Jeffrey S. Rosenthal: "Vom Blitz getroffen"
Die seltsame Welt des Zufalls
Warum
die Bank garantiert immer gewinnt
Wenn man kein Mathematiker ist, muss man viele Entscheidungen aus dem
Bauch heraus treffen, die etwas mit Wahrscheinlichkeiten zu tun haben.
Dazu gehören Glücksspiele ebenso wie
Versicherungsabschlüsse, die Interpretation von Statistiken
und die Wahl des sichersten Verkehrsmittels.
Aber auch Nicht-Mathematiker können, wenn sie sich mit dem
Phänomen des Zufalls und einigen Grundlagen der
Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik befassen, viele Situationen
besser und vor allem objektiver einschätzen. Und es handelt
sich noch nicht einmal um trockenes Wissen, wie der Autor dieses Buchs
zu beweisen vermag.
Zunächst zeigt Jeffrey S. Rosenthal eine Auswahl aus der
Vielfalt von Fragen auf, über die man wesentlich sicherer auf
der Basis von Wahrscheinlichkeiten entscheiden kann. Die folgenden
Kapitel widmen sich vor allem einzelnen Phänomenen, bei denen
der Zufall eine entscheidende Rolle spielt. Das so genannte Gesetz der
großen Zahl, auf dem eine sinnvolle Statistik basiert, sorgt
beispielsweise dafür, dass letzten Endes immer die Spielbank
gewinnt. Daran ändert auch die Glückssträhne
eines einzelnen Spielers nichts.
Der Spruch: "Trau keiner Statistik, die du nicht selbst
gefälscht hast" ist allseits bekannt. Was vermag er
über die Statistiken auszusagen, mit denen wir
ständig in den Medien konfrontiert werden? Haben Politiker
Recht, wenn sie Statistiken vorlegen, aus denen offensichtlich
hervorgeht, dass die Mordrate ansteigt? Häufig wird bei
solchen Statistiken nur die absolut zunehmende Anzahl der Morde
herangezogen, das wesentlich stärkere
Bevölkerungswachstum bleibt außen vor - und schon
haben die Politiker das erwünschte Ergebnis. Oder man greift
zielstrebig eine aus wissenschaftlicher Sicht zufällige
Häufung heraus und schlachtet sie aus.
Weitere Themen des Buchs sind unter anderem Zufallsaspekte der
Biologie, nämlich
Evolution, das heißt, genetische
Veränderung, Wahlprognosen und Spamfilter für den
E-Mail-Verkehr. Denn auch der letztgenannte Aspekt hat etwas mit
Wahrscheinlichkeit zu tun: Werden die Auswahlkriterien für
Spam zu streng angesetzt, so verliert der Empfänger sehr
wahrscheinlich einige erwünschte, möglicherweise
wichtige E-Mails, sind die Kriterien lax, muss er sich mit einem
erhöhten unerkannten Spamaufkommen herumärgern.
Wenn Sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden möchten, dass
der Zufall die Welt regiert, so sind Sie in genialer Gesellschaft; im
Kapitel über Chaos und Quantenmechanik können Sie
sich darüber informieren, dass
Einstein trotz der fundierten
Theorien seiner Physikerkollegen die entscheidenden Rolle des Zufalls
im Mikro- und Makrokosmos vehement ablehnte.
Und damit sich das erworbene Wissen ein wenig "setzt", finden Sie am
Ende des Buchs ein nicht ganz ernst gemeintes Abschlussexamen, in dem
auf humorvolle Weise die Inhalte der vorangegangenen Kapitel wiederholt
werden.
Das Buch vermittelt auf sehr unterhaltsame, originelle Weise einen
Stoff, der üblicherweise als trocken und langweilig empfunden
wird. Und nicht nur das: es sensibilisiert auch für unsere
Anfälligkeit gegenüber einseitig oder nur zum Teil
interpretierten Statistiken und für die
Fehleinschätzungen, die uns das berühmte
Bauchgefühl einflüstert. Tatsächlich vermag
man nach der Lektüre mit geschärftem Blick durch die
Medienlandschaft zu schweifen und hat das Rüstzeug,
Statistiken, Angebote von Versicherungen und Casinobetreibern,
Wahlprognosen und dergleichen kritisch zu begutachten. So manche
lustvolle Panikmache der Massenmedien entpuppt sich plötzlich
als bewusst oder unbewusst vorgenommene Lancierung einer statistisch in
keiner Weise signifikanten Häufung, wie sie jederzeit
vorkommen kann und muss.
Viele Tabellen und Grafiken veranschaulichen die Inhalte und verhelfen
dem Leser ebenfalls zu mehr Kritikfähigkeit, denn er lernt auf
diese Weise, mit entsprechenden Veröffentlichungen umzugehen.
Um das statistische und wahrscheinlichkeitstheoretische Wissen
möglichst unkompliziert darzustellen und zu vertiefen, flicht
der Autor zudem immer wieder originelle, fiktive Geschichten zum
jeweiligen Thema ein, in denen der Zufall eine zentrale Rolle spielt.
Dass er sich auch im Sinne guter Unterhaltung gern der Polemik, vor
allem gegen die Pharmaindustrie und die Politik, bedient, wird dem
einen Leser mehr, dem anderen weniger gefallen.
Das Buch eignet sich aufgrund seiner hervorragenden
Allgemeinverständlichkeit für ein breites Publikum -
im Grunde für alle Menschen, die sich besser mit den
tatsächlich oder scheinbar zufälligen
Einflüssen auf ihr Leben auskennen möchten.
(Regina Károlyi; 03/2007)
Jeffrey
S. Rosenthal: "Vom Blitz getroffen. Die seltsame Welt des Zufalls"
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Carl Freitag.
Eichborn, 2007. 315 Seiten.
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Jeffrey S. Rosenthal, geboren 1967, ist Mathematikprofessor im Fachbereich Statistik an der University of Toronto. Im Alter von 24 Jahren machte er in Harvard seinen Doktor. Er ist Autor zweier Bücher über Wahrscheinlichkeitstheorie. Rosenthal arbeitete auch als Computerprogrammierer, Musiker und als Improvisationskünstler auf der Bühne.