belastet. Hafner setzt die Verse in beiden
Arbeitssprachen, der
slowenischen und deutschen, überraschend selbstbewusst.
Neue poetische Möglichkeiten sucht Cvetka
Lipuš, die in ihren Gedichten eine beliebige
Assoziation mit einem ausgesprochenen Gefühl
für den erotischen Klang von Worten verbindet
und sich dabei eines eigenständigen Sprachduktus bedient. Lipuš
baut
ihr Gedicht aus drei oder
vier Sätzen im freien Rhythmus. Die Metaphorik ist
unabhängig, die einzig und
in Mikroelementen nachweisbare Tradition ist jene nach Paul Celan.
In der Lyrik der Kärntner slowenischen Autoren sind Raum und
Zeit kaum
auszumachen, wenn nicht gerade die Minderheitenproblematik
versifiziert
wird.
Lipuš’
Sein hingegen ist
genau bestimmbar, ihre poetische Heimat ist das Meer, auch die
säumenden Felsen
und Städte, Venedig
und Piran, zum Beispiel, und alle Sonnen- und Schattenspiele auf
diesen
Plätzen. Natürlich geschehen ihre Gedichte nicht in
Venedig oder Piran, sondern
in der Erinnerung über diese Städte, so dass sie im
Zyklus Morje (Meer) letztlich
feststellen kann:
Das Leben
der letzten Wochen
ruht
im Heft.
(Aus dem Slowenischen übersetzt von J. F.)
Der jüngste Autor ist der im Jahr 1970 geborene
Martin Kuchling, der bisher
einen Gedichtband und einen Roman veröffentlicht hat.
Über ihn könnte man
sagen, dass er ein Post-mladje-Autor ist. Hier
möchte ich auf ihn nur
aufmerksam machen, da ich den Eindruck habe, dass er eher ein Lyriker
des
einundzwanzigsten als des zwanzigsten Jahrhunderts ist, das
heißt, dass ich ihm
durchaus eine gewisse Zukunft zuschreibe.
Hingewiesen sei auch darauf, dass die Kärntner slowenische
Literatur die Kinder-
und Jugendlyrik kennt. Zu ihren Autoren gehören Herman Germ,
Dorli
Hammerschall, Mili Hrobath, Andrej Kokot, Marica Kulnik, Lenčka Kupper,
Janko Messner,
Ivanka Polanc, Valentin Polanšek und Sonja Wakounig. (S. d. den
Beitrag mit dem Titel
"Slowenische Kinderliteratur in Kärnten nach 1945" in den
"Profilen" von Johann Strutz, der sich auch auf die Lyrik bezieht.)
Der - von mir untersuchten - Literatur wurde zumindest in den letzten
beiden
Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Autoren haben eine
Reihe
angesehener Preise erhalten. Zahlreiche Gedichtbände wurden in
andere Sprache
übersetzt, vor allem in das Deutsche, Italienische und
Englische.
Die slowenische Lyrik hat nach dem Zweiten Weltkrieg klaren
Lebenswillen
gezeigt. Nach der Gründung der Literaturzeitschrift mladje
erlebte sie
eine neue Entwicklungsphase, die derzeit offensichtlich unterbrochen
ist.
Jedenfalls halten einige Werke der Kärntner slowenischen Lyrik
Schritt mit der
gesamtslowenischen Literatur.
Heute ist die Kärntner slowenische Lyrik eine emanzipierte
Literatur ohne
jedweden Provinzialismus. Und etwas Anerkennenderes könnte man
über eine
Literatur nicht feststellen.
Pugrad/Ludmannsdorf,
im Juli 2000
Bücher
von
Kajetan Kovic bestellen
Bücher
von
Florjan Lipus bestellen
Bücher
von
Gustav Janus bestellen
Bücher
von
Janko Messner bestellen
Bücher
von
Cvetka Lipus bestellen
Bücher
von
Fabjan Hafner bestellen
Maja
Haderlap:
"Der Engel des Vergessens"
Ein
großes Romandebüt, das von einem Leben in der Mitte
Europas erzählt; mit kraftvoller Poesie; Geschichten, die uns
im Innersten betreffen.
Maja
Haderlap gelingt etwas, das man gemeinhin heutzutage für gar
nicht mehr möglich hält: Sie erzählt die
Geschichte eines Mädchens, einer Familie und zugleich die
Geschichte eines Volkes. Erinnert wird eine Kindheit in den
Kärntner Bergen. Überaus sinnlich beschwört
die Autorin die Gerüche des Sommers herauf, die
Kochkünste der Großmutter, die Streitigkeiten der
Eltern und die Eigenarten der Nachbarn. Erzählt wird von dem
täglichen Versuch eines heranwachsenden Mädchens,
ihre Familie und die Menschen in ihrer Umgebung zu verstehen. Zwar ist
der Krieg vorbei, aber in den Köpfen der slowenischen
Minderheit, zu der die Familie gehört, ist er noch
allgegenwärtig. In den Wald zu gehen hieß eben
»nicht nur Bäume zu fällen, zu jagen oder
Pilze zu sammeln«. Es hieß, sich zu verstecken, zu
flüchten, sich den Partisanen anzuschließen und
Widerstand zu leisten. Wem die Flucht nicht gelang, dem drohten
Verhaftung, Tod, Konzentrationslager.
Die Erinnerungen daran
gehören für die Menschen so
selbstverständlich zum Leben wie Gott.Erst nach und nach lernt
das Mädchen, die Bruchstücke und Überreste
der Vergangenheit in einen Zusammenhang zu bringen und aus der
Selbstverständlichkeit zu reißen - und
schließlich als (kritische) junge Frau eine Sprache
dafür zu finden. Eindringlich, poetisch, mit einer
bezaubernden Unmittelbarkeit.
Maja
Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben... Die
Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch
keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keines. (Peter
Handke)
Buch
bei amazon.de bestellen