(...) Im Jahre des
Unheils 1455 bestieg der Spanier Alfonso Borgia, ehemaliger Geheimsekretär des
Königs Alfonso von Neapel, unter dem Namen Calixtus III. den Heiligen Apostolischen
Stuhl. Er war siebenundsiebzig Jahre alt, laborierte an einem chronischen Magenleiden
und war, wie alle Magenkranken, von grämlicher, mißtrauischer Gemütsart, aus
der nur für Momente ein kauzischer Humor wie der grüne Mond hinter schwarzen
Wolken hervorblitzte. Mehr als der
Theologie
war er der Juristerei ergeben und studierte Pandekten und Decretalia eifriger
als die beiden Testamente. Es machte ihm Vergnügen, spitzfindige juristische
Fragen zu stellen und sie noch spitzfindiger zu beantworten.
Wie der Komet seinen Schweif, so zog Alfonso Borgia einen ganzen Troß von Spaniern
hinter sich her nach Rom.
In allen Straßen, Palästen, Schenken begannen sie sich breit und wichtig zu
machen, spanisch zu sprechen und italienisch zu radebrechen. Und bei den Weibern
und Frauen stachen die Senores nur gar zu oft die Signors aus. Es gab böse Mienen,
böses Blut, Florettkämpfe unter dunklen Arkaden, und eines Tages warf die empörte
Menge einen jungen Spanier, den sie bei einer vierzehnjährigen Schönheit des
Stadtviertels Ponte erwischt hatte, kurz entschlossen über die Brücke in den
Tiber. Es gelang ihm, sich ans andere Ufer zu retten. Es war der vierundzwanzigjährige
Rodrigo Borgia, ein Neffe des Papstes, ein auffallend schöner junger Mensch,
der, wie es hieß, die Frauen anzog wie der Magnet das Eisen. Er war ein paar
Tage zuvor von Bologna gekommen, wo er zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert
hatte. Noch triefend vor Nässe, mit zusammengebissenen Zähnen, ging Rodrigo
Borgia zum Vatikan, schob die Hellebarden der wachthabenden Schweizer auseinander
und gelangte in das Arbeitszimmer des Papstes, der gerade damit beschäftigt
war, sich über die juristische Möglichkeit eines Ehedispenses für den dritten
Grad der Blutsverwandtschaft zu orientieren.
Er sah ärgerlich von seinen Pergamenten auf.
Höre, Oheim, begann Rodrigo, noch immer triefend, deine Römerinnen sind sehr
hübsch, aber deine Römer verstehen keinen Spaß. –
Sie haben dir Wasser über den Kopf gegossen, wie? meckerte der Alte.
Scherz beiseite, Don Alfonso – Ihr seid ein Borgia, und ich bin ein Borgia.
Alles andere ist Lumpenpack. Es ziemt uns, zusammenzuhalten. Ich habe Euch einen
Vorschlag zu unterbreiten, der mir, als ich durch den Tiber schwamm, aufstieß
– mit dem Dreckwasser, das ich aus Mund und Nase spuckte. Wie wäre es, wenn
Ihr mir den Purpur der Kardinale verleihen würdet?
Der Papst weitete seine wasserblauen Augen –
Was, kreischte er, du willst Kardinal werden? Unter dem Tisch bewegte sich sein
Bauch in lautlosem Gelächter. Aber es schien doch, als hätte er Angst, sein
Hohngelächter über den Tisch hinausgelangen zu lassen. Denn dort stand, ehern,
keine Miene in dem schönen Antlitz verzogen: Rodrigo Borgia, ein Borgia wie
er, aber ein Mann, ein Wunsch, ein Wille.
Man muß dem Pöbel die eiserne Stirn zeigen, sagte Rodrigo Borgia. Wer nachgibt,
hat schon verloren. Wer ihm die Faust ins Gesicht schmettert – gewinnt.
Dem Papst kamen allerlei juristische Bedenken – er wolle seine Commentare, Decretalia
etc. befragen, ob Blutsverwandtschaft –
Rodrigo schlug mit der kleinen, zierlichen, aber steinharten Faust auf den Tisch,
daß der in Holz geschnitzte Gekreuzigte wie eine
Puppe
auf und nieder sprang:
Nur Blutsverwandtschaft, Oheim,
rechtfertigt das – und alles andere. Die Verwandtschaft des Blutes ist das heiligste
Band, das Menschen binden kann. Das gleiche Blut wallt in deinen und meinen
Adern, Alfonso Borgia. So hör es doch rauschen –
Und er riß sich sein nasses Hemd auf und preßte den Greisenkopf an seine Brust,
der in die Tiefe lauschte,
das
Herz der Borgia schlagen zu hören.
IV
Calixtus III. berief
das Heilige Kollegium zusammen. Die Kardinale Estruteville, Capranica, Bessarione
versuchten, sich der
Ernennung
Rodrigos zum Kardinal zu widersetzen.
Es half ihnen nichts. Calixtus bestach den Rest mit einträglichen Pfründen und
Abteien.
Kaum saß Rodrigo Borgia im Kollegium, als er den schwächlichen und kränklichen
Oheim und alle schwachen Charaktere des Kollegiums zu beherrschen begann. Er
veranlaßte als erstes, daß sofort zwei weitere Borgia hohe Kirchenämter empfingen:
Don Luis Borgia wurde Bischof von Segovia und Lea; Pedro Borgia wurde Präfekt
der Stadt Rom und machte alsbald den Orsini und Colonna zu schaffen.
Männer und Frauen zitterten
in Rodrigos Gegenwart, und es hieß, es schlügen selbst die Heiligen auf den
Gemälden des Vatikans die Augen nieder, wenn er heiter an ihnen vorüberschritt
und guten Mutes über sie das Kreuz schlug. (...)
(aus "Borgia. Roman einer Familie" von Klabund)