(....) "In Odessa
hat mer geglaubt bei die Griechisch-Orthodoxen, ich bin ä Spion, daß
ich verkehr mit die römischen Gojim --- und auf emol hat´s gebrennt
in ünserm Haus, aber Elias, sein Nam´ sei gepriesen, hat´s
abgwendet, daß mir sind bloß auf der Gass´ gesessen: - meine
Frau Berurje und ich und die Kinderlich. - Dann später is gekommen Elias
und hat an unserm Tisch gesessen nach dem Laubhüttenfest. Ich hab´
gewußt, daß es is Elias, wenn Berurje auch hat gemeint, daß
er heißt: Chidher
Grün." - Sephardi zuckte zusammen. Derselbe Name war gestern in Hilversum
gefallen, als Baron Pfeill für Hauberrisser das Wort geführt und dessen
Erlebnisse erzählt hatte! -
"In der Gemeinde hat mer gelacht ibber mir und wenn sie von mir gesprochen
haben, hat´s immer geheißen: Eidotter? Eidotter is ä Nebbochant;
er läuft ohne Verstand herüm. - Sie haben nicht gewußt, daß
mich Elias unterweist in dem doppelten Gesetze, das
Moses
dem Josua überliefert hat von Mund zu Ohr", - ein Glanz von Verklärung
belebte seine Züge - "und daß Er die zwei verhüllenden
Lichter der Makifim in mir umgestellt hat. - Dann war ä Judenverfolgung
in Odessa. Ich hab mein Kopf hingehalten, aber es hat die Berurje getroffen,
daß ihr Blut is über den Boden hingeflossen, wie sie hat wollen die
Kinderlich beschützen, als eins nach dem andern is erschlagen geworden."
-
Sephardi sprang auf, hielt sich die Ohren zu und starrte entsetzt Eidotter an,
in dessen lächelndem Gesicht keine Spur von Erregung zu bemerken war. -
"Ribke, meine älteste Tochter, die hat geschrien zu mir um Hilfe,
wie sie sich haben ibber ihr gestürzt, aber mer hat mich festgehalten.
- Dann haben sie mei Kind mit Petroleum begossen - und angezündt."
Eidotter schwieg, blickte sinnend an seinem Kaftan herunter und zupfte kleine
Fäden aus den zerschlissenen Nähten. Er schien vollkommen bei Sinnen
zu sein und trotzdem keinen Schmerz zu empfinden, denn nach einer Weile fuhr
er mit klarer Stimme fort: "Wie ich dann später hab´ wieder
wollen
Kabbala studieren, hab ich nicht mehr können, denn die Lichter der
Makifim waren in mir umgestellt."
"Wie meinen Sie das?" fragte Sephardi bebend. "Hat das furchtbare
Leid Ihren Geist umnachtete?"
"Das Leid nicht. Und auch bin ich nicht umnachtet. Es is so, wie man sagt
von die Ägypter,
daß sie haben än Trank gehabt,
der
wo vergessen macht. - Wie hätt ich´s denn sonst überleben
können! - Ich hab´ damals lang nicht gewußt, wer ich bin, und
wie ich´s dann doch wieder gewußt hab´, hat mir gefehlt, was
der Mensch zum Weinen braucht, aber auch so manches, was mer zum Denken braucht.
- Die Makifim sind umgestellt. - Von da an hab´ ich, ich möcht sagen:
das Herz im Kopf und das Gehirn in der Brust. Besonders manchmal."
"Können Sie mir das näher erklären?" fragte Sephardi
leise. "Aber, bitte, nur wenn Sie es gerne tun. Ich möchte nicht,
daß Sie glauben, ich forschte aus Neugier."
Eidotter faßte ihn am Ärmel. "Schauen Sie, Herr Doktor, wenn
ich jetzt in das Tuch zwick´, haben Sie doch kan Schmerz? - Ob´s
dem Ärmel weh tut, wer kann wissen? - So is es bei mir. Ich seh, es is
einmal was geschehen, was eigentlich hätt schmerzen müssen; ich weiß
es genau, aber ich spür´s nicht. Weil mein Gefühl im Kopf is.
- Ich kann aber auch nicht mehr zweifeln, wenn mir jemand irgend was sagt, so
wie ich´s in meiner Jugend in Odessa noch gekonnt hab´. Ich muß
es glauben, weil mein Denken jetzt im Herzen is. - Ich kann mir auch nichts
mehr ausgrübeln wie früher. Entweder es fallt mir was ein, oder es
fallt mir nix ein; fallt mir was ein, dann is es auch in Wirklichkeit so und
ich erleb´s so deutlich, daß ich nicht unterscheiden könnt´:
war ich dabei oder nicht. Deshalb probier ich´s gar nicht mehr, drieber
nachzudenken." (...)
(aus "Das grüne Gesicht" von Gustav Meyrink)