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Der verdrängende Wow!-Faktor reduziert Kunst und Kultur im dunklen Zeitalter
auf die oral-anale Thematik. Die Programmatik dieser Kunst läßt sich
auf einen Punkt bringen: Lochfraß.
Ein schwarzer, mit Packen Hundertdollarscheinen vollgestopfter Aktenkoffer ist
mittlerweilen zum wichtigsten Kultursymbol und zentralen Element der meisten
Filme und Bücher avanciert; die Bahn, die er durch unser Leben zieht, ist
primär sujetbildend. Besser gesagt, je nach Präsenz des schwarzen
Koffers im Kunstwerk bemißt sich das emotionale Interesse des Publikums
an dem, was auf der Leinwand oder zwischen
den Buchdeckeln passiert. Freilich kommt es vor, daß der Geldkoffer
nicht direkt involviert ist; in diesen Fällen wird seine Funktion entweder
von mitwirkenden sogenannten Stars übernommen, von denen man weiß,
daß sie ihn zu Hause liegen haben, oder von penetranten Verweisen auf
Produktionsbudget und Einspielquoten. In Zukunft wird es kein einziges Kunstwerk
mehr geben, das "nur so" entsteht; sehr bald schon werden wir es mit
Büchern und Filmen zu tun haben, deren hauptsächlicher Inhalt in einer
mehr oder minder verdeckten Apologie von Coca-Cola bzw. Agression gegen Pepsi-Cola
- et v.v. - besteht.
Unter Einwirkung des Netzwerks oral-analer Impulsgebung reift im Menschen eine
interne Kontrollinstanz, der Auditor (die typisch marktwirtschaftliche Variante
des vormaligen "inneren Parteisekretärs"). Er unternimmt eine
kontinuierliche Realitätsprüfung, die sich freilich auf die Prüfung
der Vermögensverhältnisse beschränkt, und straft ab durch Auferlegung
unsäglichen Leidens an kognitiver Dissonanz. Dem oralen Wow!-Impuls entspricht
das vom internen Auditor angehängte Etikett winner. Dem verdrängenden
Wow!-Impuls entspricht die parallele Ausgabe beider Etiketten.
Einige resistente Identitätstypen
lassen sich auflisten:
a/ der orale Wow!-Typ (vorherrschendes Pattern, auf dem die Organisation des
psychisch-emotionalen Lebens fußt, ist das beflissene Streben
nach Geld);
b/ der anale Wow!-Typ (vorherrschendes Pattern ist der wollüstige Ausstoß
von Geld resp. die Manipulation mit diversen Surrogaten - auch analer Wow!-Exhibitionismus
genannt);
c/ der verdrängte Wow-Typ (ggf. in Kombination mit a/resp.b/ - hier ist
die quasitotale Immunität gegenüber allen nichtoralen resp.-analen
Reizauslösern erzielt).
Wie relativ eine solche Klassifikation ist, zeigt sich darin, daß dieselbe
Identität für den einen, in der Wow!-Hierarchie tiefer Stehenden anal,
für den anderen, Höhergestellten oral funktionieren kann (wobei eine
"Identität an sich" selbstverständlich nicht existiert -
es handelt sich um ein reines Epiphänomen). Eine lineare Wow!-Hierarchie,
wie sie durch eine Vielzahl vergleichbar strukturierter Identitäten gebildet
wird, bezeichnet man als korporative Schnur. Dies ist eine Art soziales Perpetuum
mobile, dessen Geheimnis darin besteht, daß jedwede Identität sich
beständig an jener messen muß, die eine Stufe über ihr steht.
Die amerikanische Folklore hat für dieses eherne Prinzip den Spruch "to
keep up with the Jones" (es den Müllers von nebenan zeigen) parat.
In einer korporativen Schnur organisierte Menschen erinnern an aufgefädelte
Fische, die zum Trocknen an der frischen Luft hängen. Nur daß die
Fische im gegebenen Fall noch leben. Und damit nicht genug: Oraler und analer
Wow!-Faktor regen sie an, sich die Schnur entlang in die Richtung zu hangeln,
die sie für oben halten. Sie tun dies instinktiv oder, wenn man so will,
auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Der Sinn des Lebens aber ist vom Standpunkt
der ökonomischen Metaphysik nichts anderes als die Transformation oraler
in anale Identität.
Damit, daß ein durch die Wirkung dreier rudimentärer Wow!-Faktoren
demoliertes Subjekt sich selbst als Identität zu sehen gezwungen wird,
ist die Situation noch nicht hinreichend beschrieben. Sobald es nämlich
Kontakt zu anderen aufnimmt, sieht es diese ebenso als Identitäten. Außnahmslos
alles, was einen Menschen charakterisieren kann, ist von der Kultur des dunklen
Zeitalters bereits ins oral-anale Koordinatensystem eingeordnet und in den Kontext
des unendlichen Lochfraßes gestellt.
Ein verdrängter Wow!-Mensch analysiert jeden, der ihm vor die Füße
läuft, als einen mit kommerzieller Aussage gespickten Werbespot. Das Äußere
dieses Menschen, seine Art zu reden und sich zu geben werden augenblicklich
als Wow!-Zeichensatz interpretiert. Ein dynamischer, unreflektierter Prozeß
spult sich ab, bestehend aus einer Folge analer, oraler und verdrängender
Wow!-Impulse, die im Bewußtsein aufblitzen und verlöschen und letztendlich
bestimmen, wie man sich dem anderen gegenüber positionieren wird. Homo
homini lupus est! heißt ein geflügeltes lateinisches Wort. Doch ist
der Mensch dem Menschen längst kein Wolf
mehr. Nicht einmal ein Image-Maker, Dealer, Killer oder Exklusivvertreiber,
wie die moderen Soziologie meint. Der Mensch ist dem Menschen ein Wow! - nein,
nicht dem Menschen: dem Wow! Auf das kulturelle Koordinatensystem von heute
projiziert, heißt das lateinische Sprichwort demzufolge: Wow! Wow! Wow!
(.....)
(Che
Guevara in Viktor Pelewins "Generation P";
Verlag
Volk&Welt)