(...) Doch war mir
der Mann willkommen, und ich stand nicht an, ihn zu fragen, ob er sich getraue,
meine durch die lange Reise und noch dazu durch übles Verschneiden ganz in Verwirrung
geratene Haare in Ordnung zu bringen! Er sah meinen Kopf mit kunstrichterlichen
Augen an und sprach, indem er die rechte Hand, graziös gekrümmt, mit ausgespreizten
Fingern auf die rechte Brust legte: "In Ordnung bringen? - O Gott! Pietro Belcampo,
du, den die schnöden Neider schlechtweg Peter Schönfeld nennen, wie den göttlichen
Regimentspfeifer und Hornisten Giacomo Punto Jakob Stich, du wirst verkannt.
Aber stellst du nicht selbst dein Licht
unter den Scheffel, statt es leuchten zu lassen vor der Welt? Sollte der Bau
dieser Hand, sollte der Funke des Genies, der aus diesem Auge strahlt und wie
ein lieblich Morgenrot die Nase färbt im Vorbeistreifen, sollte dein ganzes
Wesen nicht dem ersten Blick des Kenners verraten, daß der Geist dir einwohnt,
der nach dem Ideal strebt? - In Ordnung bringen! - ein kaltes Wort, mein Herr!"
Ich bat den wunderlichen kleinen Mann, sich nicht so zu ereifern, indem ich
seiner Geschicklichkeit alles zutraue. "Geschicklichkeit?" fuhr er in seinem
Eifer fort, "was ist Geschicklichkeit? - Wer war geschickt? - Jener, der das
Maß nahm nach fünf Augenlängen und dann springend dreißig Ellen weit in den
Graben stürzte? - Jener, der ein Linsenkorn auf zwanzig Schritte weit durch
ein Nähnadelöhr schleuderte? - Jener, der fünf Zentner an den Degen hing und
so ihn an der Nasenspitze balancierte sechs Stunden, sechs Minuten, sechs Sekunden
und einen Augenblick? - Ha, was ist Geschicklichkeit! Sie ist fremd dem Pietro
Belcampo, den die Kunst, die heilige, durchdringt. - Die Kunst, mein Herr, die
Kunst! - Meine Phantasie irrt in dem wunderbaren Lockenbau, in dem künstlichen
Gefüge, das der Zephyrhauch in Wellenzirkeln baut und zerstört. - Da schafft
sie und wirkt und arbeitet. - Ha, es ist was Göttliches um die Kunst, denn die
Kunst, mein Herr, ist eigentlich nicht sowohl die Kunst, von der man so viel
spricht, sondern sie entsteht vielmehr erst aus dem allen, was man die Kunst
heißt! - Sie verstehen mich, mein Herr, denn Sie scheinen mir ein denkender
Kopf, wie ich aus dem Löckchen schließe, das sich rechter Hand über Dero verehrte
Stirn gelegt." - Ich versicherte, daß ich ihn vollkommen verstände, und indem
mich die ganz originelle Narrheit des Kleinen höchlich ergötzte, beschloß ich,
seine gerühmte Kunst in Anspruch nehmend, seinen Eifer, seinen Pathos nicht
im mindesten zu unterbrechen. "Was gedenken Sie denn", sagte ich, "aus meinen
verworrenen Haaren herauszubringen?" - "Alles, was Sie wollen", erwiderte der
Kleine, "soll Pietro Belcampo des Künstlers Rat aber etwas vermögen, so lassen
Sie mich erst in den gehörigen Weiten, Breiten und Längen Ihr wertes Haupt,
Ihre ganze Gestalt, Ihren Gang, Ihre Mienen, Ihr Gebärdenspiel betrachten, dann
werde ich sagen, ob Sie sich mehr zum Antiken oder zum Romantischen, zum Heroischen,
Großen, Erhabenen, zum Naiven, zum Idyllischen, zum Spöttischen, zum Humoristischen
hinneigen; dann werde ich die Geister des Caracalla, des Titus,
Karls
des Großen, Heinrich des Vierten,
Gustav
Adolfs oder Virgils, Tassos, Boccaccios heraufbeschwören. - Von ihnen
beseelt, zucken die Muskeln meiner Finger, und unter der sonoren, zwitschernden
Schere geht das Meisterstück hervor. Ich werde es sein, mein Herr, der Ihre
Charakteristik, wie sie sich aussprechen soll im Leben, vollendet. Aber jetzt
bitte ich, die Stube einigemal auf und ab zu schreiten, ich will beobachten,
bemerken, anschauen, ich bitte!"
