(...)
Die Erzählung des Slawkenbergius
Es war an einem kühlen,
erfrischenden Abend am Schlusse eines schwülen Tags gegen Ende August als ein
Fremdling, auf einem dunklen Maulthier. mit einem kleinen Mantelsack hinter
sich, der ein Paar Hemden, Schuhe und ein Paar rothseidene Hosen enthielt, in
die Stadt Straßburg einzog.
Er sagte der Schildwache am Thor, als sie ihn examinirte: er komme vom Vorgebirge
der Nasen, reise jetzt nach Frankfurt und werde in einem Monat, nach seiner
Wanderung zu den Tataren der Krim, wieder in Straßburg sein.
Der Soldat sah dem Fremdling ins Gesicht: so eine Nase hatte er Zeit seines
Lebens nicht gesehen.
Sie ist mir schon sehr nützlich gewesen, sagte der Fremdling, und indem er das
Handgelenk aus der Schleife eines schwarzen Bandes zog, an dem ein kurzer Säbel
hing, steckte er die Hand in die Tasche, und mit der linken Hand mit großer
Artigkeit an den Schirm seiner Mütze greifend, strebte er die Rechte aus, gab
der Schildwache einen Gulden und ritt weiter.
Schade, sagte der Soldat zu einem kleinen krummbeinigen Tambour, daß dieser
höfliche Mann seine Scheide verloren hat, er kann nicht mit dem bloßen Säbel
reisen; und doch wird er in ganz Straßburg keine passende Scheide finden. –
Ich hatte nie eine, erwiderte der Fremdling, indem er sich zurückwandte und
höflich verneigte, – ich hielt ihn so, sagte er, indem er den bloßen Säbel in
die Höhe hielt und langsam auf seinem Maulthier weiter ritt, um meine Nase zu
beschützen.
Sie verdient es auch, edler Fremdling, erwiderte der Soldat.
Sie ist keinen Groschen werth, bemerkte der Tambour, es ist ja eine falsche
Nase aus Pappe.
So wahr ich ein Christ bin, rief die Schildwache, es ist eine Nase, wie die
meinige – nur sechs Mal größer.
Ich hörte sie knittern, sagte der Tambour.
Donnerwetter – erwiderte die Schildwache, sie blutete ja.
Schade, schade, sagte der Tambour, daß wir sie nicht Beide befühlten.
Zu derselben Zeit, als sich dieser Streit zwischen der Schildwache und dem Tambour
erhob, wurde der gleiche Gegenstand zwischen einem Trompeter und seiner Frau
erörtert, die dazu gekommen waren und den Fremden hatten vorüber reiten sehen.
Benedicite! Welch' eine Nase! sagte die Frau des Trompeters, die ist ja so lang
wie eine Trompete.
Und aus dem gleichen Metall, sagte der Trompeter, wie du am Niesen hören kannst.
O weit entfernt, erwiderte sie, sie thut so sanft wie eine Flöte.
Sie ist von Messing, sagte der Trompeter.
Fällt ihr nicht ein, erwiderte seine Frau.
Und ich sage dir, sie ist von Messing, wiederholte der Trompeter.
Ich werde die Sache näher untersuchen, sagte die Frau, ehe ich heute schlafen
gehe, muß ich sie mit meinem Finger berühren.
Das Maulthier des Fremdlings schritt so langsam vorwärts, daß er jedes Wort
des Streits sowohl zwischen dem Soldaten und dem Tambour als zwischen dem Trompeter
und dessen Frau hören konnte.
Nein, sagte Jener, indem er dem Maulthier die Zügel auf den Hals legte und beide
Hände über der Brust kreuzte (während das Thier langsam weiter ging). Nein!
sagte er, indem er zurücksah, es ist durchaus nicht nöthig, daß diese Sache
aufgeklärt werde. Nein! Niemand soll meine Nase berühren, solange der Geist
mir die Kraft verleiht – Wozu? fragte die Frau des Bürgermeisters.
Der Fremdling gab ihr keine Antwort. Aber er that ein Gelübde
zu
St Nicolaus; dann steckte er die Rechte in den Busen, an welcher nachlässig
sein Säbel hing und ritt langsam durch die Hauptstraßen Straßburgs bis zu dem
großen Gasthof auf dem Marktplatz gegenüber von dem Münster.
Sobald der Fremdling abgestiegen war, befahl er sein Maulthier in den Stall
zu führen und seinen Mantelsack hineinzutragen. Dann öffnete er diesen und nahm
seine rothseidenen Hosen mit silberbefranztem Lätzchen oder Schürzchen heraus,
und spazierte dann mit dem Säbel in der Hand auf den Paradeplatz.
