Der Beginn der
Wahrnehmung
Im bei weitem größten Teil des östlichen Europa wohnen
Menschen, die eine slawische Sprache sprechen. Aber woher die Slawen eigentlich
gekommen sind, ist bis heute ungeklärt. Die Lokalisierung ihrer "Urheimat" ist
umstritten, und auch über Zeitpunkt und Verlauf ihrer Wanderungen diskutieren
Historiker, Archäologen und Linguisten. Neue archäologische Funde und Methoden
wie die Analyse der Jahresringe von Baumstämmen (Dendrochronologie), die vor
Jahrhunderten verarbeitet wurden, haben zu neuen Theorien geführt. Hinzu kommt,
daß Slawen - der Begriff taucht im 6. Jahrhundert zum ersten Mal in den
schriftlichen Quellen auf - nicht die alleinigen Bewohner dieser europäischen
Großregion waren. Neben ihnen lebten baltische und finno-ugrische Stämme im
Nordosten, iranische und turksprachige Völker im Süden sowie germanische und
romanische Restgruppen seit der Völkerwanderung in Mitteleuropa und auf dem
Balkan - eine schwer zu ordnende oder zu analysierende Vielfalt, von der wir
bisher nur einzelne Puzzlestücke kennen. Glücklicherweise steht der Forschung
ein Dokument zur Verfügung, das zwar zahlreiche Rätsel birgt, aber immerhin eine
Ahnung davon vermittelt, wie vielfältig und groß die Welt des Ostens war. Es
entstand etwa in der Mitte des 9. Jahrhunderts, als ein der lateinischen Sprache
mächtiger und schriftkundiger Mann, der als der anonyme Bayerische Geograph in
die Forschung eingegangen ist, es für notwendig und nützlich hielt, eine
merkwürdig anmutende Namenliste zu verfassen, die mit den Worten beginnt:
Descriptio civitatum et regionum ad septentrionalem plagam Danubii -
Beschreibung der Burgen und Länder am nördlichen Ufer der Donau. Diese Liste
beschränkt sich keineswegs auf den Donauraum, sondern erfaßt den gesamten
europäischen Osten zwischen
Donau,
Elbe und Wolga sowie zwischen Ostsee und
Schwarzem Meer. Dieses später von anderer Hand ergänzte älteste Zeugnis der
Wahrnehmung des gesamten Ostens ist vermutlich am Hof der ostfränkischen
Herrscher in Regensburg zusammengetragen worden. Das Dokument gibt zu erkennen,
daß die Franken, die mit
Karl dem Großen den römischen Kaisertitel errungen
hatten und seitdem in Konkurrenz zu den byzantinischen, oströmischen Kaisern in
Konstantinopel standen, Interesse hatten an der Gestaltung dieses Raumes, der
seit der Antike als Land der Barbaren gegolten hatte, in den nun aber das
Christentum getragen werden sollte, denn dessen Verbreitung galt als die
vornehmste Aufgabe des römischen Kaisers. Freilich ließen sich unter dem
Deckmantel der Mission auch machtpolitische Ziele verfolgen. Die Liste des
Bayerischen Geographen ist wenig beredsam, denn sie beschränkt sich im
wesentlichen darauf, die osteuropäischen Regionen und die jeweilige Zahl ihrer
Burgen mit den sie umgebenden Siedlungsgefilden zu benennen. So spröde der Text
auch wirkt, für die Historiker Osteuropas und für die Namenkundler stellt er
eine wahre Schatztruhe dar, denn er ist von unermeßlichem Wert für die
Rekonstruktion der ethnischen und politischen Verhältnisse am Vorabend einer
Epoche, in der die "Grauzone" (Alexander Gieysztor) im Osten Europas innerhalb
weniger Jahrzehnte mächtige Herrschaftsgebilde und Fürstenstaaten hervorbringen
sollte. Der Bayerische Geograph eignet sich aber auch hervorragend als Leitfaden
für eine erste Bestandsaufnahme des Ostens, für eine schlaglichtartige
Beleuchtung einzelner Siedlungsplätze und Regionen, zu denen die Wissenschaftler
inzwischen Informationen zusammengetragen haben, die vielleicht auch schon dem
Bayerischen Geographen zur Verfügung standen, die aber in der Niederschrift
nicht festgehalten sind. Die Überlieferung umfaßt ein Gebiet, dessen Grenze von
der unteren Elbe an der südlichen und östlichen Küste der Ostsee folgt, bis sie
im Osten die Wolga erreicht und mit deren Lauf an das Kaspische Meer und ins
Vorland des Kaukasus gelangt; sie schließt die Steppengebiete nördlich des
Schwarzen Meeres bis zum Mündungsdelta der Donau ein, der sie flußaufwärts bis
an die damalige Grenze des Frankenreichs folgt. Entlang dieser Scheidelinie
gelangt sie an den Flüssen Saale und Elbe in nördlicher Richtung zu ihrem
Ausgangspunkt zurück.
