Ein einfacher Bürger als Augenzeuge

Im Unterschied zu dem berühmten Friedrich Spee hat ein weitgehend unbekannter Zeitgenosse in seiner Anklageschrift gegen den Hexenwahn Ross und Reiter genannt, die Namen der Täter und ihrer Opfer nicht verschwiegen. Dem Jesuiten ist zu Gute zu halten, dass er mit einer solchen Methode sein Leben riskiert und den Orden in große Schwierigkeiten gebracht hätte. Sein Pendant konnte dagegen aus sicherer zeitlicher und vor allem räumlicher Entfernung schreiben: Der Kaufmann Hermann Löher, geboren 1595 in Münstereifel im Rheinland, seit 1636 bis zu seinem Tod 1678 in Amsterdam lebend, verfasste noch im hohen Alter ein Buch, in dem er sich seine schaurigen Erlebnisse mit Hexenjägern in seiner Heimat während der Jahre 1631 bis 1636 von der Seele schrieb. 1676 in Amsterdam gedruckt, blieb das Werk, anders als die oftmals wieder aufgelegte Cautio Criminalis, bis ins 19. Jahrhundert völlig unbekannt. Nur zwei Exemplare sind erhalten: in der Universität Amsterdam und im ehemaligen Gymnasium der Jesuiten in Münstereifel.

Löher war als Kind mit seinen Eltern in das unweit seines Heimatortes gelegene Städtchen Rheinbach gezogen. Acht Stunden Fußweg von Bonn entfernt gelegen, gehörte es zum Erzstift Köln und unterstand als Vertreter des Landesherrn einem adligen Amtmann sowie einem Vogt aus dem Juristenstand. Im Übrigen verwalteten die ungefähr 600 Bürger ihre Angelegenheiten eigenständig. Hermann Löhers Vater wurde dort Kaufmann und stieg bis zum Bürgermeister und Schöffen auf. Der Sohn trat in seine Fußstapfen und entwickelte sich zu einem erfolgreichen Fernhändler, in eigenen Worten: "mit Reisen im Lande nach Frankfurt, Aachen, Düren und Köln, Waren dahin zu bringen und abzuholen, mit Stahl, Eisen, Wolle und Leinen, Spezereien, Früchten und Wein Geld und Güter zu gewinnen." 1627 war er Bürgermeister, seit 1631 als Jüngster Mitglied im Schöffenkollegium. In dieser Eigenschaft wurde Löher noch im selben Jahr mit Hexenprozessen konfrontiert. Die Verfolgung war in Kurköln seit 1626 im Gang, zur gleichen Zeit wie in Mainfranken. Die Bevölkerung suchte Sündenböcke für eine Missernte.


Der Hexen-Kommissar und sein Opfer

Nach Rheinbach sprang der Funke über, nachdem eine angeklagte "Hexe" aus einem benachbarten Dorf in die Stadt geflüchtet, dort aber aufgegriffen und ausgeliefert worden war. Wahrscheinlich hatte es vorher auch schon in der Bürgerschaft entsprechende Gerüchte gegeben. Sie richteten sich zunächst gegen Menschen, die relativ wehrlos waren, eine einfache Dienstmagd, die von auswärts zugezogen war, und dann gegen eine einheimische alte, arme Frau.

Dass daraus ein Prozess entstand, war aber nicht selbstverständlich. Es gab auch Gegenstimmen, von dem kurfürstlichen Vogt Dr. Andreas Schweigel, der aber dem Schöffengremium nicht angehörte, und aus dessen Mitte von Hermann Löher und Richard Gertzen. Sie konnten sich nicht durchsetzen, weil der adlige Amtmann und der Erzbischof als Landesherr inzwischen einen Sonderbeauftragten, einen so genannten Kommissar, eingesetzt hatten: Dr. Franz Buirmann. Diese Institution, auf die die Gerichtsherren während der Hexenverfolgungen gern zurückgriffen, war gut gemeint. Den zumeist nicht akademisch vorgebildeten Schöffen und Laienrichtern sollte ein Fachmann an die Seite gestellt werden, damit so eine rechtmäßige Prozessführung gewährleistet sei. Da der Vogt Dr. Schweigel selbst studierter Jurist war, wäre dies in Rheinbach eigentlich nicht nötig gewesen. Formell waren die Kommissare nur Berater des lokalen Gerichts. Tatsächlich schwangen sie sich zu Herren des Verfahrens auf. Wäre allerdings die Bevölkerung einmütig gegen die Verfolgung gewesen, hätte auch ein Kommissar nur wenig Einflussmöglichkeiten gehabt. Hinter den Kulissen gab es in den dörflichen und städtischen Gesellschaften Parteibildungen, die nun eine Gelegenheit sahen, ihre Gegner und Konkurrenten aus dem Wege zu räumen.

Durch den Bericht Hermann Löhers haben wir die seltene Möglichkeit, eine Hexenverfolgung aus der Sicht der Opfer und der ihnen nahestehenden Personen mitzuerleben. Noch anschaulicher wird seine Darstellung durch die Kupferstiche, die er nach seinen Angaben anfertigen und in den Text einheften ließ.

Die Serie der Abbildungen beginnt mit einem Exorzismus. Es handelt sich um den dritten Hexenprozess in Rheinbach. Dieses Mal traf es nicht mehr eine Frau eher am Rande der Gesellschaft, sondern ein Mitglied der Führungsschicht, die reiche Tuchhändlerin Christina Böffgens, ca. 60 bis 65 Jahre alt, Witwe eines Bürgermeisters und Schöffen.