Der Fremdling war kaum hier eingetreten, als er die Frau des Trompeters ihm
entgegen kommen sah. Alsbald drehte er um, da er befürchtete, daß seiner Nase
eine Untersuchung drohte und kehrte nach dem Gasthof zurück. Dort kleidete er
sich um, packte seine rothseidenen Hosen wieder in den Mantelsack und befahl
sein Maulthier vorzuführen.
Ich reise nach Frankfurt, sagte der Fremdling, und werde von heute über vier
Wochen wieder in Straßburg sein.
Ich hoffe, ihr habt dies Thier gut verpflegt, setzte er hinzu und strich dem
Maulthier mit der Linken über das Gesicht, – es hat mich und meinen Mantelsack
über 600 Stunden weit getragen.
Das ist ein weiter Weg, meinte der Gastwirth, da muß man schon wichtige Geschäfte
haben. – Allerdings, erwiderte der Fremdling, ich komme vom Vorgebirge der Nasen
und habe mir dort eine der schönsten, trefflichsten Nasen angeschafft, die jemals
einem Sterblichen zu Theil geworden ist.
Während der Fremdling so Rechenschaft von sich gab, betrachteten Wirth und Wirtin
die Nase des Fremdlings mit gespannter Aufmerksamkeit. – Bei allen Heiligen!
rief die Wirthin – diese Nase ist zwölf Mal größer als die größten in ganz Straßburg!
– Nicht wahr, flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr, es ist eine herrliche Nase?
Da steckt eine Spitzbüberei dahinter, mein Schatz, erwiderte der Wirth, – die
Nase ist offenbar falsch.
Sie ist ächt, erwiderte die Wirthin. Ich sage, sie ist aus Kiefernholz, entgegnete
er, sie riecht ja nach Terpentin.
Es ist ein Karbunkel daran, sagte die Wirthin.
Es ist eine todte Nase, versetzte der Wirth.
Nein, sie ist lebendig, sagte sie, und so wahr ich selbst lebendig bin, ich
werde sie anrühren.
Ich habe eine Gelübde bei dem h. Nicolaus gethan, daß Niemand meine Nase berühren
darf bis – Bis wann? fragte jene.
Niemand soll sie berühren, versetzte er und kreuzte die Hände über der Brust
bis zu der Stunde – Bis zu welcher Stunde? fragte jene. – Zu keiner, erwiderte
der Fremdling, gelange ich selbst nicht an – An was? ich beschwöre euch? rief
jene. – Der Fremdling erwiderte nichts, bestieg sein Maulthier und ritt weiter.
Der Fremdling hatte auf seinem Wege gen Frankfurt noch nicht eine halbe Stunde
zurückgelegt, als bereits ganz Straßburg wegen seiner Nase in Aufruhr war. Die
Abendglocken läuteten und riefen die Straßburger, um die Pflichten des Tags
mit Gebet abzuschließen: – aber keine Seele in Straßburg hörte sie, – die Stadt
war wie ein Bienenschwarm, – Männer, Frauen und Kinder rannten dahin und dorthin
(während die Betglocke fortwährend bimmelte) – zur einen Thüre hinein zur andern
hinaus – kreuz und quer, die eine Straße hinauf die andere hinunter – in jenes
Gäßchen hinein, aus diesem heraus. – Habt ihr sie gesehen? Habt ihr sie gesehen?
Habt ihr sie gesehen? O habt ihr sie gesehen? Wer hat sie gesehen? Wer hat sie
gesehen? Um Gottes willen, wer hat sie gesehen?
Ach du meine Güte, ich war gerade in der Vesper! – Ich war beim Waschen, beim
Stärken, beim Scheuern, beim Nähen. – Ach du lieber Gott, ich habe sie nicht
gesehen! – habe sie nicht berührt – o wäre ich doch die Schildwache gewesen,
oder der säbelbeinige Tambour, oder der Trompeter oder die Frau Trompeterin,
so rief und jammerte es durch alle Straßen und Gassen von Straßburg.
Während diese heillose Verwirrung und Unordnung in der großen Stadt Straßburg
triumphirte, war der artige Fremdling auf seinem Maultier so harmlos Frankfurt
zu geritten, als ob ihn die ganze Sache nichts anginge, – dabei sprach er den
ganzen Weg über in abgebrochenen Sätzen bald mit seinem Maulthier, – bald mit
sich selbst, – bald mit seiner Julia.
O Julia, meine holde Julia! – Nein, ich kann nicht halten bleiben, damit du
diese Disteln abfrissest. – Daß die verwünschte Zunge eines Nebenbuhlers mich
eines solchen Genusses berauben konnte, als ich gerade auf dem Punkte stand
ihn zu kosten.
Oh! – es sind nur Disteln – laß sie stehen; – du sollst heute Abend ein besseres
Fressen haben.