Die Bestandsaufnahme beginnt in finibus Danorum - an der Grenze des Frankenreichs
zu Dänemark - und damit in einer Region, die an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert
zum Aufmarschgebiet Kaiser Karls des Großen geworden war, der nach der Unterwerfung
der Sachsen die Verhältnisse auch in den nach Norden und Osten anschließenden
Ländern zu stabilisieren suchte. Hier lebten die slawischen Abodriten (nortabtrezi)
und weiter östlich die mit ihnen verfeindeten Wilzen (Vuilzi). Auf deren politische
und militärische Verhältnisse haben die Franken erheblichen Einfluß genommen,
weshalb diese Völker in den fränkischen Chroniken jener Zeit auch mehrfach genannt
sind. An der Spitze der Abodriten, die sich aus zwei Teilstämmen zusammensetzten,
stand ein Ober- oder Samtherrscher, der seine Stellung aber nur mit Unterstützung
der Franken behaupten konnte. Am Ende des 10. Jahrhunderts wird erwähnt, daß
dieser Herrscher in der Michelenburg (= Mecklenburg, eigentlich "mächtige Burg")
residierte. Eine fürstliche Herrschaft von überregionaler Bedeutung gab es ferner
im ostholsteinischen Starigard ("Alte Burg", heute Oldenburg) im Land der Wagrier,
die einen der beiden Teilstämme der Abodriten bildeten. Mit den Gegnern der
Franken - den Sachsen und später den Dänen - waren die Wilzen verbündet, ein
aus vier Teilstämmen (regiones) und 115 Siedlungsgefilden (civitates) bestehender
Verband, dessen gewählte "Könige" im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts ebenfalls
von den fränkischen Herrschern abhingen. Die Franken hatten ihre Macht hier
zum ersten Mal im Jahr 789 zur Geltung gebracht, als Karl der Große mit seinem
Heer vor die Burg des durch Herkunft und Alter ausgezeichneten Fürsten Dragovit
gezogen war, der sich ihm schließlich unterworfen hatte. Damals waren, wie Karls
Biograph Einhard zu berichten weiß, zahlreiche slawische Führer Dragovits Beispiel
gefolgt. Zog man zu Beginn des 9. Jahrhunderts entlang der von den Abodriten
beherrschten Küste der Ostsee nach Osten, dann gelangte man an den Handelsort
Reric. Dieser findet in den fränkischen Reichsannalen zum Jahr 808 zum ersten
Mal Erwähnung. Reric, bei dem heutigen Ort Groß Strömkendorf an der Wismarer
Bucht unweit der Mecklenburg gelegen, war ein küstennaher Handelsplatz wie viele
andere rings um die Ostsee. Funde belegen, daß die Bewohner, unter denen die
erfahrenen Ostseekaufleute wohl die wichtigste Gruppe stellten, eine ethnisch
gemischte Gemeinschaft bildeten. Einen weiteren multiethnischen Seehandelsplatz
dieser Art, der dank zahlreicher archäologischer Funde bezeugt ist, gab es seit
der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts bei Ralswiek auf der Insel Rügen. Die
skandinavischen Händler, die sich hier einen Hafen gebaut hatten, unterhielten
ebenso wie die fremden Kaufleute auf der Insel Wollin (in Wollin an der Dievenow,
einem Zufluß der Oder in die Ostsee) lebhafte Kontakte zur slawischen Bevölkerung
im Hinterland. Wie die Oder diente weiter im Osten die Weichsel dem Warentransport
weit ins Binnenland. Unweit der Weichselmündung, an der für den Austausch besonders
günstigen Grenze zwischen Slawen und baltischen Pruzzen, befand sich der Handelsort
Truso (beim heutigen Janów Pomorski nahe Elbing). In das Gebiet der Pruzzen
sowie in das nördlich angrenzende Land der Kuren waren nach Ausweis der archäologischen
Funde schon im 7. und 8. Jahrhundert Skandinavier
aus Mittelschweden und von der Insel Gotland gekommen, die für einige Zeit eine
schwedische Tributherrschaft in Kurland errichtet hatten. Lebhafte Handelskontakte
entwickelten sich auch im Gebiet der Semgallen, wo sich über die westliche Düna
der Wasserweg in die zunächst ebenfalls von Balten besiedelte Region des oberen
Dnjepr öffnete, in die aber spätestens seit Beginn des 9. Jahrhunderts von Süden
her Slawen einwanderten. Große Gräberfelder bei Gnesdowo (nahe Smolensk) bezeugen
hier eine hohe Siedlungsdichte und die allmähliche Überschichtung des baltischen
Elements durch die zuwandernden Slawen.
