(...) Da träumte
ihm erst von unabsehlichen Fernen, und wilden, unbekannten Gegenden. Er wanderte
über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche
Tiere sah er; erlebte mit mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege,
in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er geriet in Gefangenschaft
und die schmählichste Not. Alle Empfindungen stiegen bis zu einer niegekannten
Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes Leben;starb und kam wieder,
liebte bis zur höchsten Leidenschaft, und war dann wieder auf ewig
von seiner Geliebten getrennt. Endlich
gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach, wurde es stiller
in seiner Seele, klarer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als
ging er in einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das
grüne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte
über bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter gerissen
hatte. Je höher er kam, desto lichter wurde der Wald. Endlich gelangte
er zu einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag. Hinter der Wiese erhob
sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Öffnung erblickte, die
der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu sein schien. Der Gang führte
ihn eine Zeitlang gemächlich eben fort, bis zu einer großen Weitung,
aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte. Wie er hineintrat,
ward er einen mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis
an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzählige Funken zerstäubte,
die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glänzte
wie entzündetes Gold; nicht das mindeste Geräusch war zu hören,
eine heilige Stille
umgab das herrliche Schauspiel. Er näherte sich dem Becken, das mit unendlichen
Farben wogte und zitterte. Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit
überzogen, die nicht heiß, sondern kühl war, und an den Wänden
nur ein mattes, bläuliches Licht von sich warf. Er tauchte seine Hand in
das Becken und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdränge ihn ein geistiger
Hauch, und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches
Verlangen ergriff ihn sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken.
Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots; eine himmlische
Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten
unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder
entstanden, die auch ineienanderflossen und zu sichtbaren Wesen um in wurden,
und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an
ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender Mädchen, die an dem
Jünglinge sich augenblicklich verkörperten.
Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm
er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß.
Eine Art von süßem
Schlummer befiel ihn, in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten
träumte, und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte. Er fand sich auf
einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich
darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich
in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder
als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was
ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst
an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern
berührte. Rund um sie her standen unzählige
Blumen von allen Farben,
und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die
blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich
wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern
anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden
Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter
zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte.
(...)
(aus "Heinrich
von Ofterdingen" von
Novalis)
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