Dem wunderlichen Mann mußte ich mich wohl fügen, ich schritt daher, wie er gewollt,
die Stube auf und ab, indem ich mir alle Mühe gab, den gewissen mönchischen
Anstand, den keiner ganz abzulegen vermag, ist es auch noch so lange her, daß
er das Kloster verlassen, zu verbergen. Der Kleine betrachtete mich aufmerksam,
dann aber fing er an, um mich her zu trippeln, er seufzte und ächzte, er zog
sein Schnupftuch hervor und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirne.
Endlich stand er still, und ich frug ihn, ob er nun mit sich einig worden, wie
er mein Haar behandeln müsse. Da seufzte er und sprach: "Ach, mein Herr! was
ist denn das? - Sie haben sich nicht ihrem natürlichen Wesen überlassen, es
war ein Zwang in dieser Bewegung, ein Kampf streitender Naturen. Noch ein paar
Schritte, mein Herr!" - Ich schlug es ihm rund ab, mich noch einmal
zur Schau zu stellen, indem ich erklärte, daß, wenn er nun sich nicht entschließen könne,
mein Haar zu verschneiden, ich darauf verzichten müsse, seine Kunst in Anspruch
zu nehmen. "Begrabe dich, Pietro", rief der Kleine in vollem Eifer, "denn du
wirst verkannt in dieser Welt, wo keine Treue, keine Aufrichtigkeit mehr zu
finden. Aber Sie sollen doch meinen Blick, der in die Tiefe schaut, bewundern,
ja den Genius in mir verehren, mein Herr! Vergebens suchte ich lange all das
Widersprechende, was in Ihrem ganzen Wesen, in Ihren Bewegungen liegt, zusammenzufügen.
Es liegt in Ihrem Gange etwas, das auf einen Geistlichen hindeutet. Ex profundis
cla-mavi ad te Domine -
Oremus - Et in omnia saecula saeculo-rum Amen!" - Diese
Worte sang der Kleine mit heisrer, quäkender Stimme, indem er mit treuster Wahrheit
Stellung und Gebärde der Mönche nachahmte. Er drehte sich wie vor dem Altar,
er kniete und stand wieder auf, aber nun nahm er einen stolzen, trotzigen Anstand
an, er runzelte die Stirn, er riß die Augen auf und sprach: "Mein ist die Welt!
- Ich bin reicher, klüger, verständiger als ihr alle, ihr Maulwürfe; beugt euch
vor mir! Sehen Sie, mein Herr", sagte der Kleine, "das sind die Hauptingredienzien
Ihres äußern Anstandes, und wenn Sie es wünschen, so will ich, Ihre Züge, Ihre
Gestalt, Ihre Sinnesart beachtend, etwas Caracalla, Abälard und Boccaz zusammengießen
und so in der Glut, Form und Gestalt bildend, den wunderbaren antik-romantischen
Bau ätherischer Locken und Löckchen beginnen." - Es lag so viel Wahres in der
Bemerkung des Kleinen, daß ich es für geraten hielt, ihm zu gestehen, wie ich
in der Tat geistlich gewesen und schon die Tonsur erhalten, die ich jetzt soviel
möglich zu verstecken wünsche.
Unter seltsamen Sprüngen, Grimassen und wunderlichen Reden bearbeitete der Kleine
mein Haar. Bald sah er finster und mürrisch aus, bald lächelte er, bald stand
er in athletischer Stellung, bald erhob er sich auf den Fußspitzen, kurz, es
war mir kaum möglich, nicht noch mehr zu lachen, als schon wider meinen Willen
geschah. - Endlich war er fertig, und ich bat ihn, noch ehe er in die Worte
ausbrechen konnte, die ihm schon auf der Zunge schwebten, mir jemanden heraufzuschicken,
der sich, ebenso wie er des Haupthaars, meines verwirrten Barts annehmen könnte.
