(...)
Adam

Auf Ehr! Gebt acht, Ihr sollt zufrieden sein.
- Frau Marthe Rull! Bringt Eure Klage vor.

Frau Marthe
Ich klag, Ihr wißts, hier wegen dieses Krugs;
Jedoch vergönnt, daß ich, bevor ich melde,
Was diesem Krug geschehen, auch beschreibe,
Was er vorher mir war.

Adam
Das Reden ist an Euch.

Frau Marthe
Seht ihr den Krug, ihr wertgeschätzten Herren?
Seht ihr den Krug?

Adam
O ja, wir sehen ihn.

Frau Marthe
Nichts seht ihr, mit Verlaub, die Scherben seht ihr;
Der Krüge schönster ist entzwei geschlagen.
Hier grade auf dem Loch, wo jetzo nichts,
Sind die gesamten niederländischen Provinzen
Dem span'schen Philipp übergeben worden.
Hier im Ornat stand Kaiser Karl der Fünfte:
Von dem seht ihr nur noch die Beine stehn.
Hier kniete Philipp und empfing die Krone;
Der liegt im Topf, bis auf den Hinterteil,
Und auch noch der hat einen Stoß empfangen.
Dort wischten seine beiden Muhmen sich,
Der Franzen und der Ungarn Königinnen,
Gerührt die Augen aus; wenn man die eine
Die Hand noch mit dem Tuch empor sieht heben,
So ists, als weinete sie über sich.
Hier im Gefolge stützt sich Philibert,
Für den den Stoß der Kaiser aufgefangen,
Noch auf das Schwert; doch jetzo müßt er fallen,
So gut wie Maximilian: der Schlingel!
Die Schwerter unten jetzt sind weggeschlagen.
Hier in der Mitte, mit der heil'gen Mütze,
Sah man den Erzbischof von Arras stehn;
Den hat der Teufel ganz und gar geholt,
Sein Schatten nur fällt lang noch übers Pflaster.
Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten,
Mit Hellebarden, dicht gedrängt, und Spießen,
Hier Häuser, seht, vom großen Markt zu Brüssel,
Hier guckt noch ein Neugier'ger aus dem Fenster:
Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.

Adam
Frau Marth! Erlaßt uns das zerscherbte Paktum,
Wenn es zur Sache nicht gehört.
Uns geht das Loch - nichts die Provinzen an,
Die darauf übergeben worden sind.

Frau Marthe
Erlaubt! Wie schön der Krug, gehört zur Sache!
Den Krug erbeutete sich Childerich,
Der Kesselflicker, als Oranien
Briel mit den Wassergeusen überrumpelte.
Ihn hatt ein Spanier, gefüllt mit Wein,
Just an den Mund gesetzt, als Childerich
Den Spanier von hinten niederwarf,
Den Krug ergriff, ihn leert' und weiterging.

Adam
Ein würd'ger Wassergeuse.

Frau Marthe
Hierauf vererbte
Der Krug auf Fürchtegott, den Totengräber;
Der trank zu dreimal nur, der Nüchterne,
Und stets vermischt mit Wasser aus dem Krug.
Das erstemal, als er im Sechzigsten
Ein junges Weib sich nahm; drei Jahre drauf,
Als sie noch glücklich ihn zum Vater machte;
Und als sie jetzt noch funfzehn Kinder zeugte,
Trank er zum dritten Male, als sie starb.

Adam
Gut. Das ist auch nicht übel.

Frau Marthe
Drauf fiel der Krug
An den Zachäus, Schneider in Tirlemont,
Der meinem sel'gen Mann, was ich euch jetzt
Berichten will, mit eignem Mund erzählt.
Der warf, als die Franzosen plünderten,
Den Krug, samt allem Hausrat, aus dem Fenster,
Sprang selbst, und brach den Hals, der Ungeschickte,
Und dieser irdne Krug, der Krug von Ton,
Aufs Bein kam er zu stehen, und blieb ganz.

Adam
Zur Sache, wenns beliebt, Frau Marthe Rull! Zur Sache!

Frau Marthe
Drauf in der Feuersbrunst von sechsundsechzig,
Da hatt ihn schon mein Mann, Gott hab ihn selig -

Adam
Zum Teufel! Weib! So seid Ihr noch nicht fertig?

