Jörg Zink: "Die Urkraft des Heiligen"
Einladung zu einem Fest
"Und das ganze Haus war voll vom Duft des Öls!" Mit diesen Worten zitiert der Autor von "Die Urkraft des Heiligen" eine bekannte biblische Szene. Wer sich die rund 450 Seiten zu Gemüte führt, darfst selbst in der sinnlichen Atmosphäre schwelgen, die sich auf der Reise durch zweitausend Jahre Christentum entfaltet! Sich das neue Buch von Jörg Zink zu gönnen, bedeutet, sich Gutes zu tun, gleichsam lesend ein Fest zu feiern.
Die Einladung zu einem solchen Fest beschreibt der Autor in seinem zweiten Kapitel, in dem er sie als Mitte der Botschaft Jesu bezeichnet: "Eine Szene wird mir zum Gleichnis für sein ganzes Werk, sozusagen zum Urmuster dessen, was er wollte. Und an ihr wird mir immer mehr das Originale am Wort und der Absicht des Mannes aus Nazaret anschaulich. Alles andere gruppiert sich um dieses zentrale Bild. Was ist es? Ich denke an die Szene, wie er vor einem Haus steht. Wie er Menschen einlädt. Wie er das Haus betritt. Wie er sich dort zum Essen niederlässt und wie er mit jedermann, wer immer mit ihm ins Haus kam, isst und trinkt. Nur dies. Nur dies einfache. Aber dieses Einfache hat es in sich."
Jörg Zink braucht kaum
näher vorgestellt zu werden; seine feinfühlige und eindringliche Stimme ist
seit Jahrzehnten ebenso bekannt wie geschätzt! Neben seiner theologischen und
publizistischen Tätigkeit ist der 1922 geborene Zink seit rund fünfzig Jahren
überzeugter Friedensaktivist.
Das lautstarke Provozieren, wie wir es etwa von einem
Drewermann
kennen, ist nicht Zinks Art, vielmehr liebt er es, seinen Lesern die zentrale
Botschaft des Evangeliums in liebevollen und farbigen, bisweilen mystischen
Bildern vor Augen zu malen, inspiriert von seinen persönlichen Erfahrungen und
seiner spürbar wachen Gottesbeziehung. Zink predigt ein sinnliches Evangelium,
welches nicht auf Dogmen und offizieller Lehre gründet, sondern in erster Linie
auf der persönlichen Gottesbegegnung.
Die leise Botschaft, die uns Jörg Zink in seinem umfangreichen Werk vermittelt, kommt wohl sanft daher, entbehrt aber deswegen keineswegs der inhaltlichen Prägnanz:
Sein Thema ist die
verloren gegangene Urkraft des christlichen Glaubens. In der Pluralität der
modernen Religiosität sucht er nach Wegen, die zurück zu den Anfängen und Quellen
des Evangeliums führen: Zink startet seine Wanderung durch die Entwicklung des
Christentums bei der schlichten und einsamen Gestalt des Jesus von Nazaret.
In überzeugender Einfachheit zeigt er uns die Art und die Mission dieses Mannes,
der den Menschen in seine Tischrunde einlädt und ihm wohl tun will.
Jörg Zink erzählt und predigt anschaulich. Man spürt, dass er selbst ein Schauender
ist, einer der im tiefsten Innern bewegt ist von dem, was ihm sein Glaube offenbart
hat.
Dass einer wie er, der das Evangelium mit allen Sinnen erlebt, sich konsequent
jeder Dogmatik zu enthalten vermag und, im Gegenteil, eines seiner Kapitel mit
den Worten "Was wir als Wahrheit vertreten, ist immer nur unsere Deutung
einer Erfahrung", umschreibt, macht ihn letztlich so einzigartig. Im Bewusstsein,
"dass unsere Vorstellungen von Gott immer zu klein sind", geht er seinen
persönlichen Glaubensweg wohl ernsthaft, aber in einer vertrauensvollen Ruhe.
Das Leitmotiv in "Urkraft des Heiligen" ist der Wunsch, die
Veränderungskraft
der Ideen und Symbole des christlichen Glaubens neu zu entdecken. Zink wünscht
sich eine Besinnung über die Chancen, die uns das Evangelium bietet: nämlich,
Ratlosigkeit und Resignation
unserer Zeit zu überwinden.
Das Ziel, zu welchem der Autor seine Leserinnen und Leser hinführen möchte, offenbart er gegen Schluss seines Buches, als er über sich selbst sagen kann: "Ich empfinde ein Ruhen in Gott in grosser Gelassenheit." Schön, oder?
(André Kesper)
Jörg
Zink: "Die Urkraft des Heiligen"
Kreuz Verlag GmbH 2003, Stuttgart
447 Seiten.
ca. EUR 22,00.
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