Der Exorzismus war nicht so eine aufwändige Teufelsaustreibung, wie sie bei Besessenen üblich war. Aber auch von der "Hexe" hatte der Teufel quasi Besitz ergriffen, sodass zwei Franziskanerpatres mit Gebeten und Weihwasser ihn zu vertreiben versuchten. Die Angeklagte trug dabei einen Rosenkranz in den Händen und kniete wie die Gerichtspersonen nieder. Wenig später wurde sie in einem Nebenraum, nicht im Beisein des Gerichts, entkleidet und von dem Scharfrichter am gesamten Körper geschoren - eine schlimme Erniedrigung für die arme Frau. Als eine weitere Angeklagte laut über die Prozedur schrie, ging der Henker zum Kommissar und machte sich über ihr Aussehen in der Schamgegend lustig.

Bei der anschließenden Nadelprobe im Beisein des Gerichts stach der Henker in auffällige Hautstellen. Floss kein Blut und spürte die Angeklagte keinen Schmerz, so galt dies als belastendes Indiz, da der Teufel seine Anhängerin angeblich gegen Schmerzen immunisiert hatte. Die Nadelprobe war bei den rheinischen Juristen und Theologen noch stärker umstritten als die Wasserprobe. Ein Pfarrer aus Bonn hatte 1629 ein Buch gegen diese abergläubische Praxis verfasst, worauf ein Juraprofessor mit einer Gegenschrift konterte. Wie die Nadelprobe bei Christina Böffgens ausging, schreibt Löher nicht. Wahrscheinlich fiel sie in den Augen Buirmanns gegen die Frau aus. Aus heutiger Sicht ist dabei eher an Manipulation des Scharfrichters zu denken, oder die Angeklagte schrie deswegen nicht auf, weil sie schon die eigentliche Folter erwartete.

Diese wurde bei ihr mit den üblichen Instrumenten durchgeführt, Daumen- und Beinschrauben und dann dem Hochziehen des Körpers an den auf dem Rücken gefesselten Armen, was zu unerträglichen Schmerzen in den Schultergelenken führte. Zunächst gestand sie auch das, was man von ihr hören wollte, also Teufelspakt und -buhlschaft, Schadenszauber einschließlich Mord usw. Zu einer Verurteilung musste sie aber die Selbstbezichtigung einen Tag später ohne Folter wiederholen. Als Frau Böffgens stattdessen ihr Geständnis zurücknahm, geriet Buirmann in Wut und befahl dem Scharfrichter, die Folter zu wiederholen. Dieser riet angesichts des Gesundheitszustandes der Frau davon ab. Der Kommissar setzte sich darüber hinweg und beharrte auf der Tortur. Die Folgen schildert der Augenzeuge Hermann Löher:
"Als Christina Böffgens sich in der Folter auf Gott Jesum Christum in Todesnot vertröstet und ihr die Sprache mit Ablassung ihres Wassers entfallet und des Lebens Geist hinweg in der Folterung gehet und als ein Marterin [Märtyrerin] tot war und der Henker den Tod an den Frevelrichter Franz Buirmann in folgenden Worten bekannt macht und sagt: 'Ich foltere die Frau aus Eurem Geheiß und sie ist in der Folterung des Tods gestorben, als ich vorhin gesagt habe.' Da laufet der Böswicht Franz Buirmann um und um unter den Schöffen wie ein doller [tollwütiger], desperater [verzweifelter] Mensch, dem wohl wissend ist, dass er die göttlichen und kaiserlichen Rechte im Foltern und Peinigen zu seiner Verdammnis sollte verdient haben. 'Herbert und Jan Bewel', sagt er: 'Hörtet ihr auch, wie es oben im Hals krachte, als ihr der Teufel den Hals zerbrach. Was dunkt euch, Gotthard Peller, was eine verstockte Hexe ist das gewesen. Was sagt ihr, Jan Thyen und Hermann Löher, darzu. Hörtet ihr auch, wie es krachte, da ihr der Teufel den Hals zerbrach. Das hat der Teufel getan, dass sie nicht selig sollte werden und die Komplizen nicht besagen soll.'

Dr. Schweigel, der hinzukommt, wagt als Einziger, Buirmann entgegenzutreten: " 'Diese Tat, die wir heute an dieser Frau, so sie bekannt wird, begangen haben, das können wir vor Gott, dem Landesfürsten und allen Menschen nicht verantworten.' Und er redet zornig und keifend in Latein mit dem falschen Richter Franz Buirmann, das ich nicht verstand. Franz Buirmann sagte und bestand darauf, der Teufel habe der Erzhexe den Hals zerbrochen. 'Pfui, pfui, pfui', sagt er. 'Wie stinkt es hier, der Teufel ist mit einem faulen Gestank geschieden. Pfui, lasset uns von der Bestie, der Hexe, gehen.' Niemand von den 3 ältesten, viel weniger die 2 jüngsten Schöffen Thyen und Löher durften die Beschaffenheit der zu Tode Folterung sagen und dem Vogt Schweigel in seinen Worten assistieren."

Wie in solchen Fällen üblich, schiebt der Kommissar seine Schuld auf den Teufel. Doch die Ausrede ist zu durchsichtig. Löher gibt zu, wie die Schöffen von dem Kommissar eingeschüchtert wurden und trotz besseren Wissens den Justizmord nicht höheren Ortes anzeigten. So konnte Buirmann sein blutiges Handwerk fortsetzen. Als erstes beschlagnahmte er das in Bargeld und Wertpapieren bestehende Vermögen der Toten, immerhin 4.000 Taler, was heute mindestens einem sechsstelligen Eurobetrag entspricht.


(Aus "Hexen - Magie, Mythen und die Wahrheit" von Rainer Decker.)