(...)
Es
leuchteten die
lichtblauen Hosen der Infanterie. Wie der leibhaftige Ernst der
ballistischen Wissenschaft zogen die kaffeebraunen Artilleristen
vorbei. Die blutroten Feze auf den Köpfen der hellblauen
Bosniaken brannten in der Sonne wie kleine Freudenfeuerchen,
angezündet vom Islam zu Ehren Seiner Apostolischen
Majestät. In den schwarzen, lackierten Karossen
saßen die goldgezierten Ritter des Vlieses und die schwarzen,
rotbäckigen Gemeinderäte. Nach ihnen wehten wie
majestätische Stürme, die ihre Leidenschaft in der
Nähe des Kaisers zügeln, die
Roßhaarbüsche der Leibgarde-Infanterie einher.
Schließlich erhob sich, vom schmetternden Generalmarsch
vorbereitet, der kaiser- und königliche Gesang der irdischen,
aber immerhin Apostolischen Armee-Cherubim: "Gott erhalte, Gott
beschütze" über die stehende Volksmenge, die
marschierenden Soldaten, die sachte trabenden
Rösser und
die lautlos rollenden Wagen. Er schwebte über allen
Köpfen, ein Himmel aus Melodie, ein Baldachin aus
schwarz-gelben Tönen. Und das Herz des Leutnants stand still
und klopfte heftig zu gleicher Zeit - eine medizinische
Absonderlichkeit. Zwischen den langsamen Klängen der Hymne
flogen die Hochrufe auf wie weiße Fähnchen zwischen
großen, wappenbemalten Bannern. Der Lipizzanerschimmel kam
tänzelnd einher, mit der majestätischen Koketterie
der berühmten Lipizzanerpferde, die im
kaiserlich-königlichen Gestüt ihre Ausbildung
genossen. Ihm folgte das Hufgetrappel der Halbschwadron Dragoner, ein
zierlicher Paradedonner. Die schwarz-goldenen Helme blitzten in der
Sonne. Die Rufe der hellen Fanfaren ertönten, Stimmen
fröhlicher Mahner: Habt acht, habt acht, der alte Kaiser naht!
Und der Kaiser kam: acht blütenweiße Schimmel zogen
seinen Wagen. Und auf den Schimmeln, in goldbestickten, schwarzen
Röcken und mit weißen Perücken, ritten die
Lakaien. Sie sahen aus wie Götter, und sie waren nur Diener
von Halbgöttern. Zu beiden Seiten des Wagens standen je zwei
ungarische Leibgarden mit gelb-schwarzen Pantherfellen über
der Schulter. Sie erinnerten an die Wächter der Mauern von
Jerusalem, der heiligen Stadt, deren König der Kaiser Franz
Joseph war. Der Kaiser trug den schneeweißen Rock, den man
von all den
Bildern
der Monarchie kannte, und einen mächtigen,
grünen Papageienfederstrauß über dem Hut.
Sachte im Wind wehten die Federn. Der Kaiser lächelte nach
allen Seiten. Auf seinem alten Angesicht lag das Lächeln wie
eine kleine Sonne, die er selbst geschaffen hatte. Vom
Stephansdom
dröhnten die Glocken, die Grüße der
römischen Kirche, entboten dem Römischen Kaiser
Deutscher Nation. Der alte Kaiser stieg vom Wagen mit jenem elastischen
Schritt, den alle Zeitungen rühmten, und ging in die Kirche
wie ein einfacher Mann; zu Fuß ging er in die Kirche, der
Römische Kaiser Deutscher Nation,
umdröhnt von den Glocken.
Kein Leutnant der kaiser- und königlichen Armee hätte
dieser Zeremonie gleichgültig zusehen können. Und
Carl Joseph war einer der Empfindlichsten.
(...)
(aus "Radetzkymarsch" von Joseph Roth)