Aus meinem Vaterlande verbannt, – von meinen Freunden getrennt – von dir!
Armer Teufel! du scheinst sehr ermüdet von deiner Wanderung! – Komm! – schreite
etwas rascher aus – es ist ja nichts in meinem Mantelsack als zwei Hemden –
die seidenen Hosen – und das Ding mit den Franzen – theure Julia!
Aber warum nach Frankfurt? – gibt es denn eine unsichtbare Hand, die mich geheimnißvoll
all diese Schlangenpfade durch harmlose Länder führt?
Es stolpert bei jedem Schritt, bei St. Nicolaus! – Wenn es so fort geht, wird
es Nacht bis wir hinkommen –
Geh ich dem Glück entgegen – oder ist es mir beschieden, vom
Schicksal und von der Verläumdung mißhandelt zu werden?
– soll ich unüberwiesen – ungehört –
ungerührt weiter getrieben werden? – Warum blieb ich dann
nicht in Straßburg, wo die Gerechtigkeit – aber ich hatte
es geschworen! – Komm, du sollst saufen – bei St. Nicolaus
– O Julia! – Warum spitzest du die Ohren? Es ist nur ein
Mann u. s. w.
Der Fremdling ritt weiter, indem er sich bald an sein Maulthier, bald an Julia
wendete, – bis er an seinem Gasthof ankam, wo er alsbald abstieg, dafür besorgt
war, daß sein Maulthier, wie er es versprochen hatte, gut verpflegt wurde, –
seinen Mantelsack mit den rothseidenen Hosen abschnallte und eine Omelette zum
Abendessen bestellte. Dann legte er sich gegen zwölf Uhr zu Bett und war nach
fünf Minuten in Schlaf versunken.
Um dieselbe Zeit etwa legte sich die Aufregung in Straßburg für diese Nacht,
– die Straßburger gingen ebenfalls zu Bett – aber weder ihre Körper noch ihre
Geister genossen der gleichen Ruhe wie der Fremdling. Die Feenkönigin hatte
sich der Nase des Fremdlings bemächtigt und sie, ohne daß dadurch ihr Umfang
gemindert wurde, in so viele Nasen von verschiedenem Zuschnitt und Form verwandelt,
als es Köpfe in Straßburg gab. Die Aebtissin von Quedlinburg, die mit den vier
Großwürdenträgerinnen ihres Kapitels, der Priorin, der Dekanin, der Untersängerin
und der Oberkanonissin in dieser Woche nach Straßburg gekommen war, um die Universität
in einer Gewissensfrage in Betreff ihrer Unterrockschlitze zu Rathe zu ziehen,
– war die ganze Nacht krank.
Die Nase des artigen Fremdlings hatte sich auf die Zirbeldrüse ihres Gehirns
gesetzt und in den Phantasieen der vier Großwürdenträgerinnen ihres Kapitels
einen solchen Aufruhr erregt, daß sie die ganze Nacht hindurch kein Auge zuthun
konnten; – sie vermochten kein Glied ruhig zu halten: – kurz als sie aufstanden,
sahen sie wie Gespenster aus.
Die Büßerinnen von der dritten Ordnung des
h.
Franciscus, die Nonnen vom Calvarienberg, die Prämonstratenserinnen, die
Clünianerinnen, die Karthäuserinnen und alle strengeren Nonnen-Orden, welche
in jener Nacht auf Leintüchern oder härenen Ziechen lagen, waren in einer noch
schlimmeren Lage als die Aebtissin von Quedlinburg; indem sie sich die ganze
lange Nacht hindurch von der einen Seite ihres Bettes nach der andern warfen
und wälzten. Die verschiedenen Schwesterschaften kratzten und prügelten sich
fast zu Tode; alle glaubten, der h.
Antonius habe sie mit seinem Feuer heimgesucht, um sie zu prüfen; kurz sie
hatten von der Vesper bis zum Morgen kein Auge zugethan.
Die Nonnen der h. Ursula handelten am klügsten; sie machten gar nicht den Versuch
zu Bett zu gehen.
Der Dekan von Straßburg, die Domherren, die Kapitelherren und Domiciliare, die
am Morgen als geistliches Kapitel zusammengetreten waren, um die Frage der Butterwecken
in Betracht zu ziehen, wünschten sämmtlich, sie hätten das Beispiel der Ursulinerinnen
befolgt.
In der Aufregung und Verwirrung, in der sich in dieser Nacht Alles befunden
hatte, hatten die Bäcker total vergessen, ihren Hefenteig anzumachen; – so gab
es in ganz Straßburg keine Butterwecken zum Frühstück. – Der ganze Dombezirk
befand sich in beständiger Bewegung: – eine solche Ruhelosigkeit und Erregung,
ein so eifriges Forschen nach der Ursache dieser Ruhelosigkeit war in Straßburg
nicht dagewesen, seitdem
Martin
Luther die Stadt mit seiner Lehre auf den Kopf gestellt hatte.
