DIE KETZEREI DES ECHNATON
In 3000 Jahren blieb die ägyptische Religion bemerkenswert einheitlich - mit
einer Ausnahme. Etwa zwei Jahrzehnte lang förderte der Pharao Echnaton (ca.
1353-1336 v. Chr.) am Ende der 18. Dynastie (der "Amarna-Zeit")
ein Weltbild, das an den Fundamenten des ägyptischen Glaubens rüttelte.
Echnaton begann, in recht
traditioneller Form als Amenhotep IV. zu regieren.
(Regentenname:
"Nefercheprure" - "Schön ist die Erscheinung des Re"; "Echnaton" - "ach-en-aton"
- "Wirksam für Aton"; "Diener des Aton"; Amenophis IV. = Amenhotep IV. - "Amun
ist zufrieden"; Anm. d. Red.)
Schon die frühesten Inschriften zeigen
jedoch eine Neuerung, nämlich besondere Verehrung für den Sonnengott, der mit
einem neuen Beiwort vorkommt: "Der Lebendige, Re-Harachte, der im Achet seine
Wirkung entfaltet, in seiner Lichtidentität, die in der Sonnenscheibe liegt". Im
5. Regierungsjahr des Königs war die Ikonografie völlig neu. Name und Beiwort
des Re-Harachte wurden nun in zwei Kartuschen geschrieben, und sein
traditionelles Bild, der Falke oder falkenköpfige Mann, wurde durch die
strahlende Sonnenscheibe (Aton) ersetzt. Gleichzeitig änderte der König seinen
Namen von Amenhotep ("Amun ist zufrieden") zu Echnaton ("Wirksam für Aton"). Er
begann auch, an dem heute als Tell el-Amarna bekannten Ort eine neue Hauptstadt,
Achet-Aton ("Der Ort, an dem Aton wirksam wird") zu bauen, auf halbem Weg
zwischen der alten Hauptstadt Memphis im Norden und dem Sitz der Dynastie in
Theben im Süden.
Echnatons Veränderungen wirkten auf viele Aspekte der
ägyptischen Kultur ein, auf keinen jedoch mehr als die Religion. Anstelle
Hunderter Naturelemente und Kräfte, die die Ägypter immer als ihre Götter
verehrt hatten, erkannte Echnaton nur noch eine an: die höchste Macht des
Lichtes, das durch die Sonnenscheibe in die Welt kam und ihr jeden Tag Leben
gab. Dieser Gott konnte nicht dargestellt werden: Das Symbol der strahlenden
Sonnenscheibe, das die Amarna-Kunst beherrscht, ist nichts weiter als eine
vergrößerte Version der Hieroglyphe für "Licht".
Gegen Ende der Herrschaft
von Echnaton scheinen zwei neue Pharaonen auf; einer oder beide regierten neben
ihm. Einer von ihnen, Semenchkare, war mit Echnatons ältester Tochter
verheiratet und herrschte bis etwa 1332 v. Chr.; der andere, ab ca. 1336 v.
Chr., trug den Namen Nefernefruaton, den Echnatons Hauptfrau Nofretete
verwendete, und war vielleicht sie selbst. Eine Inschrift aus Theben aus dem 3.
Regierungsjahr von Nefernefruaton enthält ein Gebet an Amun; Echnaton könnte
sich dem politischen Druck gebeugt und einen Mitregenten ernannt haben, der auf
traditionelle Weise über Ägypten herrschte, während er sich und seine neue
Religion auf Achet-Aton beschränkte. Allen drei Pharaonen folgte schließlich
Tutanchamun (ca. 1332-1322 v. Chr.) nach, der Achet-Aton aufgab und die alte
Religion wiederherstellte. Spätere Generationen wiesen Echnatons Weltbild zurück
und versuchten, alle Erinnerungen an seine Regierungszeit auszulöschen, indem
sie seine Monumente in ganz Ägypten zerstörten. Er galt nur noch als "der Ketzer
von Achet-Aton".
Vieles an dieser bemerkenswerten Periode der ägyptischen
Geschichte bleibt unklar, nicht zuletzt der Grund für ihr Entstehen. Manche
Wissenschafter meinen, Echnatons Reformen seien die erste intellektuelle
Revolution in der Geschichte überhaupt gewesen. Andere sehen sie eher als
prosaischen Versuch, den politischen Einfluss Amuns und seiner Tempel zu
reduzieren. Beide haben etwas für sich, da Religion und Politik im ägyptischen
Denken praktisch zusammenfielen. Es ist jedoch klar, dass die meisten Ägypter,
wohl wegen des starken Einflusses der Tradition, das Gedankengut des Echnaton
nicht annahmen. Vielleicht war auch ein grundlegender Mangel der
Theologie
Echnatons schuld: Sie förderte die Göttlichkeit einer einzigen Naturgewalt und
nahm den Ägyptern die Vielfalt ihres Weltbildes. Außerdem gab das unpersönliche
Wesen des Gottes, den Echnaton lancierte, dem Volk keine Möglichkeit, einen
Bezug zu finden. Dies vor allem dürfte der Grund gewesen sein, dass Echnaton
scheitern musste.
(Aus " Das Alte Ägypten" von David P. Silverman.)