Klaus Mainzer: "Der kreative Zufall"
Wie das Neue in die Welt kommt
Zufall
und Chaos als Ausgangspunkte für komplexe Entwicklungen
Vielen Menschen fällt es schwer, zu akzeptieren, dass ein
erheblicher Teil unseres Lebens und unserer Umwelt vom Zufall bestimmt
ist. Selbst Systeme, die den Eindruck von Ordnung erwecken und deren
zunehmende Organisation aus einem Ausgangszustand im Chaos wir
beobachten können, sind dem Gesetz des Zufalls verpflichtet.
Der Determinismus findet im Universum keinen Platz.
Der Zufall spielt nicht nur im Bereich der Astronomie und vor allem in
subatomaren Größenordnungen eine nicht zu
überschätzende Rolle, sondern auch in der Biologie
sowie in der Computertechnik, in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.
Der Autor beleuchtet die Bedeutung des Zufalls und die ihm zugrunde
liegenden Gesetze für all diese Aspekte unseres Kosmos;
sinnvollerweise beginnt er mit der Rezeption und Interpretation des
Zufalls in der Mythologie und Philosophie seit der Antike, die auch
neuere Weltanschauungen nachhaltig beeinflusst haben.
Es folgen mehrere Kapitel, die den Zufall auf
mathematisch-naturwissenschaftlichem Wege definieren und seine
Ausprägungen und Auswirkungen untersuchen; eines von ihnen
führt in die Quantenmechanik und befasst sich mit Einsteins
berühmt gewordenem Ausspruch: "Gott würfelt nicht."
Ein weiteres Kapitel beinhaltet informationstechnische Probleme und
Nutzungsmöglichkeiten, die auf dem Zufall basieren, darunter
angestrebte Techniken wie Quantencomputer und Quantenkryptographie, die
in mittlerer Zukunft vermutlich die Datenverarbeitung revolutionieren
werden. Das nächste Kapitel untersucht die Rolle des Zufalls
bei der Entwicklung des Lebens
und der natürlichen
Intelligenz: Wie weit hängt die zunehmende
Komplexität der Lebensformen und der Gehirne vom Zufall ab?
Auch die Soziologen und Ökonomen haben sich schon vor langer
Zeit mit Auswirkungen zufälliger Ereignisse befasst. So zeigen
Börsenkurse eindeutig chaotisches Verhalten und dienen daher
in diesem Buch als Paradebeispiel für die Unvorhersagbarkeit
von wirtschaftlichen Entwicklungen.
Es verwundert nicht, dass angesichts dieser Erkenntnisse ein
abschließendes Unterkapitel dem Sinn des Lebens gewidmet ist,
der sich in Anbetracht eines vom Zufall ähnlich wie die
Brownsche Molekularbewegung gesteuerten Kosmos nicht leicht
erschließt. Vor allem ist in der Welt des Zufalls bestenfalls
wenig Platz für einen Gott: Der unbewegte Beweger passt nicht
hinein.
Abgesehen davon, dass manchem Leser der Bruch mit einem zumindest
partiell deterministischen Weltbild schwer fallen dürfte,
stellt das Buch auch fachlich einige Forderungen an den Leser. Dieser
benötigt keine Vorkenntnisse, aber er muss bereit sein, recht
tief in die Materie einzutauchen und sich einiges an Mathematik und
Physik zuzumuten. "Einfach nebenbei" lässt sich das Buch nicht
ohne Weiteres lesen.
Trotz des durchweg hohen inhaltlichen Niveaus versteht es der Autor,
die dargestellten Sachverhalte anschaulich und einleuchtend, oft auch
anhand von Skizzen, Schemata und Tabellen, zu erklären.
Langweilig ist das Buch in keinem Augenblick, zumal, wenn man fachlich
mit einem der untersuchten Themengebiete zu tun hat und sich
dafür interessiert, wie der Zufall so unterschiedliche
Wissensgebiete wie Biologie und Ökonomie verbindet - welchen
gemeinsamen, über den Zufall definierten Regeln ganz
verschiedene Wissenschaftszweige unterliegen. Solche
fachübergreifenden Grundlagen können den
unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen interessante Impulse
geben, deren einen oder anderen der Leser unmittelbar angeboten bekommt.
Das Buch ist klar strukturiert und übersichtlich aufgemacht,
bietet also trotz der komplexen Thematik viel Lesekomfort. Vor allem
lädt es dazu ein, das gängige Weltbild kritisch zu
hinterfragen und sich mit der Allgegenwart des Zufalls nicht nur
abzufinden, sondern sie, wo möglich, gewinnbringend zu nutzen.
(Regina Károlyi; 03/2007)
Klaus
Mainzer: "Der kreative Zufall. Wie das Neue in die Welt kommt"
C.H. Beck, 2007. 283 Seiten.
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Klaus
Mainzer ist Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie
an der Universität Augsburg, Direktor des Instituts
für Philosophie und Direktor des Instituts für
Interdisziplinäre Informatik. Er ist Vorsitzender der
Deutschen Gesellschaft für Komplexe Systeme und Nichtlineare
Dynamik. Bei C.H. Beck sind von ihm lieferbar: "Zeit. Von der Urzeit
zur Computerzeit" (2005) und "Materie. Von der Urmaterie zum Leben"
(1996):
"Materie.
Von der Urmaterie zum Leben"
Dieses Buch informiert historisch und systematisch über den
Begriff Materie. Sein besonderes Profil gewinnt es durch seine
fachübergreifende Information. Es zeigt eine komplexe
Hierarchie von Materieformen auf, in der sich physikalische, chemische,
biologische, ökologische und technische Prozesse
überlagern. Die Spannbreite des Buches reicht vom Begriff der
Materie im antiken und mittelalterlichen Weltbild, im Weltbild der
klassischen Physik, der Relativitäts- und Quantentheorie,
Hochenergiephysik und Materialforschung bis zur Selbstorganisation
komplexer materieller Systeme nahe und fern des thermischen
Gleichgewichts, von der Molekular- und Biochemie
zur Evolution des
Lebens, der Entwicklung von Bewusstsein und der technischen
Nutzung der
Materie in Industrie und Gesellschaft.
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"Zeit.
Von der Urzeit zur Computerzeit"
Dieses Buch informiert historisch und systematisch über den
Begriff der Zeit.
Sein besonderes Profil gewinnt es durch seine
fachübergreifende Information. Es zeigt ein komplexes Netzwerk
von Zeitrhythmen auf, in dem sich physikalische, biologische,
psychologische, technische und soziale Prozesse überlagern und
beeinflussen. Die Spannbreite des Buches reicht vom Begriff der Zeit im
antiken und mittelalterlichen Weltbild, im Weltbild der klassischen
Physik, der Relativitätstheorie und der
Quantenwelt bis zu
den
Problemen der Zeit im Zusammenhang mit dem Zweiten Hauptsatz der
Thermodynamik, der Zeitentwicklung in Systemen fern des thermischen
Gleichgewichts, von den Zeitrhythmen des Gehirns und der Computerzeit
der Künstlichen Intelligenz bis zum
Problem der Zeit in Geschichte und Kultur.
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