Andreas Eschbach: "Das Buch von der Zukunft"

Ein Reiseführer

"Das Fernsehen wird sich keine sechs Monate am Markt halten. Die Menschen werden es bald satt haben, Abend für Abend in eine Holzkiste zu starren."
(Darryl F. Zanuck, Chef der 20th Century- Fox, 1946)


Vor Propheten wird gewarnt

Im gleichnamigen ersten Kapitel thematisiert Andreas Eschbach berühmte Fehleinschätzungen der Menschheitsgeschichte. Was bringt es dann überhaupt, Prognosen abzugeben? "Weil die Zukunft einfach ein unwiderstehliches Thema ist.", so der Autor über seine Motivation, Zukunftsszenarien zu entwickeln. Er bezeichnet sein Buch als Reiseführer, um deutlich zu machen, dass unterschiedliche Routen möglich sind. Wem die Reise in die Zukunft zu spekulativ ist, bleibt in der Gegenwart und verschafft sich einen Überblick über den derzeitigen Entwicklungsstand. "Das Buch von der Zukunft" kann auch unter dieser Prämisse gelesen werden.

Bevor Eschbach seine Visionen beschreibt, erläutert er seine Herangehensweise an dieses sensible Thema. Sein Ziel ist es, bei allen von ihm behandelten Bereichen deutlich zu machen, wo die Entwicklung zwangsläufig zu sein verspricht und wo Gestaltungsspielräume bestehen. Er vergleicht heutige mit historischen Entwicklungen und legt den Fokus auf die dahinter liegenden Gesetzmäßigkeiten. Weltuntergangsprophezeiungen haben seines Erachtens eine psychologische Ursache und sind nicht sein Ding.

Eschbach befasst sich mit Themen, bei denen aus heutiger Sicht plausibel erscheint, dass sie Wegweiser in die Zukunft sein werden. Hierzu zählen u.a. moderne Technologien wie die Gentechnik, die Nanotechnologie und das Internet, die Raumfahrt, die Energieversorgung, das Klima und die Bevölkerungsentwicklung. Welche Entwicklungen sind in diesen Schlüsselbereichen zu erwarten?

Gentechnik

Klonschaf Dolly beherrschte vor wenigen Jahren die Weltpresse. Ist damit das Klonen von Menschen möglich geworden? Presseveröffentlichungen zur Gentechnik stecken voller Irrungen und Verwirrungen. Eschbachs Ausführungen tragen zu einem besseren Verständnis bei, worum es bei dieser Technik geht und was wir von ihr zu erwarten haben. Ein Beispiel: Wie ähnlich sind sich Klon und Elter (so nennt man das Individuum, aus dessen Genmaterial der Klon gezüchtet wurde)? Sie sind sich, entgegen landläufiger Vorstellungen, nicht ähnlich. Der Klon ist darüber hinaus gesundheitlich labil und hat eine nur geringe Lebenserwartung.

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte. Sie führt interessanterweise zu dem Ergebnis, dass der genetische Unterschied zwischen den Menschen vernachlässigbar gering ist. Der Mensch ist offensichtlich mehr, als sein genetischer Bauplan. Die Gentechnik ist damit nicht am Ende, sondern die Erwartungshaltung muss auf ein realistisches Maß zurück geführt werden.

Nanotechnologie

"Da unten ist eine Menge Platz.", fabulierte in den 1950er Jahren der Physiker Richard Feynman und legte damit den Grundstein für eine Technologie, die es sich zum Ziel gesetzt hat, konstruktiv mit kleinsten Bausteinen wie Atomen und Molekülen zu hantieren. Er skizzierte in einem visionären Vortrag die Prinzipien und Entwicklungstendenzen, denen die Nanotechnologie noch heute folgt. Die Bandbreite der Anwendungsmöglichkeiten reicht von absolut homogenen Werkstoffen mit extrem hohen Festigkeitswerten über U- Boote in Blutbahnen zur Beseitigung von Ablagerungen bis hin zu Autokarosserien, die sich nach einem Zusammenprall von selbst ausbeulen. Von der Nanotechnologie ist in Zukunft einiges zu erwarten.

