88. Untersuchung
Die lässliche und die Todsünde

Erster Artikel

Wird zutreffend die läßliche Sünde gegen die Todsünde abgeteilt?

Aus der Abhandlung. Ich antworte: ... Da die Sünde eine gewisse Krankheit der Seele ist, wie oben gesagt worden, so wird die Sünde etwas Tödliches gesagt nach Ähnlichkeit einer Krankheit, welche tödlich daher heißt, daß sie einen unheilbaren Schaden durch den Verlust irgendeiner Urheit herbeiführt, wie gesagt worden ist. Die Urheit des geistigen Lebens aber, das der Tugend nach da ist, ist die Ordnung auf den Endzweck, wie dargelegt. Wenn aber dieser preisgegeben ist, so kann er nicht durch eine innere Urheit wiederhergestellt werden, sondern nur durch göttliche Wirkkraft, wie oben gesagt: da ja die Unordnungen in dem, was zum Zwecke da ist, vom Zwecke her gutgemacht werden, gerade wie ein Irrtum im Schlußfolgern durch die Wahrheit der Ursätze behoben wird. Ein Abfall von der Ordnung des Endzweckes also kann nicht durch etwas, was über ihm stände, gutgemacht werden, wie auch, in Betreff der Ursätze, nicht der Irrtum. Und darum werden derartige Sünden tödliche genannt, gleichsam unheilbare. Sünden aber, welche Unordnung haben bezüglich dessen, was zum Zwecke dient, sind, wenn die Hinordnung auf den Endzweck gewahrt bleibt, heilbar; und diese nennt man läßliche. Denn Nachlaß haben die Sünden dann, wann die Strafverschuldung wegfällt, die aufhört mit dem Aufhören der Sünde, wie gesagt ist. Demnach stehen sich also Tödlich und Läßlich wie Heilbar und Unheilbar gegenüber. Und das sage ich im Hinblick auf die innere Urheit, nicht aber im Vergleich zur göttlichen Wirkkraft, die jede Krankheit, ob leiblich oder geistig, heilen kann. Und deswegen wird die läßliche Sünde zutreffend gegen die tödliche abgeteilt.


 

(aus der "Summe der Theologie" von Thomas von Aquin: 1225-1274)
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