Wenn sich die Nase des Fremdlings so die Freiheit nahm, sich in die Speisen
der religiösen Orden zu mischen, welch' einen Carneval mußte sie nicht unter
denen der Laien anrichten! – Das ist mehr als meine stumpfgeschriebene Feder
zu schildern vermag; doch erkenne ich an (ruft Slawkenbergius in einem heitereren
Gedankengange als ich von ihm erwartet hätte), daß es gegenwärtig viele gute
Gleichnisse auf der Welt gibt, die meinen Landsleuten einige Idee davon geben
könnten. Wäre es aber am Schlusse eines solchen, ihnen zulieb geschriebenen
Foliobandes, worauf ich den größten Theil meines Lebens verwendet habe, – wenn
ich auch zugebe, daß es ein solches Gleichniß geben mag – nicht unvernünftig
von ihnen, wenn sie erwarten würden, daß ich übrige Zeit und Lust habe, um ihm
nachzuspüren? Es genüge, wenn ich sage, daß die Verwirrung und Unordnung, die
dasselbe in den Phantasieen der Straßburger anrichtete, so allgemein war, –
alle ihre geistigen Fähigkeiten in so überwältigender Weise beherrschte, – daß
so viele seltsame Dinge mit gleicher Zuversicht von allen Seiten und mit gleicher
Beredsamkeit an allen Orten hierüber besprochen und betheuert wurden, daß der
ganze Strom der Unterhaltung und Verwunderung in dieser Richtung floß. Jede
Menschenseele, die Guten und die Bösen, die Reichen und die Armen, die Gelehrten
und die Ungelehrten, Doctoren und Studenten, Frauen und Mädchen, Edle und Bürgerliche,
Nonnenfleisch und Weiberfleisch in Straßburg brachte die ganze Zeit damit zu,
Neues hierüber in Erfahrung zu bringen; – jedes Auge in Straßburg schmachtete
darnach die Nase zu sehen, – jeder Finger, jeder Daumen in Straßburg brannte
sie zu befühlen.
Was aber dieses heftige Verlangen noch steigerte, wenn es überhaupt noch dessen
bedurfte, war, daß Schildwache, krummbeiniger Tambour, Trompeter, Trompeters
Weib, Bürgermeisters Frau, Wirth und Wirthin, wie weit sie auch in ihren Beschreibungen
der Nase des Fremdlings auseinander gingen, – alle in zwei Punkten vollkommen
miteinander übereinstimmten: – nämlich daß er nach Frankfurt gegangen sei und
in Monatsfrist nach Straßburg zurückkehren werde; und zweitens, daß, mochte
seine Nase nun eine ächte oder falsche sein, der Fremdling selbst eines der
vollkommensten Schönheitsmuster – der feinste Mann unter der Sonne – der edelste,
– der freigebigste – der artigste in seinem ganzen Wesen, der jemals Straßburg
betreten, gewesen sei; – daß wie er so mit dem Säbel leicht am Handgelenk hängend
durch die Straßen geritten – wie er in seinen rothseidenen Hosen über den Paradeplatz
gegangen sei – er dies mit einem milden Ausdruck sorgloser Bescheidenheit und
doch zugleich so männlich gethan habe, – daß er (falls seine Nase nicht im Wege
gestanden wäre) das Herz jeder Jungfrau, die das Auge auf ihn geworfen, in Gefahr
gebracht haben würde.
Ich kann ein Herz, welches dem Pulsiren und Schmachten einer so erregten Neugierde
fremd ist, nicht auffordern die Aebtissin von Quedlinburg, die Priorin, die
Decanin und die Untersängerin zu entschuldigen, weil sie Nachmittags nach dem
Weibe des Trompeters schickten. Letztere schritt mit der Trompete ihres Mannes
in der Hand durch die Straßen von Straßburg – es war dies der beste Apparat,
den ihr die Kürze der Zeit – sie konnte nicht länger als drei Tage bleiben –
gestattete, um ihre Theorie zu verdeutlichen.
Und die Schildwache und der säbelbeinige Tambour! – O diesseits des alten Athen
kam ihnen nichts gleich; sie hielten ihre Vorlesungen an alle Kommenden und
Gehenden unter den Stadtthoren und mit derselben Würde wie ein Chrysippus, ein
Crantor unter seinem Porticus.