Folgte man, in den Finnischen Meerbusen einbiegend, der Küste nach Norden und
Osten, gelangte man zu den ostseefinnischen Stämmen der Liven, Tschuden und
Wesen. Wesen und Tschuden sowie die slawischen Kriwitschen und Slowenen (am
Ilmensee) und die ugrischen Merier an der oberen Wolga bildeten eine Reihe von
Stämmen, die um die Mitte des 9. Jahrhunderts einen Tribut an die Waräger (Varjagi)
oder Rus zahlten. Mit den Rus, die "von jenseits des Meeres" kamen und im Zusammenhang
mit der Herrschaftsbildung im Gebiet um Kiew wieder auftauchen, waren zweifellos
Skandinavier gemeint. Die finno-ugrischen und slawischen Stämme siedelten entlang
dem Handelsweg zum oberen Lauf der Wolga. Dorthin gelangte man entweder in direkter
Linie auf dem Landweg oder per Schiff von der Ostsee über die Newa, den Ladogasee,
den Wolchow, den Ilmensee und dann über kleinere Wolgazuflüsse. Die Wolga reiste
man dann flußabwärts bis ins Kaspische Meer. Dort lag das Reich der Khasaren,
die ihre Hauptstadt in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts aus dem Kaukasus
(Daghestan) nach Itil an der Wolga verlegt hatten. Daß der Handelsweg zwischen
der Ostsee und dem Kaspischen Meer schon sehr früh erschlossen war, beweisen
Silbermünzen aus dem islamischen Raum, die in Alt Ladoga an der Mündung des
Wolchow in den Ladogasee gefunden wurden. Die jüngste dieser Münzen wurde um
787/88 geprägt. Das paßt gut zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse
im kaukasischen Raum in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, als die Kämpfe
zwischen den Khasaren und dem von Süden her vordringenden
Kalifen
von Bagdad abflauten und die Entwicklung stabiler Fernhandelsbeziehungen
möglich wurde. Nach Westen hin, zu den Byzantinern, standen die Khasaren, die
seit der Mitte des 7. Jahrhunderts ein eigenständiges Khaganat bildeten, schon
länger in lebhaftem Kontakt, was nicht zuletzt durch eine fürstliche Heirat
bezeugt ist: Die Mutter Kaiser Leons IV., der den Beinamen "der Khasare" trug,
war eine khasarische Prinzessin. In Friedenszeiten nahmen die khasarischen Kontakte
in den islamischen Raum zu. Muslimische Kriegergruppen wurden in die militärische
Gefolgschaft des Khagans aufgenommen, und nach und nach traten zahlreiche Mitglieder
der Oberschicht zum Islam über. Aber auch das Christentum, das über die griechischen
Kolonien auf der Krim und entlang der Schwarzmeerküste ins Kaukasusvorland gelangt
war, spielte eine nicht unbedeutende Rolle, und selbst die alten Glaubensvorstellungen
der Turkvölker blieben lebendig. Um 800 traten die Khagane des Khasarenreiches
aber nominell zum jüdischen Glauben über, worin ihnen der größte Teil der Oberschicht
gefolgt sein soll. Es scheint so, als habe man in der khasarischen Hauptstadt
ernsthaft danach gestrebt, die Rolle einer eigenständigen Großmacht zwischen
Byzanz und Bagdad durch die Annahme einer dritten, unabhängigen monotheistischen
Religion zu unterstreichen. Von der Konversion zum Judentum weiß man allerdings
nur aus einem Briefwechsel, der in der Mitte des 10. Jahrhunderts zwischen Chasdai
ibn Schaprut, einem jüdischen Beamten des Kalifen von Córdoba, und dem khasarischen
Khagan Josef geführt wurde; über das jüdische Leben in der khasarischen Gesellschaft
ist dagegen kaum etwas bekannt.
