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"Junger Mann", sagt Doktor Martinus und fixiert ihn mit seinem gesunden Auge, "sagt uns doch, was Ihr wißt von den heiligen Engeln und ihrem Wesen."
Also doch, denkt sich Eitzen, hat er doch recht prophezeit, der Leuchtentrager, und wird mir nicht dienen müssen bis übers Jahr, und mit der Margriet ist`s auch nichts. Aber sonst hat er keinen Gedanken und weiß nicht, was er den Herrn Doctores und Professores sagen könnt bezüglich der Engel und deren Wesen, und stammelt erbärmlich und tritt von einem seiner Füß auf den andern, ganz als stünde er bereits auf der rotglühenden Platte über dem Fegefeuer. "Herr Kandidat!" mahnt ihn Doktor Martinus. "Die Engel!"
Da, wie er schon davonlaufen will in Schande, ganz gleich wohin, erspäht Eitzen den Leuchtentrager, und auf einmal wird`s dem Kandidaten Eitzen so absonderlich im Kopf und ist ihm, als umsprühten Funken ihm die Stirn, und er hebt an, die Worte kommen ihm wie von selbst, weiß nicht woher, und deklamiert, "Angeli sunt spiritus finiti, von geistiger Substanz, an Zahl endlich, von Gott erschaffen, mit Verstand begabt sowie mit freiem Willen, und bestimmt, Gott eifrig zu dienen. Ihre Attribute sind, ad primum, die negativen: Invisibilitas, da sie nicht aus Teilen komponiert, sondern ein Ganzes sind; Invisibilitas, da ihre Substanz unsichtbar; Immutabilitas, da sie nicht wachsen oder geringer werden; Incorruptibilitas, da sie nicht sterblich; und Illocalitas, da sie überall und nirgends. Ad secundum ..."
Eitzen sieht, wie dem guten Doktor Martinus das Maul weit offensteht, und wie der Magister Melanchthon die Augen aufreißt vor solch gelehrtem Redefluß, aber der Geist, der über ihn gekommen ist, trägt ihn mit sich fort, und er berichtet, ad secundum, nun von den affirmativen Qualitäten der Engel, als da sind ihre Vis intellectiva, weil sie mit Einsicht begabt, ihre Voluntatis libertas, weil ihnen die Kraft innewohne zum Guten oder zum Bösen, ihre Facultas loquendi, denn sie redeten häufig, zu den Menschen wie untereinander, ferner ihre Potentia, die sie zwar Mirabilia, nämlich Wunderbares, nicht aber Miracula, also keine Wunder, vollführen lasse; und dann sei da ihre Duratio aeviterna, man beachte, nicht eterna, denn sie seien wohl unvergänglich, doch nicht ewig in Anbetracht, daß sie einen Anfang hatten; und endlich besäßen sie Ubietatem definitivam, einen eindeutigen Wohnsitz, und Agilitatem summam, da sie mit größter Beweglichkeit bald hier, bald dort auftauchten.
Bis dahin nun hat der Atem des Kandidaten Eitzen gereicht, jetzt aber muß er verschnaufen, wie auch die Herren Examinatoren und die vom Rat der Stadt und vom kurfürstlichen Amte, welch alle noch nie bei einem Examen eine solch weitreichende und ins einzelne gehende Ausführung vernommen haben und davon ganz erschlagen sind. Die Studiosi aber, die nie viel von Eitzen gehalten, trampeln mit den Füßen und schlagen mit den Fäusten auf die Tische, daß es eine Art hat und der Herr Dekan um seine Dielen und sein Mobilar zu fürchten beginnt. Nur Leuchtentrager zieht ein Gesicht, als geschähe so was alle Tage, und hebt sein Puckelchen ein wenig, und Eitzen spürt, wie es ihn wieder packt und daß er weiterreden muß wie die Propheten von einst, in Zungen, nur weiß er nicht, sind diese Zungen von Gott oder von wem sonst.
"Angeli boni sunt", sagt er, "qui in sapientia et sanctitate perstiterunt", die also in Weisheit und Heiligkeit beharren, so daß sie von Sünde unangefochten Gott anbeten und von dessen ewiger Güte leben könnten. Ein Teil dieser guten Engel nun seien zum Dienst für Gott und Christus bestimmt, ein andere Teil jedoch sorge für das Heil der Menschen. Solcher Art Engel dienten einzelnen Frommen, und zwar von deren Kindesalter bis zu ihrem seligen Tod, und seien sie, wie jeder Vernünfige leicht einsehen werde, besonders verantwortlich für die Prediger des heiligen Wortes.
Wobei der junge Eitzen einen Blick voller Bedeutung auf Luthern wirft und auf seinen guten Lehrer Melanchthon, sodann jedoch sich hinwendet zu den Herren vom Rat und den Amtleuten des Kurfürsten und mit erhobener Stimme fortfährt, "Sind aber auch verpflichtet ihrem politischen Auftrag, sind untergeordnet den öffentlichen Gesetzen, unterstützen die Diener der Obrigkeit, bewahren diese vor Gefahren und schützen sie vor ungerechten Feinden!"