Der Gastwirth mit seinem Hausknecht zur Linken hielt seine Vorlesung in dem
gleichen Stil – unter der Halle oder dem Thorweg seines Stallhofes; – seine
Frau die ihrige etwas abgeschlossener in einem hinteren Zimmer. Jedermann strömte
zu ihren Reden; nicht untereinander – sondern bald zu dieser bald zu jenem,
wie dies bei solchen Dingen stets der Fall ist, wo Glaube und Leichtgläubigkeit
führten. Mit einem Wort jeder Straßburger drängte sich nach Wissen, und jeder
Straßburger erhielt auch das Wissen, dessen er bedurfte.
Für alle Beweisführungen aus der Naturphilosophie ist die Thatsache bemerkenswerth,
daß sobald das Trompetersweib die Privatstunde, welche sie der Aebtissin von
Quedlinburg gab, beendigt hatte, und nun öffentlich zu sprechen begann, was
sie von einem Stuhl in der Mitte des Paradeplatzes aus that – sie die anderen
Redner dadurch wesentlich beeinträchtigte, daß sie sofort das feinste Publikum
von Straßburg um sich versammelte. – Freilich (ruft Slawkenbergius aus) wenn
ein über Philosophie Sprechender über eine Trompete verfügt, wie kann da ein
Nebenbuhler in der Wissenschaft beanspruchen, sich neben ihm noch Gehör zu verschaffen?
Während die Ungelehrten mittelst dieser Kanäle der Mittheilung auf den Grund
des Brunnens zu kommen bemüht waren, wo die Wahrheit ihren kleinen Hof hält,
– versuchten die Gelehrten es auf ihre Weise sie durch die Röhren dialektischer
Induction herauszupumpen; – sie befaßten sich nicht mit Tatsachen, – sie raisonnirten.
Kein Beruf würde auch wirklich mehr Licht über diese Sache verbreitet haben
als die Facultät, – wären nicht alle ihre Disputationen in Fleisch- und Wassergeschwülsten
verlaufen, die sie um Alles in der Welt nicht vermeiden konnten. – Aber des
Fremdlings Nase hatte weder mit Fleisch- noch mit Wassergeschwülsten etwas zu
schaffen.
Doch wurde zur Genüge nachgewiesen, daß eine so gewaltige Masse heterogenen
Stoffes sich, solange sich das Kind noch in utero befand, nicht an der Nase
sammeln und vereinigen konnte, ohne das statische Gleichgewicht des Fötus zu
zerstören und ihn neun Monate vor der Zeit mit einem Ruck auf den Kopf zu stellen.
Die Opponenten gaben die Theorie zu, – aber sie bestritten die Folgerungen.
Und, sagten sie, wenn nicht ein gehöriger Vorrath von Blut- und Pulsadern u.
s. w. für die richtige Ernährung einer solchen Nase schon in die ersten Stamina
oder Grundzüge ihrer Bildung gelegt worden wäre, ehe sie zur Welt kam, so hätte
sie (den Fall einer Fleischgeschwulst ausgenommen) später nicht regelmäßig wachsen
und unterhalten werden können.
Dies wurde in einer Dissertation über die Nahrung und die Wirkung, welche die
Nahrung auf die Ausdehnung der Gefäße, sowie auf das Wachsthum und die Verlängerung
der Muskeltheile der größten Größe und denkbarsten Ausdehnung übe, widerlegt.
– Im Uebermaß dieser Theorie verstiegen sie sich zu der Behauptung, es liege
in der Natur kein Hinderniß vor, warum eine Nase nicht so groß werden könne,
wie der Mensch selbst.
Die Gegner überzeugten die Welt, daß ein solches Ereigniß nie eintreten könne,
solange ein Mensch nur einen Magen und ein Paar Lungen habe; – denn, sagten
sie, da der Magen das einzige Organ zur Aufnahme der Nahrung und Verwandlung
derselben in Milchsaft, und die Lunge die einzige Maschine zur Blutbereitung
sei, – so könne jener nicht mehr verarbeiten, als ihm der Hunger zuführe; und
wenn man auch zugebe, daß ein Mensch seinen Magen überladen könne, so habe die
Natur doch der Lunge Grenzen gesetzt, – diese Maschine sei von einer bestimmten
Größe und Stärke und könne in einer gegebenen Zeit nur eine gewisse Menge verarbeiten,
– das heißt, sie könne eben nur soviel Blut bereiten, als für einen einzigen
Menschen hinreichend sei und nicht mehr; so daß wenn die Nase so groß wäre wie
der Mensch, nothwendig der Eine oder die Andere zu kurz kommen müsse; und da
Beide unmöglich erhalten werden könnten, müsse entweder die Nase von dem Menschen
abfallen oder der Mensch von der Nase.