Internet

Das Internet, einst Spitzenthema der New Economy, gehört heute zum Alltag. Der Pioniergeist der Anfangsjahre, in denen es eine Firmengründung nach der anderen gab, ist verflogen und die große Blase geplatzt. Sie hat desillusionierte Spekulanten hinterlassen und die künftigen Erwartungen an diese Technologie auf ein Normalmaß reduziert. Dennoch gehört der Datenhighway zu einem der wichtigen zukunftsweisenden Themen. Eschbach erwartet, dass das Micropayment, also die Möglichkeit, auch kleinste Geldbeträge per Internet zu transferieren, kommen wird. Die Zeit der kostenlosen bzw. ausschließlich werbefinanzierten Dienste sei vorbei.

Führt das Internet zur Vereinsamung? Statistische Untersuchungen sagen etwas Anderes aus: Der typische Internet- Benutzer liest viel, trifft sich gern mit Freunden und verbringt wenig Zeit vor dem Fernseher.

Raumfahrt

Nach der Landung der ersten Menschen auf dem Mond im Jahre 1969 war die Euphorie grenzenlos. Es entstanden Visionen vom Flug zum Mars und von permanent besetzten Mondstationen. Was ist daraus geworden? Die Realität hat die Menschheit eingeholt. Weltraumabenteuer dieser Größenordnung sind nicht bezahlbar und bevor man neuen Lebensraum im Weltall erobert, ist es naheliegender, auf der Erde zu bleiben und Wüsten urbar zu machen oder Lebensraum auf dem Meeresboden zu schaffen. Dennoch ist Eschbach davon überzeugt, dass der Mensch seinen Drang zu den Sternen befriedigen wird. So wie einst der Mount Everest bezwungen wurde, wird es auch irgendwann den ersten Menschen auf dem Mars geben.

Energie

Die Energiefrage hat für die Menschheit eine existenzielle Bedeutung und sie wird in Anbetracht der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten akut werden. Die fossilen Energiequellen Öl, Gas und Kohle gehen zur Neige und ein Nachfolgebrennstoff ist nicht in Sicht. Wind und Wasser werden ergänzende Funktionen übernehmen, aber woher kommt die Hauptenergie? Atomenergie ist nicht konsensfähig und trotz intensiver Forschung scheint die Kernfusion noch in weiter Ferne zu liegen. Konzepte zum Energiesparen werden aus ökologischen und ökonomischen Gründen weiter an Bedeutung gewinnen. Eschbach prognostiziert mangels Alternativen ein solares Zeitalter, in dem unterschiedliche Techniken zur Nutzung der Sonnenenergie eingesetzt werden. Die Sonnenenergie ist eine saubere Energieform und praktisch unbegrenzt verfügbar. Die bisherigen Öllieferanten aus Nordafrika könnten sich aufgrund ihres Klimas auch zu den Energielieferanten der Zukunft entwickeln.

Klima

Es gibt Anzeichen für einen klimatischen Wandel. Allerdings sind diese Anzeichen nicht so eindeutig, wie uns die Presse weismachen will. Das Deuten von einzelnen steigenden oder abfallenden Klimadatenreihen kann darüber hinweg täuschen, dass diese, global gesehen, einer periodischen Entwicklung folgen. Periodische Veränderungen des Klimas hat es in der Erdgeschichte immer schon gegeben.

Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Folgen des Treibhauseffektes. Fakt ist, dass es ohne eine die Erde umspannende Schutzhülle, die das Sonnenlicht nur zum Teil entweichen lässt, auf der Erde so kalt wäre, wie auf dem Mond. Allerdings führt der vermehrte Ausstoß von Kohlendioxid dazu, dass das Sonnenlicht weniger gut entweichen kann und damit wird die Erde zusätzlich aufgeheizt. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Treibhauseffekt sich auf das Klima auswirkt.

Auch wenn unklar ist, wie stark der Einfluss der künstlich produzierten Kohlendioxidmenge ist, im Verhältnis zur (weitaus größeren) Menge natürlicher Kohlendioxidemissionen, gibt es gute Gründe, den Ausstoß zu reduzieren. Die Folgen einer globalen Erwärmung können katastrophal sein.

Aufgrund seiner geografischen Lage müsste Europa eigentlich ein kalter, unwirtlicher Kontinent sein. Dass es nicht so ist, liegt einzig und allein am Golfstrom, der die nötige Wärmeenergie mit sich führt. Eine Erwärmung der Erde könnte bewirken, dass der Golfstrom versiegt. Messungen zufolge hat die Flussrate des Golfstroms in den letzten Jahrzehnten um zwanzig Prozent abgenommen. Ein Umkippen des Golfstroms würde innerhalb von wenigen Jahren zu einer Eiszeit in Europa führen. Wie wahrscheinlich ein solches Szenario ist, kann heute niemand sagen.

