(...) Ruhe der Kindheit! himmlische
Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich
denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen
und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe.
Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgibt, nichts wußte,
war ich da nicht mehr, als jetzt, nach all den Mühen des Herzens und all dem
Sinnen und Ringen?
Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe
der Menschen getaucht ist.
Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön.
Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet
es nicht; im Kind ist Freiheit allein.
In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist
in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich,
denn es weiß vom Tode nichts.
Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer
einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese
treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des
Fluchs, daß es, wie sie, im
Schweiß des
Angesichts sich abarbeite.
Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht
weckt.
O es sind heilige Tage, wo unser Herz zum ersten Male die Schwingen übt, wo
wir, voll schnellen feurigen Wachstums, dastehn in der herrlichen Welt, wie
die junge Pflanze, wenn sie der Morgensonne sich aufschließt, und die kleinen
Arme dem unendlichen Himmel entgegenstreckt.
Wie es mich umhertrieb an
den Bergen und am Meeresufer! ach wie ich oft da saß mit klopfendem Herzen,
auf den Höhen von Tina, und den Falken
und Kranichen
nachsah, und den kühnen fröhlichen Schiffen, wenn sie hinunterschwanden am Horizont!
Dort hinunter! dacht ich, dort wanderst du auch einmal hinunter, und mir war,
wie einem Schmachtenden, der ins kühlende Bad sich stürzt und die schäumenden
Wasser über die Stirne sich schüttet.
Seufzend kehrt ich dann nach meinem Hause wieder um. Wenn nur die Schülerjahre
erst vorüber wären, dacht ich oft.
Guter Junge! sie sind noch lange nicht vorüber.
Daß der Mensch in seiner Jugend das Ziel so nahe glaubt! Es ist die schönste
aller Täuschungen, womit die Natur der Schwachheit unsers Wesens aufhilft.
Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich
sonnte, und hinaufsah ins heitre Blau, das die warme Erde umfing, wenn ich unter
den Ulmen
und Weiden,
im Schoße des Berges saß, nach einem erquickenden Regen, wenn die Zweige noch
bebten von den Berührungen des Himmels, und über dem tröpfelnden Walde sich
goldne Wolken bewegten, oder wenn der Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam
mit den alten Jünglingen, den übrigen Helden des Himmels, und ich so sah, wie
das Leben in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch den Aether sich fortbewegte,
und die Ruhe der Welt mich umgab und erfreute, daß ich aufmerkte und lauschte,
ohne zu wissen, wie mir geschah - hast du mich lieb, guter Vater im Himmel!
fragt ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und selig am Herzen.
O du, zu dem ich rief, als wärst du über den Sternen, den ich Schöpfer des Himmels
nannte und der Erde, freundlich Idol meiner Kindheit, du wirst nicht zürnen,
daß ich deiner vergaß! - Warum ist die Welt nicht dürftig genug, um außer ihr
noch Einen zu suchen?
O wenn sie eines Vaters Tochter ist, die herrliche Natur,
ist das Herz der Tochter nicht sein Herz? Ihr Innerstes, ists nicht Er? Aber
hab ichs denn? kenn ich es denn?
Es ist, als säh ich, aber dann erschreck ich wieder, als wär es meine eigne
Gestalt, was ich gesehn, es ist, als fühlt ich ihn, den Geist der Welt, wie
eines Freundes warme Hand, aber ich erwache und meine, ich habe meine eignen
Finger gehalten. (...)
(aus "Hyperion
oder der Eremit aus Griechenland" von Friedrich Hölderlin)
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