Rui Zink: "Afghanistan!"
Das Ergebnis eines interaktiven Literatur-Experiments in 39 Fortsetzungen im Jahr 2001
Luís Fernando paddelt auf einem Surfbrett im Meer, kein Land in Sicht. In die Höhe hält er eine CD-ROM, die er unbedingt retten will, sich selbst natürlich auch.
So beginnt ein interaktives Literatur-Experiment vom Sommer 2001, bei dem die Leser am Ende eines jeden Kapitels aus zumeist drei Möglichkeiten auswählen konnten, in welche Richtung ihr Autor die Geschichte im darauffolgenden Kapitel weiterentwickeln sollte. Die Nachteile einer solchen Vorgehensweise liegen auf der Hand: eine gewisse Oberflächlichkeit des Geschmacks und Willkür der Handlung sind kaum zu vermeiden. Dafür bietet sich für den Schriftsteller die Möglichkeit, sich selbst überraschen zu lassen, gute Fragen zu stellen und eine fremde Kraft in sein Werk einzubinden. Und die Leser können zu einem kleinen Teil mitschreiben.
Bei dieser Geschichte liegt es nahe, dass der surfende, icherzählende Held sein Leben und wie es schließlich so mit ihm gekommen ist mangels sinnvollerer Beschäftigungsmöglichkeit Revue passieren lässt und zunächst in Erinnerungen an Zeiten schwelgt, als die Welt noch in Ordnung war. Kindheitserinnerungen wechseln mit Szenen aus seinem alten Bairro, in dem er langezeit ohne Wunsch, anderswohinzugehen, sein eher unscheinbares Dasein fristete, als, wie die Leser es so wollten, Geisteswissenschaften studiert habender Kellner eines Nachtlokals. Die Theatralik einiger sonderbarer Bairro-Käuze und fetzige Frauengeschichten runden diese Alltagsimpressionen ab, manchmal auf etwas stereotype Art, immer aber locker und amüsant erzählt. Das orientierungslose Leben des Helden ändert sich schließlich weniger durch eine Frau als durch seine Bekanntschaft mit der geheimnisvollen Bruderschaft des Kugelschreibers, einem Geist und Büchern verpflichteten Geheimbund, durch dessen graue Eminenz, den Alten, wie er genannt wird, Rui Zink die Problematik von Zeitgemäßheit, Wert und Wesen des Buches zur Sprache bringt, etliche zur jeweiligen Gelegenheit passende Klassikerzitate zum besten gibt und verschiedene Aspekte der portugiesischen Kolonialgeschichte aufwirft. Etwa ab der Hälfte entwickelt sich das Buch dann immer mehr zu einer Agentenparodie, Luis Fernando hat für die Bruderschaft des Kugelschreibers Aufträge in allen möglichen Teilen der Erde zu erledigen, den brisantesten davon im Afghanistan der Taliban. Was den Afghanistanteil betrifft, kann man dem Autor angesichts des gewichtigen Themas den Vorwurf der Oberflächlichkeit bzw. der Scheu vor heißem Eisen nicht ganz ersparen. Wohl sorgt er durch ein paar schöne absurde Szenen für Entschädigung (so sind die allermeisten verschleierten Frauen in Kabuls Straßen eigentlich getarnte ausländische Spione), weniger gelungen und originell als andere Stellen ist hingegen die Ausführung des Leserauftrags, Afghanistan als Paradies auf Erden darzustellen, ausgefallen.
Insgesamt wusste Rui Zink, Literaturprofessor, Talkmaster, Journalist und Starautor aus Lissabon aber recht gut, worauf er sich da einließ, die Freude am Improvisieren, Fabulieren und daran, dem Leserwillen hin und wieder ein Schnippchen zu schlagen, ist das ganze Buch hindurch deutlich spürbar. So kann das Experiment insgesamt als geglückt betrachtet werden, als fantasievolles Spiel mit Möglichkeiten im besonderen, als amüsante, kurzweilige Lektüre im allgemeinen. Das Konzept als solches wiederum, oder ein ihm ähnliches, erscheint wohlgeeignet, in Zukunft für weitere interessante (auch von stärkerer Eigendynamik getragene) literarische Experimente zu sorgen.
(fritz; jan. 2003)
Rui Zink:
"Afghanistan!"
Aus dem Portugiesischen von
Martin Amanshauser.
Deuticke,
2002. 231 Seiten.
ISBN 3-216-30657-7.
ca. EUR 17,90.
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