Als der Bayerische Geograph seine Völkerliste verfaßte,
war das Reich der Khasaren jedenfalls eine Großmacht ersten Ranges. Dazu trugen
in erheblichem Maße die Einkünfte aus dem Handel über das Kaspische Meer und
über den Kaukasus ins Kalifat bei. Im weiten Umkreis kontrollierten die Khasaren
die Völker und forderten von ihnen Tribut. Auch die ostslawischen Stämme am
mittleren Dnjepr brachten sie unter ihre Tributherrschaft, wovon die
altrussische Chronik zum Jahr 859 berichtet. Dies ist die Region, in der der
Bayerische Geograph die Ruzzi, Forsderen liudi und Fresiti ansiedelt, was für
die Interpretation der politischen und ethnischen Verhältnisse an den Anfängen
Altrußlands von einiger Bedeutung ist. Bei den Ruzzi handelt es sich zweifellos
um jene namengebenden Rus, die nach Ausweis der altrussischen Chronik "von
jenseits des Meeres" zu den Stämmen im Norden gerufen worden waren. Die beiden
anderen Namen fallen durch eine besondere Lautung auf, die auf eine
germanische
Herkunft hindeutet. Offenbar handelte es sich nicht um drei ethnisch
verschiedene Gruppen, sondern um eine soziale Differenzierung (Forsderen liudi =
"vornehme Leute") oder eine nähere Kennzeichnung der Ruzzi, die an anderer
Stelle "von sich, das heißt von ihrem Volk, sagen, daß sie Rhos heißen". Im Jahr
839 traten diese mit einer byzantischen Gesandtschaft in Ingelheim vor Kaiser
Ludwig den Frommen und baten ihn um Hilfe, da sie ihre Heimat auf direktem Weg
nicht erreichen konnten. Der fränkische Annalist der Jahrbücher von Saint
Bertin, der darüber berichtet, wußte, daß es sich um Schweden handelte und daß
ihr König, der chaganus genannt wurde, sie zu den Byzantinern geschickt habe.
Vieles spricht dafür, daß damit der Khagan der Khasaren gemeint war, dem die
schwedischen Rus Militärdienst leisteten und für den sie Tribute eintrieben. In
der westlichen Hegemonialzone der Khasaren lebten in den Steppen nördlich des
Schwarzen Meeres die nomadischen Alt-Ungarn, die Vorfahren der später ins
Karpatenbecken abgewanderten Ungarn. Nicht unter ihrer Eigenbezeichnung magyar,
die aus dem Finno-Ugrischen stammt, sondern unter den auch für andere
Steppenvölker geläufigen Bezeichnungen "Hunnen", "Skythen" oder "Türken"
tauchten sie seit 827 im Blickfeld der Byzantiner und Ostfranken auf. Ihre
Wohngebiete bezeichneten sie als "Land zwischen den Strömen" (Etelköz), was sich
auf die Flüsse Don und Dnjepr oder Dnjepr und untere Donau beziehen könnte. Nach
Südwesten schloß sich das Gebiet der Bulgaren (Vulgarii regio) oder besser der
Protobulgaren (im Sinne ihrer Unterscheidung von den späteren slawischen
Bulgaren) an. Ursprünglich waren diese ein mittelasiatisches Turkvolk, das unter
dem Khagan Kubrat (Kuvrat) zwischen Kuban und Asowschem Meer ein Großreich
gebildet hatte, das aber nach dem Tod des Khagan (642) zerfiel und von den
Khasaren endgültig zerstört wurde. Unter dem Druck der Khasaren floh ein Teil
der Bulgaren unter Kubrats Sohn Asparuch nach Westen und erschien um 678/79 an
der unteren Donau; ein anderer Teil wanderte entlang der Wolga nach Norden, wo
später das wolgabulgarische Reich um das Handelszentrum Bolgar entstand.
