Andrzej Szczypiorsky (1924-2000)
"Der europäische Leser akzeptiert es, wenn sich die Literatur über die Realität lustig macht, aber er mag es nicht, wenn die Literatur sich selbst verspottet. Dieser Leser verlangt eine gewisse Seriosität, verlangt von der Literatur, ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen."
Andrzej Szczypiorsky wurde 1924 in Warschau geboren, war Journalist und schrieb Romane. Er nahm aktiv am Warschauer Aufstand teil und war nach dessen Ende im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Im Jahr 1946 begann er als Journalist zu arbeiten. Seit der Veröffentlichung seiner ersten Sammlung von Erzählungen (1955) entstanden mehr als zwanzig Bände Novellen, Reportagen, Zeitungsartikel, Essays,... Nach 1970 engagierte er sich innerhalb der demokratischen Opposition, war während des Kriegsrechts interniert (1981-1982) und wurde danach (1989) zum Senator gewählt. Dieses Amt übte er bis 1991 aus. Nach seinem Rückzug aus der Politik wurde er einer der angesehensten Kommentatoren mit moralischer und intellektueller Autorität.
Zwei Themenbereiche dominieren Szczypiorskys Romane und Artikel: Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen sowie die politischen Konflikte der letzten Jahrzehnte. Mit seinem Bestreben, das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen zu verbessern, machte er sich als Vermittler einen Namen. Große Anerkennung brachte ihm sein Roman "Poczatek" ("Die schöne Frau Seidenman") ein, worin er die unterschiedlichen Positionen der Polen, Juden und Deutschen während der Besatzungszeit darstellt. Dieser Roman war vor allem in deutschsprachigen Ländern ein bemerkenswerter Erfolg.
Szczypiorsky sah das Schreiben als "eine Art Mission, die den Schriftstellern von der Gesellschaft anvertraut worden ist". Er versuchte stets, dieser Berufung in allen seinen Werken gerecht zu werden. Nach "Die schöne Frau Seidenman" folgten "Noc, dzien i noc" ("Nacht, Tag und Nacht"), eine faszinierende Studie über die Mechanismen politischer Provokation, das überzeugende psychologische Porträt "Autoportret z kobieta" ("Selbstporträt mit Frau") sowie Sammelbände von Erzählungen, beispielsweise "Amerykanska whisky i inne opowiadania" ("Amerikanischer Whiskey").
Bei den polnischen Literaturkritikern fand "Msza za miastro Arras" 1971 ("Eine Messe für die Stadt Arras") die meiste Beachtung: Darin werden authentische historische Ereignisse aus dem 15. Jahrhundert beschrieben (Pest, Hungersnot, Judenverfolgung). Szczypiorsky begann mit den Arbeiten an diesem Roman im Herbst 1968, unter den Eindrücken der dramatischen Entwicklungen des vorangegangenen Frühlings. Die "zwischen den Zeilen" versteckten Anspielungen waren den ersten polnischen Leser sonnenklar und das Werk wurde als wichtiger Kommentar eines Schriftstellers mit moralischer Gesinnung zu den aktuellen Vorkommnissen gesehen.
Andrzej Szczypiorsky starb im Mai 2000.