Sie saßen dann zu
dritt ziemlich schweigsam in der Wirtsstube beim
Bier,
an einem kleinen Tischchen, K. in der Mitte, rechts und links die Gehilfen.
Sonst war nur ein Tisch mit Bauern besetzt, ähnlich wie am Abend vorher. »Es
ist schwer mit euch«, sagte K. und verglich wie schon öfters ihre Gesichter,
»wie soll ich euch denn unterscheiden? Ihr unterscheidet euch nur durch die
Namen, sonst seid ihr einander ähnlich wie« - er stockte, unwillkürlich fuhr
er dann fort -, »sonst seid ihr einander ja ähnlich wie
Schlangen.«
Sie lächelten. »Man unterscheidet uns sonst gut«, sagten sie zur Rechtfertigung.
»Ich glaube es«, sagte K., »ich war ja selbst Zeuge dessen, aber ich sehe nur
mit meinen Augen, und mit denen kann ich euch nicht unterscheiden. Ich werde
euch deshalb wie einen einzigen Mann behandeln und beide Artur nennen, so heißt
doch einer von euch. Du etwa?« - fragte K. den einen. »Nein«, sagte dieser,
»ich heiße Jeremias.« - »Es ist ja gleichgültig«, sagte K., »ich werde euch
beide Artur nennen. Schicke ich Artur irgendwohin, so geht ihr beide, gebe ich
Artur eine Arbeit, so macht ihr sie beide, das hat zwar für mich einen großen
Nachteil, daß ich euch nicht für eine gesonderte Arbeit verwenden kann, aber
dafür den Vorteil, daß ihr für alles, was ich euch auftrage, gemeinsam ungeteilt
die Verantwortung tragt. Wie ihr untereinander die Arbeit aufteilt, ist mir
gleichgültig, nur ausreden dürft ihr euch nicht aufeinander, ihr seid für mich
ein einziger Mann.« Sie überlegten das und sagten: »Das wäre uns recht unangenehm.«
- »Wie denn nicht«, sagte K., »natürlich muß euch das unangenehm sein, aber
es bleibt so.« Schon ein Weilchen lang hatte K. einen der Bauern den Tisch umschleichen
sehen, endlich entschloß er sich, ging auf einen Gehilfen zu und wollte ihm
etwas zuflüstern. »Verzeiht«, sagte K., schlug mit der Hand auf den Tisch und
stand auf, »dies sind meine Gehilfen, und wir haben jetzt eine Besprechung.
Niemand hat das Recht, uns zu stören.« - »O bitte, o bitte«, sagte der Bauer
ängstlich und ging rücklings zu seiner Gesellschaft zurück. »Dieses müßt ihr
vor allem beachten«, sagte K. dann wieder sitzend. »Ihr dürft mit niemandem
ohne meine Erlaubnis sprechen. Ich bin hier ein Fremder, und wenn ihr meine
alten Gehilfen seid, dann seid auch ihr Fremde. Wir drei Fremden müssen deshalb
zusammenhalten, reicht mir daraufhin eure Hände.« Allzu bereitwillig streckten
sie sie K. entgegen. »Laßt euch die Pratzen«, sagte er, »mein Befehl aber gilt.
Ich werde jetzt schlafen gehen und auch euch rate ich, das zu tun. Heute haben
wir einen Arbeitstag versäumt, morgen muß die Arbeit sehr frühzeitig beginnen.
Ihr müßt einen Schlitten zur Fahrt ins Schloß verschaffen und um sechs Uhr hier
vor dem Haus mit ihm bereitstehen.« - »Gut«, sagte der eine. Der andere aber
fuhr dazwischen: »Du sagst: Gut, und weißt doch, daß es unmöglich ist.« - »Ruhe«,
sagte K., »ihr wollt wohl anfangen, euch voneinander zu unterscheiden.« Doch
nun sagte auch schon der erste: »Er hat recht, es ist unmöglich, ohne Erlaubnis
darf kein Fremder ins Schloß.« - »Wo muß man um die Erlaubnis ansuchen?« - »Ich
weiß nicht, vielleicht beim Kastellan.« »Dann
werden wir dort telefonisch ansuchen, telefoniert sofort an den Kastellan, beide!«
Sie liefen zum Apparat, erlangten die Verbindung - wie sie sich dort drängten!
Im Äußerlichen waren sie lächerlich folgsam - und fragten, ob K. mit ihnen morgen
ins Schloß kommen dürfe. Das »Nein!« der Antwort hörte K. bis zu seinem Tisch.