Da ist`s natürlich, daß die Herren vom Rat und die vom kurfürstlichen Amt nicken und beifällig murmeln, und mehrere von ihnen haben ein deutliches Gefühl, daß das von höherer Stelle ihnen zugewiesene Schutzengelchen hinter ihnen steht und ihnen über die Schulter guckt und spricht: Hier bin ich, Herr Erster Secretarius. Bei solcher Wirkung seiner Worte ist`s kein Wunder, daß der Kandidat Eitzen sich immer mehr begeistert und beschreibt, wie die guten Engel sich auch in der Wirtschaft betätigen, indem sie die Geschäfte der Frommen unterstützen und zu gutem Gelingen brächten, und in der Familie, indem sie diese schützen und die Ordnung in ihr aufrechterhalten, denn die Familie sei im Kleinen, was Kirche und Staat im Großen. Doch in summa sei all dieses, erklärt er, nur eine Praeparatio für ihre Aufgaben beim jüngsten Gericht, wo die guten Engel das Gerichtsurteil Christi vorzubereiten hätten, indem sie als Assessoren dienten und die Frommen von den Gottlosen schieden, die Frommen in Richtung ihres künftigen Sitzes zur Rechten Christi, die Gottlosen aber hinunter zur Hölle. Deswegen gezieme es sich für jedermann, daß wir die Engel verherrlichten und liebten, und uns hüteten, ihnen bei anrüchigen Handlungen zu begegnen; Gebete an sie zu richten sei jedoch ungebührlich.
Eitzen zittern die Knie. Zwar gebraucht der Mensch beim Reden nur Lippe und Zunge und Kehle, und manchmal die Hände, `s ist aber doch große Kraft vonnöten besonders da, wo er will, daß seine Rede mit Geist erfüllt sei; und daß die Worte des Kandidaten voll frommen Geistes sind, des sind die Herren Examinatoren, an ihrer Spitze der Doktor Luther und der Magister Melanchthon, und die andern in der Runde überzeugt. Eitzen meint, er habe es zu einem guten Punkt gebracht mit dem jüngsten Gericht und der Engelverehrung, aber so wie auf der Welt kein Ja ist ohne Nein, ist auch kein Gut ohne Böse, und er schuldet das Caput noch, in dem von den bösen Engeln gehandelt wird, nicht so sehr wegen der gelehrten Herrn, die ließen`s wohl auch bei dem schon Gesagten bewenden, sondern weil er fühlt, daß es ein muß. Aber wie er aufblickt um Inspiration, ist der Leuchtentrager fort; im Feld seines Gesichts findet er nur den Doktor Martinus und seinen Lehrer Melanchthon, beide voller Erwartung, und kein andrer zwischen ihrer beider Köpf, und er kriegt`s mit der Angst und weiß nicht, was zu sagen, er weiß nur, wer vom Teufel spricht, erhält Besuch von ihm.
Dann jedoch spürt er, daß einer ihm nah ist, `s sit ein Hauch, nicht mehr, und er sieht, wie der Leuchtentrager ihn von der Seite her anschaut, ganz so wie in der vergangenen Nacht, da jener ihm sagte, nur frisch drauflosgeschwatzt, die ganze Theologie ist doch nur ein Wortgeklaub. "Angeli mali sunt", tönt es aus Eitzens Munde, "qui in concreata sapientia et justitia non perseverarunt", und er weiß nicht, hat er`s wirklich gesagt oder sprach da einer durch ihn, und wundert sich, daß keiner der Herren Examinatoren Protest erhebt gegen die Präsenz eines anderen zu seiten des Kandidaten, da solches doch wohl unüblich ist, wenn nicht gar verboten. Redet aber weiter von den bösen Engeln, welche in der ihnen verliehenen Weisheit und Gerechtigkeit nicht beharrt, sondern aus eigenem Willen von Gott und den Wegen des Rechts abgewichen, und somit sich zu vollendeten Feinden Gottes und der Menschen gemacht hätten.
So weit so gut, und der Doktor Luther kratzt sich wohlwollend die Backe; hat selber seine Erfahrung gehabt mit allerlei bösen Engeln, nach einem hat er sein Faß Tinte geworfen, traf aber daneben. Dem jungen Eitzen jedoch reihen sich die Worte zurecht im Munde, s`ist wie eine ganz sonderbare Besessenheit, eins um das andere zählt er auf, was die bösen Engel mit den Frommen tun, wie sie ihnen Krankheiten schicken und ihre Kräfte schwächen und sie in Versuchung führen und sie von Gott abzuwenden trachten und ihren Sinnen falsche Hoffnungen vortäuschen; und ferner, wie sie mit den Gottlosen verfahren, sich ihrer Leiber bemächtigen und ihrer Seelen und sie schon zu Lebzeiten zwicken und zwacken; besonders abgesehen aber hätten sie`s auf die Geistlichkeit, indem sie Häresien sprießen ließen, und fromme Kleriker zum Ungehorsam reizten, und die Sinne der Zuhörer in der Kirche von der Predigt abwendeten, kurz, indem sie all jene verfolgten, die sich für das Reich Christi einsetzten.
Den Kandidaten Eitzen schüttelt ein Kichern, das seines sein mag oder nicht, da er bemerkt, wie die anwesenden Herrn Prediger und Pastoren die Worte schlecken, die er hat fallenlassen, so als wären`s die schönsten Leckerein. Und kommt ihm auch sofort noch mehr desgelichen in den Sinn für die Herren vom Rat der Stadt und vom kurfürstlichen Amte, denn was den einen recht ist, soll den andern billig sein, und so referiert er, wie die bösen Engel sich auch tummelten unter der Obrigkeit, und wie sie die Harmonie im Staate störten, indem sie die Dissidenten unterstützten oder als Zeugen aufträten für diese, oder dem Feind an die Hand gingen, indem sie Kaisern und Fürsten falsche Ratschläge einbliesen, oder Unruhe und Unzufriedenheit schüfen unter dem Volke. Das ist wie himmlische Musik für die Ohren der Amtleute und Ratsherren, daß ihnen bestätigt wird aus berufenem Munde, nicht sie wären schuld an ihren Ungelegenheiten, sondern eine muntere Rotte von Teufeln; und hinge es nur ab von ihnen, sie gäben dem Kandidaten Eitzen wohl gerne ein "summa cum laude".
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(aus "Ahasver" von Stefan Heym;
Fischer TB 2000)