Die Natur bequemt sich Notfällen immer an, riefen die Widersacher, was würde
denn sonst aus einem ganzen Magen und einer ganzen Lunge in einem halben Menschen,
das heißt, wenn ihm unglücklicherweise beide Füße abgeschossen wären?
Er stirbt an Plethora (Ueberfülle), erwiderten jene, – oder er spuckt Blut und
stirbt nach vierzehn Tagen oder drei Wochen an der Auszehrung.
Das geschieht aber nicht, entgegnen die Ersteren.
Aber es müßte geschehen, sagten die Letzteren.
Die wißbegierigeren und energischeren Forscher
auf dem Gebiete der Natur und
ihrer Thaten gingen zwar eine gute Strecke zusammen, doch trennten sie sich
über die Nase selbst fast so weit als die Mitglieder der Facultät.
Sie sprachen sich freundschaftlich dahin aus, daß in den verschiedenen Theilen
des menschlichen Körpers eine richtige, geometrische Ordnung und Auftheilung
im Verhältniß zu ihren verschiedenen Bestimmungen, Zwecken und Obliegenheiten
bestehe, über die sie nur innerhalb gewisser Grenzen hinausgehen könne; – daß
die Natur sich allerdings Spiele erlaube – aber doch nur innerhalb eines gewissen
Kreises; – freilich über den Durchmesser dieses Kreises konnten sie sich nicht
vereinigen.
Die Logiker hielten sich strenger an den vorliegenden Fall als die übrigen Classen
der Literaten; – das Wort Nase war ihr erstes und letztes Wort; und hätte sich
nicht einer ihrer fähigsten Köpfe gleich bei Beginn des Kampfes in eine petitio
principii verrannt, so wäre der Streit sofort festgestellt worden.
Eine Nase, folgerte der Logiker, kann nicht bluten ohne daß sie Blut, – und
zwar nicht nur Blut – sondern darin circulirendes Blut hat, um jene Erscheinung
in einer Folge von Tropfen zu bewirken – (ein Strom ist nur eine raschere Folge
der Tropfen, und somit darin einbegriffen, sagte er) – da nun der Tod, fuhr
der Logiker fort, nichts anders ist als das Erstarren des Bluts –
Ich läugne diese Begriffsbestimmung: – der Tod ist die Trennung der Seele vom
Körper, sagte sein Gegner. – Dann sind wir über unsere Waffen nicht einig, erwiderte
der Logiker. – Dann hat auch der Streit ein Ende, versetzte der Andere.
Die Verfechter des römischen Rechts waren noch schneidiger, was sie vorbrachten
war mehr eine Art Beschluß – als eine Disputation.
Wenn, sagten sie, eine so ungeheuerliche Nase eine wirkliche Nase gewesen wäre,
so hätte man sie nicht in der bürgerlichen Gesellschaft dulden können; – war
sie aber falsch, so war der Versuch, die Gesellschaft durch solche unächte Zeichen
und Erscheinungen zu täuschen, eine noch stärkere Verletzung ihrer Rechte und
hätte um so weniger Gnade verdient.
Der einzige Einwurf gegen diese Aufstellung war, daß, wenn sie etwas bewies,
sie bewies, daß des Fremdlings Nase weder ächt noch falsch war.
Hierdurch ward Raum zur Fortsetzung des Streits gewonnen. Die Anwälte des geistlichen
Gerichtshofs stellten den Satz auf, daß nichts im Wege stehe, hierüber ein Decret
zu erlassen, da der Fremdling ja ex mero motu zugestanden habe, er sei auf dem
Vorgebirge der Nasen gewesen und habe dort eine der schönsten erhalten u. s.
w. – Hierauf wurde erwidert, es sei gar nicht möglich, daß es ein Vorgebirg
der Nasen gebe, ohne daß die Gelehrten wüßten, wo es läge. Der Commissär des
Bischofs von Straßburg griff die Anwälte an und erklärte die Sache in einer
Abhandlung über sprichwörtliche Phrasen, worin er zeigte, daß das Vorgebirg
der Nasen nur ein allegorischer Ausdruck sei, der nicht mehr heißen solle, als
daß die Natur ihm eine lange Nase verliehen habe: zum Beweis dafür führte er
mit großer Gelehrsamkeit die hier unten bezeichneten Autoritäten an, welche
den Streitpunkt unzweifelhaft entschieden hätten, hätte es sich nicht gezeigt,
daß ein Streit in Betreff einiger Freiheiten von Dekanats- und Kapitel-Gütern
19 Jahre früher gleichfalls dadurch entschieden worden war.
Es geschah nun –
ich kann nicht sagen zum Nachtheil für die Wahrheit, weil diese dadurch in einer
anderen Richtung wieder verstärkt wurde, – daß die zwei Universitäten Straßburgs,
– die im Jahr 1538 durch den Rathsherrn Jacobus Sturmius gestiftete Lutherische,
– und die durch den Herzog Leopold von Oesterreich gegründete Katholische, –
damals gerade die ganze Tiefe ihrer Gelehrsamkeit (mit Ausnahme desjenigen Theils,
der durch die Unterrockschlitze der Aebtissin von Quedlinburg in Anspruch genommen
wurde) darauf verwendeten, – sich über Martin Luthers Verdammniß endgiltig auszusprechen.