Bevölkerungsentwicklung

Bereits im Jahre 1798 warnte ein englischer Wirtschaftswissenschaftler namens Thomas Robert Malthus vor den Folgen ungezügelten Bevölkerungswachstums. Zu dieser Zeit lebten eine Milliarde Menschen auf der Erde. Rückblickend gesehen war die Wachstumsgrenze noch nicht erreicht. Aber wo liegt die Grenze? Regelt sich das Bevölkerungswachstums von allein? Immerhin ist, zumindest in den westlichen Industrieländern erkennbar, ein Bremsvorgang in vollem Gang. Auf der anderen Seite gibt es Länder mit horrenden Geburtenraten. Wie viele Menschen sind eigentlich zu viele? Wer die Entwicklungsländer verurteilt, sollte bedenken, dass es im 19. Jahrhundert die Europäer waren, die sich schneller vermehrt haben als alle anderen Völker. Bevölkerungswachstum allein ist daher nicht ausschlaggebend, sondern nur in Verbindung mit der Lebensgrundlage.

Ein interessanter Nebeneffekt: Wer sich heute Sorgen macht, wegen der zu erwartenden Überalterung in den westlichen Industrienationen, braucht nur ein paar Jahrzehnte weiter zu blicken. Die Alterspyramide wird sich wieder normalisieren und zwar auf einem schlankeren Niveau.

Fazit

Mit Büchern über Zukunftsfragen können ganze Bibliotheken gefüllt werden. Was ist realistisch und was ist unrealistisch? Andreas Eschbach versteht es, Akzente zu setzen. Er kommt auf den Punkt und schreibt, ohne tendenziös zu wirken. Ich habe selten so klare Ausführungen zu schwierigen Themen gelesen. Ein passendes Schlusswort habe ich dem Buch entnommen:

"Vielleicht - so wünsche ich es mir jedenfalls - nehmen Sie aus diesem Buch eine etwas veränderte Einstellung mit. Eine andere Sichtweise auf die Dinge, die Sie umgeben. Eine Sichtweise, die auch in Möglichkeiten denkt, nicht nur in Gegebenheiten. Denn das ist die Zukunft vor allen Dingen: eine Ansammlung von Möglichkeiten."

Andreas Eschbach, 1959 in Ulm geboren, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete zunächst als Softwareentwickler. Den Durchbruch als Bestsellerautor hatte er mit seinem Science-Fiction-Thriller "Das Jesus Video" (1998). Es folgten "Eine Billion Dollar" (2001) und "Der Letzte seiner Art" (2003). Andreas Eschbach lebt als freier Schriftsteller mit seiner Frau an der französischen Atlantikküste.

(Klemens Taplan; 09/2004)


Andreas Eschbach: "Das Buch von der Zukunft"
Rowohlt, 2004. 160 Seiten.
ISBN 3-87134-476-1.
ca. EUR 17,40.
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Buchtipp:

Eva Horn: "Zukunft als Katastrophe"
Warum wir unsere Zukunft schwarz malen
Unsere Gegenwart gefällt sich darin, Zukunft als Katastrophe zu denken, in Kino, Wissenschaft und Literatur. Eva Horn geht der Geschichte und den Motiven dieses modernen Katastrophenbewusstseins nach. Sie legt dabei die biopolitischen Konflikte frei, die in den Untergangsszenarien - von der Verdunklung des Globus über den Atomtod bis zum Klimawandel - ausgetragen werden. Sie zeigt aber auch, wie in den Rufen nach Sicherheit und Prävention Fiktionen wirksam sind, die man als solche begreifen und analysieren muss. Die künftige Katastrophe zu entziffern bedeutet nämlich immer, eine Geschichte schon zu Ende zu erzählen, die sich erst noch ereignen soll.
Eva Horn, geboren 1965 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik, Allgemeine Literaturwissenschaft, Romanistik und Philosophie in Bielefeld, Konstanz und Paris. Nach der Promotion unterrichtete sie an den Universitäten Konstanz und Frankfurt/Oder sowie an der New York University. Nach der Habilitation war sie Professorin am Deutschen Seminar der Universität Basel und ist gegenwärtig Professorin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Im Fischer Verlag ist zuletzt erschienen "Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion" (2007) (s. Fischer)

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