Die
westlichen, nach Ausweis ihrer wenigen Schriftzeugnisse noch turksprachigen
Bulgaren besetzten gegen byzantinischen Widerstand Provinzen des Reiches und
unterwarfen die dort lebenden slawischen Gruppen, wobei - unter Beibehaltung des
Namens der nomadisch-kriegerischen Oberschicht - ein Prozeß der Slawisierung
einsetzte. Auf die Fortdauer der nomadischen Lebensweise dürfte sich die
lapidare Feststellung des Bayerischen Geographen beziehen, ihr Land sei groß und
zahlreich bevölkert, aber es habe nur fünf Burgen, weil es nicht Sache der
Bulgaren sei, feste Siedlungen zu haben. Dennoch erwuchs den Byzantinern im 9.
Jahrhundert in ihnen ein gefährlicher Gegner, der auch für die großräumige, von
Franken und Byzantinern bestimmte Mächtekonstellation im Donauraum von Bedeutung
war. Den Bulgaren folgen in der Liste des Bayerischen Geographen die
Osterabtrezi. Wahrscheinlich sind diese mit einem in anderen Quellen als
Abodriti bezeichneten slawischen Stamm an der Donau identisch, der seit 818
durch die bulgarische Expansion bedroht war und infolgedessen bei den Franken
Schutz suchte. Da es auch an der Ostsee Abodriten gab, sah sich der Geograph zu
der Kennzeichnung "Nort-" und "Oster-" veranlaßt. Das Beispiel der
Abodritenstämme macht deutlich, daß manche Gruppen in ihrer älteren Heimat einen
gemeinsamen Namen getragen hatten, bevor sie durch die Wanderungen weit
auseinandergerissen wurden.
Donauaufwärts schlossen sich die
Mährer an,
die 822 erstmals bei Kaiser Ludwig dem Frommen vorstellig geworden waren. An
diese grenzten wiederum die
Böhmen, gegen die sich in den Jahren 805 und 806
fränkische Kriegszüge gerichtet hatten. Im Jahr 805 war auch ein für die
Erforschung der Verhältnisse an der fränkischen Ostgrenze bedeutendes Dokument
verfaßt worden, das "Kapitular von Diedenhofen", das den Handelsverkehr in die
Länder der "Slawen und Awaren" regelte und dabei einen Völkernamen gebrauchte,
der beim Bayerischen Geographen einige Jahrzehnte später gar nicht mehr
auftaucht, da die zwischen Donau und Theiß gelegenen letzten Reste des einstmals
großen Awarischen Reiches Ende des 8. Jahrhunderts den Angriffen der Karolinger
zum Opfer gefallen waren. Der Name Avaria haftete zwar noch eine Zeitlang der
Landschaft zwischen Enns und Wienerwald an, bezeichnete aber keinen
eigenständigen politischen Organismus mehr.
(Aus "Die Deutschen und das europäische Mittelalter" von Christian Lübke.)
Der Osten - die neue Dimension
Europas
Mit der Wende von 1989 ist die ursprüngliche Vielgestaltigkeit des
ehemals grauen "Ostblocks" wieder hervorgetreten, dessen Geschichtsraum nicht
zuletzt durch seinen deutschen Anteil geprägt wurde. Weit jenseits der älteren
Geringschätzung der slawischen Völker durch ihre deutschen Nachbarn und zugleich
bahnbrechend in der Überwindung national begrenzter Geschichtsschreibung
unternimmt der Band eine Gesamtschau, in der sich die Wurzeln der heutigen
Völker und Staaten des östlichen Europa im Mittelalter offenbaren, als vor allem
im zehnten Jahrhundert Polen, Tschechen und Ungarn wie auch Alt-Russland ihre
Identitäten als Fürstenstaaten und Kulturen gewannen.
Die mittelalterliche Geschichte des weiten Landes im Osten Europas ist eine
Geschichte der Bildung von Stämmen, Völkern und Nationen und ihrer Europäisierung.
Es ist eine Geschichte, an der Kaiser und
Päpste
mitwirkten, kriegerische Wikinger und Tataren, christliche Missionare und Kreuzritter,
wagemutige Fernhändler, Städtegründer und bäuerliche Kolonisten. Tapfere Fürsten
und demütige Märtyrer, glorreiche Siege und vernichtende Niederlagen lieferten
den Stoff für Legenden, die bis heute die historische Erinnerung der slawischen
und baltischen Völker und der Ungarn prägen.
Reichhaltig mit Abbildungen und Karten versehen,
zeichnet der Band die Geschichte des gesamten Raumes zwischen Ostsee und
Schwarzem Meer, Donau und Wolga nach.
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