Die katholischen Theologen hatten es unternommen, a priori zu beweisen, daß
Luther in Folge des notwendigen Einflusses der Planeten am 22. Tag des Octobers
1483 – da sich der Mond im zwölften, Jupiter, Mars und Venus im dritten, Sonne,
Saturn und Merkur im vierten Hause befanden, – selbstverständlich und unvermeidlich
verdammt sein müsse und daß seine Lehren deshalb in direkter Schlußfolge gleichfalls
verdammte Lehren sein müßten.
Aus der Betrachtung seines Horoskops, wobei fünf Planeten zugleich mit dem Scorpion
(wenn mein Vater dies las, pflegte er stets den Kopf zu schütteln) im neunten
Hause, das die Araber der Religion zuweisen, im Einklang waren, – ergab sich,
daß sich Martin Luther keinen Deut um die Sache kümmerte; – und aus dem in Conjunction
mit Mars gebrachten Horoskop wiesen
sie gleichfalls klar nach, daß er unter Flüchen und Lästerungen sterben müsse;
und daß dann seine Seele mit solchem Mehlthau belastet (und in Schuld getaucht)
vor dem Wind in das Meer des höllischen Feuers segeln müsse.
Der kleine Einwurf, den die lutherischen Doctoren hiegegen erhoben, bestand
darin, daß es ganz sicher die Seele eines anderen am 22. October 1483 geborenen
Mannes sein müsse, die auf diese Art vor dem Wind dahin zu fahren genöthigt
sei, – insofern aus den Geburtsregistern von Eisleben in der Grafschaft Mannsfeld
sich ergebe, daß Luther nicht im Jahr 1483 geboren sei, sondern 1484; und nicht
am 22. Tag des Octobers, sondern am 10. des Novembers, am Vorabend des Martinstags,
woher er auch den Namen Martin erhalten habe.
(– Ich muß meine Uebersetzung hier einen Augenblick unterbrechen; denn thät
ich es nicht – so bin ich überzeugt, würde ich meine Augen ebenso wenig schließen
können wie die Aebtissin von Quedlinburg. – Ich muß dem Leser nämlich sagen,
daß mein Vater diese Stelle aus Slawkenbergius meinem Onkel Toby niemals ohne
triumphirenden Ausdruck vorlas, – nicht über meinen Onkel Toby, denn dieser
erhob niemals eine Einwendung dagegen, – sondern über die ganze Welt. Du siehst
jetzt, Bruder Toby, pflegte er zu sagen, indem er die Augen zum Himmel erhob,
daß Taufnamen keineswegs so gleichgiltige Dinge sind; – hätte Luther einen anderen
Namen bekommen als Martin, so wäre er in alle Ewigkeit verdammt worden; – nicht
daß ich Martin für einen besonders guten Namen hielte, pflegte er hinzuzusetzen,
– weit entfernt, – er ist etwas besser als ein gleichgiltiger, aber nicht viel
– aber so wenig er auch zu bedeuten hat, so kann man doch sehen – daß er Luthern
von Vortheil war.
Mein Vater wußte so gut wie der beste Logiker, wie schwach dieser Pfeiler seiner
Hypothese war, – aber so ist nun einmal die Schwäche des Menschen: da er ihm
gerade in den Weg kam, so hätte er sich um sein Leben nicht enthalten können,
Gebrauch davon zu machen; und gewiß geschah es aus diesem Grunde, daß, obschon
es in Hafen Slawkenbergius' Dekaden noch viele Erzählungen gab, die ganz ebenso
unterhaltend waren wie die, welche ich hier übersetze, mein Vater doch keine
derselben auch nur mit halb dem Vergnügen las wie diese; – sie schmeichelte
zugleich zweien seiner seltsamsten Hypothesen – der Namen- und der Nasen-Hypothese.
– Ich darf sagen, er hätte alle Bücher der
Alexandrinischen
Bibliothek lesen können, – wenn nicht das Schicksal anderweitig über sie
verfügt hätte, – ohne daß er ein Buch oder eine Stelle in einem Buche gefunden
hätte, die so wie diese zwei Nägel mit einem Schlag auf den Kopf traf.)
Die zwei Universitäten Straßburgs arbeiteten stark an dieser Schifffahrt Luther's.