Da lächelte er ganz seltsam, schlich auf den Zehen zur Stubentüre und verschloß
sie. Dann trippelte er leise bis mitten ins Zimmer und sprach: "Goldene Zeit,
als noch Bart und Haupthaar in einer Lockenfülle sich zum Schmuck des Mannes
ergoß und die süße Sorge eines Künstlers war. - Aber du bist dahin! - Der Mann
hat seine schönste Zierde verworfen, und eine schändliche Klasse hat sich hingegeben,
den Bart mit entsetzlichen Instrumenten bis auf die Haut zu vertilgen. Oh, ihr
schnöden, schmählichen Bartkratzer und Bartputzer, wetzt nur eure Messer auf
schwarzen, mit übelriechendem Öl getränkten Riemen zum Hohn der Kunst,
schwingt eure betroddelten Beutel, klappert mit euern Becken und schäumt die
Seife, heißes, gefährliches Wasser umherspritzend, fragt im frechen Frevel euere
Patienten, ob sie über den Daumen oder über den Löffel rasiert sein wollen.
- Es gibt Pietros, die euerm schnöden Gewerbe entgegenarbeiten und, sich erniedrigend
zu euerm schmachvollen Treiben, die Barte auszurotten, noch das zu retten suchen,
was sich über die Wellen
der Zeit erhebt. Was sind die tausendmal variierten Backenbärte in
lieblichen Windungen und Krümmungen, bald sich sanft schmiegend der Linie des
sanften Ovals, bald traurig niedersinkend in des Halses Vertiefung, bald keck
emporstrebend über die Mundwinkel heraus, bald bescheiden sich einengend in
schmaler Linie, bald sich auseinanderbreitend in kühnem Lockenschwunge - was
sind sie anders als die Erfindung unserer Kunst, in der sich das hohe Streben
nach dem Schönen, nach dem Heiligen entfaltet? Ha, Pietro! zeige, welcher Geist
dir einwohnt, ja, was du für die Kunst zu unternehmen bereit bist, indem du
herabsteigst zum unleidlichen Geschäft der Bartkratzer." - Unter diesen Worten
hatte der Kleine ein vollständiges Barbierzeug hervorgezogen und fing an, mich
mit leichter geübter Hand von meinem Barte zu befreien. Wirklich ging ich aus
seinen Händen ganz anders gestaltet hervor, und es bedurfte nur noch anderer,
weniger ins Auge fallender Kleidungsstücke, um mich der Gefahr zu entziehen,
wenigstens durch mein Äußeres eine mir gefährliche Aufmerksamkeit zu erregen.
Der Kleine stand, in inniger Zufriedenheit mich anlächelnd, da. Ich sagte ihm,
daß ich ganz unbekannt in der Stadt wäre und daß es mir angenehm sein würde,
mich bald nach der Sitte des Orts kleiden zu können. Ich drückte ihm für seine
Bemühung und um ihn aufzumuntern, meinen Kommissionär zu machen, einen Dukaten
in die Hand. Er war wie verklärt, er beäugelte den Dukaten in der flachen Hand.
"Wertester Gönner und Mäzen", fing er an, "ich habe mich nicht in Ihnen betrogen,
der Geist leitete meine Hand, und im Adlerflug des Backenbarts sind Ihre hohe
Gesinnungen rein ausgesprochen. Ich habe einen Freund, einen
Dämon, einen
Orest,
der das am Körper vollendet, was ich am Haupt begonnen, mit demselben tiefen
Sinn, mit demselben Genie. Sie merken, mein Herr, daß es ein Kostümkünstler
ist, denn so nenne ich ihn statt des gewöhnlichen trivialen Ausdrucks
Schneider.
- (...)
(aus "Die Elixiere des Teufels" von E.T.A. Hoffmann)