Die Antwort war aber noch ausführlicher, sie lautete: »Weder morgen noch ein
andermal.« - »Ich werde selbst telefonieren«, sagte K. und stand auf. Während
K. und seine Gehilfen bisher, abgesehen von dem Zwischenfall des einen Bauern,
wenig beachtet worden waren, erregte seine letzte Bemerkung allgemeine Aufmerksamkeit.
Alle erhoben sich mit K., und obwohl sie der Wirt zurückzudrängen suchte, gruppierten
sie sich beim Apparat in engem Halbkreis um ihn. Es überwog bei ihnen die Meinung,
daß K. gar keine Antwort bekommen werde. K. mußte sie bitten, ruhig zu sein,
er verlange nicht, ihre Meinungen zu hören.
Aus der Hörmuschel kam ein Summen, wie K. es sonst beim Telefonieren nie gehört
hatte. Es war, wie wenn sich aus dem Summen zahlloser kindlicher Stimmen - aber
auch dieses Summen war keines, sondern war Gesang fernster, allerfernster Stimmen
-, wie wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine
einzige hohe, aber starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug, so, wie wenn
sie fordere, tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör. K. horchte,
ohne zu telefonieren, den linken Arm hatte er auf das Telefonpult gestützt und
horchte so.
Er wußte nicht wie lange; so lange, bis ihn der Wirt am Rock zupfte, ein Bote
sei für ihn gekommen. »Weg!« schrie K. unbeherrscht vielleicht in das Telefon
hinein, denn nun meldete sich jemand. Es entwickelte sich folgendes Gespräch:
»Hier Oswald, wer dort?« rief es, eine strenge, hochmütige Stimme, mit einem
kleinen Sprachfehler, wie es K. schien, den sie über sich selbst hinaus durch
eine weitere Zugabe von Strenge auszugleichen versuchte. K. zögerte, sich zu
nennen, dem Telefon gegenüber war er wehrlos, der andere konnte ihn niederdonnern,
die Hörmuschel weglegen, und K. hatte sich einen vielleicht nicht unwichtigen
Weg versperrt. K.s Zögern machte den Mann ungeduldig. »Wer dort?« wiederholte
er und fügte hinzu: »Es wäre mir sehr lieb, wenn dortseits nicht soviel telefoniert
würde, erst vor einem Augenblick ist telefoniert worden.« K. ging auf diese
Bemerkung nicht ein und meldete mit einem plötzlichen Entschluß: »Hier der Gehilfe
des Herrn Landvermessers.« »Welcher Gehilfe? Welcher Herr? Welcher Landvermesser?«
K. fiel das gestrige Telefongespräch ein. »Fragen Sie Fritz«, sagte er kurz.
Es half, zu seinem eigenen Erstaunen. Aber mehr noch als darüber, daß es half,
staunte er über die Einheitlichkeit des Dienstes dort. Die Antwort war: »Ich
weiß schon. Der ewige Landvermesser. Ja, ja. Was weiter? Welcher Gehilfe?« »Josef«,
sagte K. Ein wenig störte ihn hinter seinem Rücken das Murmeln der Bauern; offenbar
waren sie nicht damit einverstanden, daß er sich nicht richtig meldete. K. hatte
aber keine Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, denn das Gespräch nahm ihn
sehr in Anspruch. »Josef?« fragte es zurück. »Die Gehilfen heißen« - eine kleine
Pause, offenbar verlangte er die Namen jemandem anderen ab - »Artur und Jeremias.«
»Das sind die neuen Gehilfen«, sagte K. »Nein, das sind die alten.« - »Es sind
die neuen, ich aber bin der alte, der dem Herrn Landvermesser heute nachkam.«
- »Nein!« schrie es nun. »Wer bin ich also?« fragte K., ruhig wie bisher. Und
nach einer Pause sagte die gleiche Stimme mit dem gleichen Sprachfehler und
war doch wie eine andere tiefere, achtungswertere Stimme: »Du bist der alte
Gehilfe.«
K. horchte dem Stimmklang nach und überhörte dabei fast die Frage: »Was willst
du?« Am liebsten hätte er den Hörer schon weggelegt. Von diesem Gespräch erwartete
er nichts mehr. Nur gezwungen fragte er noch schnell.- »Wann darf mein Herr
ins Schloß kommen?« - »Niemals«, war die Antwort. »Gut«, sagte K. und hing den
Hörer an.
Die Bauern hinter ihm waren schon ganz nahe an ihn herangerückt. Die Gehilfen
waren, mit vielen Seitenblicken nach ihm, damit beschäftigt, die Bauern von
ihm abzuhalten. Es schien aber nur Komödie zu sein, auch gaben die
Bauern,
von dem Ergebnis des Gesprächs befriedigt, langsam nach. (...)
(aus "Das Schloß"
von Franz Kafka")
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