Die protestantischen Doctoren hatten nachgewiesen, daß er gar nicht vor dem
Wind segelte, wie die katholischen behauptet hatten; und da jedermann wußte,
daß man dem Wind nicht gerade entgegen segeln kannte, so waren sie im Begriff
festzustellen, um wie viel Striche er, falls er überhaupt segelte, außerhalb
der Linie gewesen sei; ob Martin das Cap umsegelt oder an einer Küste unter
dem Wind Anker geworfen habe; und da dies ohne Zweifel eine höchst erbauliche
Forschung war, wenigstens für diejenigen, welche sich auf diese Art von Schifffahrt
verstanden, wären sie trotz der Größe der Nase des Fremdlings damit vorgegangen,
hätte nicht die Größe der Nase des Fremdlings die Aufmerksamkeit der Welt von
dem abgezogen, bei dem sie gerade waren; – es war daher ihres Amts, der Welt
zu folgen.
Die Aebtissin von Quedlinburg und ihre vier Würdenträgerinnen konnten sie nicht
aufhalten; denn da der ungeheure Umfang der Nase des Fremdlings ihre Phantasien
ebenso sehr beschäftigte wie jener Gewissensfall – so erkaltete die Sache mit
den Rockschlitzen; – mit einem Wort, die Setzer erhielten die Weisung ihre Lettern
abzulegen: – alle Streitereien hierüber wurden einstweilen bei Seite gestellt.
Man konnte eine viereckige Mütze mit einer silbernen Troddel darauf gegen eine
Nußschaale wetten, wer errathen würde, auf welche Seite der Nase sich die zwei
Universitäten spalten würden.
Das geht über die Vernunft, riefen die einen Doctoren.
Nein, unter die Vernunft, sagten die anderen.
Es ist glaubhaft, behauptete der Eine.
Possen sind's, sagte der Andere.
Möglich ist's, rief dieser.
Es ist ganz unmöglich, erwiderte jener.
Gottes Macht ist unendlich, erklärten die Nasenmänner, er kann Alles.
Er kann keinen Widerspruch gegen sich selbst begehen, sagten die Antinasenmänner.
Er kann machen, daß der Stoff denkt, sagten die Nasenmänner.
Ja, so gut ihr aus einem Schweinsohr eine Sammtmütze machen könnt, erwiderten
die Antinasenmänner.
Er kann aus zwei Mal zwei Fünf machen, versetzten die katholischen Doctoren.
Nichts nutz! entgegneten die Lutherischen.
Allmacht ist nun einmal Allmacht, sagten die Doctoren, welche für die Wirklichkeit
der Nase einstanden.
Die bezieht sich nur auf mögliche Dinge, versetzten die Lutheraner.
Bei Gott im Himmel! schrien die katholischen Doctoren, Er kann, wenn er es für
passend hält, eine Nase machen, so groß wie der Straßburger Münsterthurm.
Da nun aber der Straßburger Thurm der dickste und höchste aller Kirchthürme
der Welt ist, so läugneten die Antinasenmänner, daß man eine Nase von 575 geometrischer
Fußlänge tragen könne, wenigstens nicht ein Mann von mittlerer Größe. –
Die katholischen Doctoren schwuren, er könne es: – die lutherischen sagten:
Nein, er könne es nicht.
Hieraus entspann sich ein neuer Streit über die Ausdehnung und die Beschränkung
der moralischen und natürlichen Eigenschaften Gottes, den sie längere Zeit verfolgten.
– Der Streit führte sie ganz natürlich
zu
Thomas Aquinas, und von Thomas Aquinas
zum
Teufel.
In diesem Streit hörte man nichts mehr von der Nase des Fremdlings; – sie that
jetzt nur noch den Dienst einer Fregatte, welche jene in den Golf der scholastischen
Theologie schleppte, und dann segelten sie alle vor dem Wind.
Je weniger wirkliches Wissen, desto mehr Hitze und Aufregung.
Der Streit über Attribute, – statt die Einbildungskraft der Straßburger abzukühlen,
– entflammte sie im Gegentheil in einem außerordentlichen Grade. – Je weniger
sie von der Sache verstanden, desto größer war ihre Verwunderung darüber; –
sie sahen sich in allen Nöthen unbefriedigten Verlangens – sahen ihre Doctoren,
die Parchmentarier (Pergamentisten), die Brassarier (Messingisten), die Turpentarier
(Terpentinisten) auf der einen Seite, – die katholischen Doctoren auf der andern,
wie Pentagruel und seine Gefährten im Suchen
nach dem Orakel der Flasche, sämmtliche außer Sicht in See. (...)
aus
"Das Leben
und die Ansichten Tristram Shandys" von Lawrence Sterne
aus dem Englischen von A. Seubert
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