Frau Marthe
- Wenn ich nicht reden soll, Herr Richter Adam,
So bin ich unnütz hier, so will ich gehn,
Und ein Gericht mir suchen, das mich hört.

Walter
Ihr sollt hier reden: doch von Dingen nicht,
Die Eurer Klage fremd. Wenn Ihr uns sagt,
Daß jener Krug Euch wert, so wissen wir
So viel, als wir zum Richten hier gebrauchen.

Frau Marthe
Wie viel ihr brauchen möget, hier zu richten,
Das weiß ich nicht, und untersuch es nicht;
Das aber weiß ich, daß ich, um zu klagen,
Muß vor euch sagen dürfen, über was.

Walter
Gut denn. Zum Schluß jetzt. Was geschah dem Krug?
Was? - Was geschah dem Krug im Feuer
Von Anno sechsundsechzig? Wird mans hören?
Was ist dem Krug geschehn?

Frau Marthe
Was ihm geschehen?
Nichts ist dem Krug, ich bitt euch sehr, ihr Herren,
Nichts Anno sechsundsechzig ihm geschehen.
Ganz blieb der Krug, ganz in der Flammen Mitte,
Und aus des Hauses Asche zog ich ihn
Hervor, glasiert, am andern Morgen, glänzend,
Als käm er eben aus dem Töpferofen.

Walter
Nun gut. Nun kennen wir den Krug. Nun wissen
Wir alles, was dem Krug geschehn, was nicht.
Was gibts jetzt weiter?

Frau Marthe
Nun, diesen Krug jetzt, seht - den Krug,
Zertrümmert einen Krug noch wert, den Krug
Für eines Fräuleins Mund, die Lippe selbst
Nicht der Frau Erbstatthalterin zu schlecht,
Den Krug, ihr hohen Herren Richter beide,
Den Krug hat jener Schlingel mir zerbrochen.

Adam
Wer?

Frau Marthe
Er, der Ruprecht dort.

Ruprecht
Das ist gelogen, Herr Richter.

Adam
Schweig Er, bis man Ihn fragen wird.
Auch heut an Ihn noch wird die Reihe kommen.
- Habt Ihrs im Protokoll bemerkt?

Licht
O ja.

Adam
Erzählt den Hergang, würdige Frau Marthe.

Frau Marthe
Es war Uhr elfe gestern -

Adam
Wann, sagt Ihr?

Frau Marthe
Uhr elf.

Adam
Am Morgen?

Frau Marthe
Nein, verzeiht, am Abend -
Und schon die Lamp im Bette wollt ich löschen,
Als laute Männerstimmen, ein Tumult,
In meiner Tochter abgelegnen Kammer,
Als ob der Feind einbräche, mich erschreckt.
Geschwind die Trepp eil ich hinab, ich finde
Die Kammertür gewaltsam eingesprengt,
Schimpfreden schallen wütend mir entgegen,
Und da ich mir den Auftritt jetzt beleuchte,
Was find ich jetzt, Herr Richter, was jetzt find ich?
Den Krug find ich zerscherbt im Zimmer liegen,
In jedem Winkel brüchig liegt ein Stück,
Das Mädchen ringt die Händ, und er, der Flaps dort,
Der trotzt, wie toll, Euch in des Zimmers Mitte.

Adam
Ei, Wetter!

Frau Marthe
Was?

Adam
Sieh da, Frau Marthe!

Frau Marthe
Ja! -
Drauf ists, als ob, in so gerechtem Zorn,
Mir noch zehn Arme wüchsen, jeglichen
Fühl ich mir wie ein Geier ausgerüstet.
Ihn stell ich dort zur Rede, was er hier
In später Nacht zu suchen, mir die Krüge
Des Hauses tobend einzuschlagen habe;
Und er, zur Antwort gibt er mir, jetzt ratet -
Der Unverschämte! Der Halunke, der!
Aufs Rad will ich ihn sehen, oder mich
Nicht mehr geduldig auf den Rücken legen;
Er spricht, es hab ein anderer den Krug
Vom Sims gestürzt - ein anderer, ich bitt Euch,
Der vor ihm aus der Kammer nur entwichen;
- Und überhäuft mit Schimpf mir da das Mädchen.

