(...)
Jedoch quoll mir der Groll in Form von gefrorenem Wasserdampf noch weiter zum Mund heraus. Es war, wie schon gesagt, bei Tagesanbruch, ich hatte nicht gut geschlafen, und deshalb stieß meine blinde Wut auf die anderen - diejenigen, die meinen, sie wüßten, wie ich denke, wer ich bin, was mich ängstigt - auf keinerlei Hemmnisse. Eine Wand, einen Menschen, ein Geräusch, das meine Aufmerksamkeit kurz abgelenkt hätte. Ich war auf meine Wut konzentriert. Ich war meine Wut.
Und jählings, ohne äußeren Anstoß, brach das Gefühl ganz von selbst ab wie ein trockenes Ästchen. Ich weiß nicht, welche Hand es abgebogen, welcher Fuß es zertrampelt hatte. Es scheint, das Gefäß meiner Wut war einfach voll. Ich mußte anerkennen, daß das blitzschnelle Zuheilen einer Wunde, das vorläufige Ende des Schmerzes wohltuender ist als das Glück. Ein Genuß, für den man sich geschunden hat. Keine Frohsinnstrübsal, sondern Frohsinn nach trübsal, eine Abschattierung der Trübsal. Etwas Ähnliches wie das, was der Mond in dem Augenblick empfinden müßte, wenn es Tag wird. Wenn der Mond sprechen könnte, wie in Ilias` Geschichten, hätte er vielleicht noch etwas hinzuzufügen: lipolipi, Wehvergeh, acharochara, Unfrohfröhlichkeit, ach, cha, chra ...
Ich bemerkte, daß an den Lichtchen des Pools, die nun grundlos brannten, bewegungslos winzige Insekten klebten, solche, die man ohne Gewissensbisse zertritt. Wie das Leben, so bekommen auch die Gefühlsregungen erst dann einen Wert, wenn man sie an einer Qualitätsskala messen kann. In diesem Sinn ist die Wut, die sich legt, keine Wut, sondern das Bedürfnis, sich mit dem eigenen Ich anzulegen. Dieses Ich kurze Zeit blinwütig zu Boden zu schlagen, als sei es ein Oktopus.
Ich machte aus meinem Brief ein Schiffchen und ließ es im wellenlosen Schwimmbecken segeln. Es war das Produkt eines Sturmes, und insofern ging es nicht unter. Erst viel später weichte es auf und riß hie und da ein. Die Wut hatte mir Kraft verliehen. Kurz nach dem Kentern des Bootes ersann ich eine neues Rezept. Kleine, rohe Oktopusse, die tagelang in gekochtem Granatapfelsaft mit Essig, Tintenraki und etwas Sojasauce ziehen, mit ein paar dünnen Safranfäden als einzigem Gewürz. Als Stefanos eine Woche später meinen Oktopus versuchte, kamen ihm die Tränen. Aber nicht doch, möglicherweise fand er ihn für seinen Geschmack einfach zu sauer. Dennoch erhöhte er mein Gehalt und setzte meinen Oktopus in die Spalte "Spezialitäten", wobei er mir den Gefallen tat, ihn Oktopus ach-cha-chra zu nennen.
"Was bedeutet das?" fragte er mich.
"In der Sprache des Mondes bedeutet es Unfrohfröhlichkeit."
Nach einer solchen Antwort hielt es mein Onkel für ratsam, das Fragen einzustellen.
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(aus "Oktopusgarten" von Amanda Michalopoulou;
Europäische Verlagsanstalt )