Adam
O! faule Fische - Hierauf?

Frau Marthe
Auf dies Wort
Seh ich das Mädchen fragend an; die steht
Gleich einer Leiche da, ich sage: Eve!
Sie setzt sich. - Ists ein anderer gewesen?
Frag ich. Und »Joseph und Marie«, ruft sie,
»Was denkt Ihr, Mutter, auch?« - So sprich! Wer wars?
»Wer sonst«, sagt sie, - und wer auch konnt es anders?
Und schwört mir zu, daß ers gewesen ist.

Eve
Was schwor ich Euch? Was hab ich Euch geschworen?
Nichts schwor ich, nichts Euch -

Frau Marthe
Eve!

Eve
Nein! Dies lügt Ihr -

Ruprecht
Da hört Ihrs.

Adam
Hund, jetzt, verfluchter, schweig,
Soll hier die Faust den Rachen dir nicht stopfen!
Nachher ist Zeit für dich, nicht jetzt.

Frau Marthe
Du hättest nicht -?

Eve
Nein, Mutter! Dies verfälscht Ihr.
Seht, leid tuts in der Tat mir tief zur Seele,
Daß ich es öffentlich erklären muß:
Doch nichts schwor ich, nichts, nichts hab ich geschworen.

Adam
Seid doch vernünftig, Kinder.

Licht
Das ist ja seltsam.

Frau Marthe
Du hättest mir, o Eve, nicht versichert
Nicht Joseph und Maria angerufen?

Eve
Beim Schwur nicht! Schwörend nicht! Seht, dies jetzt schwör ich,
Und Joseph und Maria ruf ich an.

Adam
Ei, Leutchen! Ei, Frau Marthe! Was auch macht Sie?
Wie schüchtert Sie das gute Kind auch ein!
Wenn sich die Jungfer wird besonnen haben,
Erinnert ruhig dessen, was geschehen,
- Ich sage, was geschehen ist, und was,
Spricht sie nicht, wie sie soll, geschehn noch kann:
Gebt acht, so sagt sie heut uns aus, wie gestern,
Gleichviel, ob sie's beschwören kann, ob nicht.
Laßt Joseph und Maria aus dem Spiele.

Walter
Nicht doch, Herr Richter, nicht! Wer wollte den
Parteien so zweideut'ge Lehren geben.

Frau Marthe
Wenn sie ins Angesicht mir sagen kann,
Schamlos, die liederliche Dirne, die,
Daß es ein andrer als der Ruprecht war,
So mag meinetwegen sie - ich mag nicht sagen, was.
Ich aber, ich versichr es Euch, Herr Richter,
Und kann ich gleich nicht, daß sie's schwor, behaupten,
Daß sie's gesagt hat gestern, das beschwör ich,
Und Joseph und Maria ruf ich an.

Adam
Nun weiter will ja auch die Jungfer -

Walter
Herr Richter!

Adam
Ew. Gnaden? Was sagt er? - Nicht, Herzens-Evchen.

Frau Marthe
Heraus damit! Hast du's mir nicht gesagt?
Hast du's mir gestern nicht, mir nicht gesagt?

Eve
Wer leugnet Euch, daß ichs gesagt -

Adam
Da habt Ihrs.

Ruprecht
Die Metze, die!

Adam
Schreibt auf.

Veit
Pfui, schäm Sie sich.

Walter
Von Eurer Aufführung, Herr Richter Adam,
Weiß ich nicht, was ich denken soll.
Wenn Ihr selbst Den Krug zerschlagen hättet,
könntet Ihr Von Euch ab den Verdacht nicht eifriger
Hinwälzen auf den jungen Mann, als jetzt.
Ihr setzt nicht mehr ins Protokoll, Herr Schreiber,
Als nur der Jungfer Eingeständnis, hoff ich.
Vom gestrigen Geständnis, nicht vom Fakto.
- Ists an die Jungfer jetzt schon, auszusagen?
(...)


(aus "Der zerbrochene Krug" von Heinrich von Kleist)
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